Jesu Lieblingsmöbel

Klartext
Foto: privat

Die Predigthilfe dieses Monats kommt von Traugott Schächtele. Er ist Prälat in Schwetzingen.

Heilsamer Abstand

2. Sonntag nach Epiphanias, 15. Januar

Und er (Gott) sprach weiter (zu Mose): Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.(2. Mose 33,20)

Ich kenne Menschen, die reden von Gott und dem, was nach Gottes Willen sein soll, so klar und wissend, als säße Gott mit ihnen täglich am Tisch. Und da wird mir meist unwohl. Denn der Anspruch, mit Gott auf einer Ebene der Gleichen verbunden zu sein, nimmt die gänzliche Andersartigkeit Gottes nicht ernst. Mose kann sich der Versuchung, Gott ins Angesicht zu sehen, auch nicht entziehen. Schließlich redet Gott mit ihm, wie es heißt, „von Angesicht zu Angesicht wie mit einem Freund“. Aber was im geschützten Raum, im heiligen Zelt, irgendwie möglich erscheint, erwies sich nicht als alltagstauglich.

Der heutige Predigttext schildert ein Sehen und Reden, das den Abstand wahrt und die gänzliche Unterschiedlichkeit von Gott und Mensch nicht in Frage stellt. Gott einfach ins Angesicht zu schauen und mit ihm gewissermaßen auf Du und Du verbunden zu sein, bleibt auch Mose verwehrt. Denn die Aufhebung des Abstands zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf, wäre lebensgefährlich, ja, sie wäre gar nicht auszuhalten.

Die Anwesenheit Gottes nimmt Mose eher zeichenhaft wahr. Er kann Gottes unübersehbare Spuren entdecken, aber sieht ihn nicht so, wie er wirklich ist. Der Bitte, Gottes Angesicht sehen zu können, entspricht Gott ganz anders, als Mose sich das vorgestellt hat. Denn er darf Gott nur hinterher sehen, erst dann erkennen, dass Gottes Gegenwart sein Leben berührt und ausgerichtet hat, nachdem dieser vorübergezogen ist. Der dänische Dichter, Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard (1813 – 1855) beschreibt diese Erfahrung so: „Verstehen kann man das Leben oft nur rückwärts, doch leben muss man es vorwärts.“

Dass Gott sein Licht auf mein Leben fallen ließ, sogar dann, wenn für mich zunächst nur seine Schattenseiten wahrnehmbar blieben – diese Deutung könnte ich nur im Rückblick wagen. Gott ist mir voraus, aber ohne mir den Rücken zuzuwenden. Ich setzte meine Schritte nach vorne im Vertrauen, dass sich mir Gottes Mit-mir-Sein im Blick zurück immer noch – und erneut – erschließen kann. Weil es eben ein ums andere Mal in meinem Leben schon so war. Sogar dann, wenn meine Wege sich als Um- und Irrwege erwiesen. Davon will ich reden – demütig und zugleich der Gegenwart Gottes gewiss.

 

Wacher Geist

3. Sonntag nach Epiphanias, 22. Januar

Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. (Römer 1,16)

Über fast alles sprechen Menschen heute in der Öffentlichkeit gerne und ausführlich. Aber die eigene religiöse Überzeugung gehört in der Regel nicht dazu. Religion ist Privatsache. Öffentlich gemacht wird eher die Distanz und nicht selten eine Verachtung der Religion. Sich von einer religiösen Haltung loszusagen, wird als Akt der Befreiung inszeniert. Daran sind wir als Angehörige der Kirchen nicht ganz unschuldig. Wie diejenigen, die in der Kirche Verantwortung trugen, in den vergangenen Jahrzehnten mit den drängenden Fragen des Verhaltens von Menschen umgingen, ist das eine. Zögerlichkeit und mangelnde Transparenz haben die Glaubwürdigkeit kirchlichen Redens nicht selten ausgehebelt.

Ein ganz anderer Grund, warum theologische Einsichten zusehends an den Katzentisch der Gesellschaft verbannt werden, liegt auch darin, dass wir anderen gerne erklären, was die Welt im Innersten zusammenhält, aber nur ungern hören, was andere dazu zu sagen und beizutragen haben.

Anders gesagt: Theologie ist immer interdisziplinär. Und wenn ich mich des Evangeliums nicht schäme, kann ich mich doch lauteren Herzens, wachen Geistes und theologisch kundig und sprachfähig in die Debatten der Gegenwart einbringen. Und zwar als Teil einer Suchbewegung, nicht als derjenige, der seinen Mitmenschen die Welt erklärt. Schließlich sind diese längst allergisch gegen alle Alleinvertretungsansprüche theologischer Deutung und kirchlicher Weltsicht, gegen die mangelnde Bereitschaft, über den eigenen Horizont hinauszuschauen. Kein Wunder, dass auf den Plätzen derjenigen, von denen Menschen Gegenwarts- und Lebensdeutung erwarten, oft Vertreterinnen und Vertreter ganz anderer Disziplinen sitzen.

Dabei muss ich mich mit meinem Gottesglauben doch gar nicht verstecken. Wenn ich in den Disputen und Dialogen der Gegenwart so von Gott spreche, dass andere spüren, wie dieser Glaube meine Weltsicht verändert, mein Verhalten prägt und meine Hoffnung nährt. Wenn ich das in der Weise tue, dass andere genauso von meiner Sicht bereichert werden wie ich von der ihren, dann ist Gott plötzlich wieder im Gespräch. Und andere werden womöglich selber zum Wagnis verlockt, mit Gott zu rechnen.

 

Erster Vorgeschmack

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 29. Januar 

Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihnen. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. (Matthäus 17,1–4)

Manchmal wäre ich gerne am Ziel und nicht immer im Aufbruch zu neuen Ufern. Nicht immer weiter auf der Suche nach dem, wofür es sich zu leben lohnt. Nicht immer neu in den Auseinandersetzungen mit den Antworten der Gottsuchenden verschiedener Couleur.

Petrus wähnt sich dagegen tatsächlich dort, von wo sich der Aufbruch nicht mehr lohnt. Auf dem Berg der Gottesbegegnung und der Verwandlung. „Hier ist gut sein!“ Zentrale Vertreter der Religion im Gespräch mit dem einen, der Petrus den Weg zu Gott neu eröffnet hat. In himmlisches Licht getaucht, wird dessen Ausnahmerolle. Unübersehbar Gottes Gegenwart im Angesicht dessen, der sie an diesen Ort mitgenommen hat. Wo, wenn nicht hier, gilt es, Wohnung zu nehmen. Denn der weitere Aufstieg zu Gott erweist sich als unnötig, wenn man die Höhe seiner Glaubensmöglichkeiten erreicht hat.

Aber auf dem Gipfel der eigenen Glaubenserfahrung gibt es kein Verweilen. Die Bühne verwandelt sich, die Szenenbeleuchtung erlischt, die himmlische Stimme verstummt. Mit einem Mal sind die Drei wieder mit dem allein, der eben noch mit Gott selber und den irdischen Hütern seiner Geheimnisse im Gespräch war. Die weißen Kleider, das überirdische Leuchten, die Aufhebung des Todes bei den großen Altvorderen ihres Glaubens, die im wahrsten Sinne umwerfende Erfahrung der Gegenwart Gottes – das alles gibt einen Vorgeschmack auf den Ostermorgen. Aber die Drei dürfen nicht von dem reden, was sie gesehen und erlebt haben. Sie sollen vielmehr – werden sie von Jesus instruiert – erst einmal schweigen. Solange, bis diese vorweggenommene Ostererfahrung auf dem Berg von der Erfahrung des Ostermorgens noch übertroffen sein wird. Geheimnisträger des Glaubens sind sie fürs Erste. Und mir so lange voraus, bis auch ich an den erhebenden Orten meines Lebens angelangt bin, an denen mein kleiner Glaube aus den Angeln gehoben wird. Und ich – sei es auch nur für einen Moment – am Ziel bin.

 

Lange Listen

Septuagesimä, 5. Februar

Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. (Matthäus 9,10–12)

Mit diesem Jesus sind wir noch lange nicht fertig. Und mit ihm waren schon diejenigen nicht fertig, die ihm von Angesicht zu Angesicht begegnet sind. Den Etablierten war er verdächtig. Aber auf die an den Rand Gedrängten übte er eine unwiderstehliche Faszination aus. Sie lieben es, mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Und Jesus, so scheint es, liebte das auch.

Bei uns waren Runde Tische eine Zeit lang groß in Mode. Wo immer unterschiedliche Interessen in die rechte Balance gebracht werden sollten, wurde zu Runden Tischen eingeladen. Aber sie sind keine Erfindung der Gegenwart. Runde Tische, an denen sich Menschen versammeln, die sich im realen Leben sonst gar nicht erst begegnet wären, sind das Lieblingsmöbel Jesu. Dass er sich zu Tisch setzt, das eine Mal mit den Sündern, das andere Mal mit denen, die sich für gerecht halten, lesen wir in den Evangelien immer wieder.

An einem Runden Tisch gibt es ja kein Unten und kein Oben. Hier sind alle gleich. Und doch bleiben die einen oftmals weg, wenn die anderen kommen. Gerade die Hüter des rechten Glaubens verweigern sich der Tischgemeinschaft, weil sie mit denen, die schon da sind, nichts zu tun haben wollen.

Auch in der Kirche sind wir vor dieser Gefahr nicht gefeit. Wir erfassen und beschreiben die unterschiedlichen Milieus und planen „milieusensibel“, wie es heißt, für die einen und für die anderen. Die große Kunst besteht darin, dass sich alle gemeinsam um den einen großen Runden Tisch versammeln. Aber nicht selten überfordert uns dieser Anspruch.

Bei der Feier des Abendmahls könnte der Altar ein solcher Runder Tisch sein. Die einen fühlen sich an diesem Tisch wie zu Hause. Die anderen ahnen dagegen nicht einmal, dass sie eingeladen sind. Und stehen doch auf der Gästeliste ganz oben. Wenn wir in den Kirchen große Veranstaltungen planen, gibt es im Vorfeld große Listen derjenigen, die unbedingt eingeladen werden müssen. Aber solche Listen müsste es in der Nachfolge Jesu auch für diejenigen geben, die unbedingt an die Runden Tische unserer kirchlichen und gemeindlichen Aktivitäten gehören. Von Jesus, der an seinen Tisch lädt, können wir immer noch viel lernen. Wie gesagt: Mit diesem Jesus sind wir noch lange nicht fertig!

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