Keine Rachearchitektur

Der wieder entstehende Turm der Potsdamer Garnisonkirche soll ein Ort der Selbstreflexion werden
Vorderansicht der Garnisonkirche. Kupferstich von A. Gläßer nach Philipp Gerlach, gestochen von Martin Engelbrecht um 1730.
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Vorderansicht der Garnisonkirche. Kupferstich von A. Gläßer nach Philipp Gerlach, gestochen von Martin Engelbrecht um 1730.

Die Debatte um den Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche in Potsdam ist von überregionaler Bedeutung. Dabei liegt der Verdacht nahe, dass die Diskussion überlagert wird von einer Ost-West-Problematik, die die Stadt Potsdam offenbar stärker beherrscht als manche andere Stadt im Osten Deutschlands, schreibt Jürgen Reiche. Er ist Kurator der Ausstellung und wissenschaftlicher Leiter des großen Bauprojekts in der brandenburgischen Landeshauptstadt.

Der Aufbau des Turms der Potsdamer Garnisonkirche ist umstritten wie kaum ein anderes Bauprojekt unserer Tage. Der Baufortschritt wird begleitet von immer wieder gleichen Einwendungen, kritischen Beiträgen und Protesten. Da ist von „Streitigkeiten“, „Finanzproblemen“, aber auch von „giftigen Wurzeln“ und von „Nazikirche“ die Rede, und der Vorwurf steht im Raum, dass die Kirche ein Wallfahrtsort für die „Neuen Nazis“ werde und sie schon rein äußerlich eine Solidarisierung mit den Tätern und nicht mit den Opfern darstelle (Pastorin Hildegard Rugenstein/ehemals Potsdam).

Da hat die engagierte Christin und Politikerin der Grünen im Potsdamer Stadtparlament Saskia Hüneke sicher recht, wenn es für sie so klingt, „als sei es [die Kirche] mit lauter Hakenkreuzen bestückt gewesen, ist sie aber nicht“, wie sie in einem offenen Brief an Pastorin Rugenstein schrieb. „Unerträglich finde ich, dass auch Du die Furcht vor dem Missbrauch zu schüren versuchst. Es sind ja gerade die Kritiker, die eine verabsolutierte Konnotation der Kirche als Nazikirche betreiben und dem damit erst dem Boden bereiten. Das finde ich unverantwortlich. Mit dem Rechtsradikalismus haben wir in der Gesellschaft ein deutschlandweites Problem … Furcht haben müssen wir also davor, dass es zunehmen könnte, dann bestünde die Gefahr des Missbrauchs an vielen Orten. Das darf und wird nicht geschehen, ich vertraue auf die Kraft unserer vielfältigen Gesellschaft. Die Nutzung des Turms wird – unter anderem – mit seiner Aufklärung über die Geschichte genauso ein Baustein dieser Kraft sein wie die Gegendemos, auf denen wir uns gelegentlich sehen.“

Ein Stück DDR-Architektur

Interessant ist die Beobachtung, dass in unterschiedlichen Wortbeiträgen gegen den Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche von „Rachearchitektur“ und „Vergeltungsarchitektur“ die Rede ist, was den Verdacht nahelegt, dass die ganze Diskussion auch überlagert wird von einer Ost-West-Problematik, die die Stadt Potsdam, mit einer heute sehr kleinen christlichen Gemeinde, offenbar stärker beherrscht als manche andere Stadt im Osten Deutschlands. Schließlich geht es beim Bau des Turms und der weiteren Nutzung des Grundstücks auf dem das Kirchenschiff einmal stand, auch um den Erhalt oder Abriss eines Stücks DDR-Architektur, des sogenannten Rechenzentrums (RZ), ehemals Datenverarbeitungzentrum des „VEB Maschinelles Rechnen“. Der sozialistische Bau, der nur noch in Teilen erhalten ist und in dem sich inzwischen über 200 im weitesten Sinne Kulturschaffende eingemietet haben, wird gegen den „Wiederaufbau“ einer Kirche des norddeutschen Barock, aber auch gegen den Aufbau des Museums Barberini oder des Stadtschlosses in Stellung gebracht. Das Ziel ist klar, und es wird getrommelt: „Potsdam sei clever: RZ4ever! … Genug Barock, erhaltet unseren Block!“

Seit dem ersten Spatenstich zum Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche fokussiert sich die Diskussion allerdings immer stärker auf die Genese des gesamten Wiederaufbauprojekts und wird im Wesentlichen aus einem Kreis von Architekten und Geisteswissenschaftlern um den Architekturkritiker Philipp Oswalt heraus befeuert. Diese Gruppe hat mit einem „Lernort Garnisonkirche“ ebenfalls im Rechenzentrum zeitweise „Quartier“ genommen. Seit Jahren publiziert diese „Plattform“ eifrig und überzieht die Medienlandschaft mit Gastbeiträgen.

Der Tenor ist fast immer gleich, der Furor groß: Die Initiative zum Wiederaufbau der Garnisonkirche kam von rechts! Dabei wird auch selbst in Bezug auf die Befürworter des Wiederaufbaus zwischen „rechts“, „konservativ“ und „rechtsextrem“ kaum mehr unterschieden. Es reicht dann auch der Hinweis, dass ein Mann der AfD den Wiederaufbau gut findet, und schon ist das Signal gegeben: alte Rechte, neue Rechte – Vorsicht „Nazikirche“ – so auch in zeitzeichen (April 2020), wo Oswalt einen Vergleich zwischen dem Händedruck des AfD-Politikers Björn Höcke und Thomas Kemmerich (FDP) mit dem Händedruck zwischen Hitler und Hindenburg vom 21. März 1933 zieht. Das Narrativ verfängt, zumal wenn man es in unterschiedlichen Medien permanent wiederholt. Dabei scheut man auch ganz nebenbei nicht vor persönlichen Diffamierungen zurück, und wenn das nicht reicht, verweist man auf die Biografien der Väter (zum Beispiel bei Richard von Weizsäcker oder Wolfgang Huber; vergleiche dazu Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 70, 2022).

Das alles wird in der Öffentlichkeit inzwischen lautlos klagend hingenommen. Doch es hinterlässt Spuren, und man kann die Empörung von Christen verstehen, die sich wie zum Beispiel Ute Hering, die als Mitarbeiterin der Kirche in die Mühlen der DDR-Staatssicherheit geraten war, darüber beklagen, dass in Printmedien, Rundfunk und Fernsehen insbesondere Mitglieder der Nachfolgepartei der SED als Kronzeugen gegen den Wiederaufbau gehört und zitiert werden.

Ein Akt des Frevels

„Die Sprengung des Turms 1968 war ein Akt des Frevels“, schreibt Ute Hering, „genauso wie die Sprengung der Nikolaikirche in Halle … Nach dem Krieg diente der Turmraum der Evangelischen Heilig-Kreuz-Gemeinde als Versammlungsort für die Gemeinde – da war keine Garnison, nichts Militärisches mehr, sondern Menschen, die Andachten und Gottesdienste hielten, in Gesprächen über den Glauben Orientierung und Trost suchten, Chormusik und Kirchenmusik erklingen ließen und sich als Christen vor allem mit Friedensfragen intensiv beschäftigten. Die Gemeinde war sehr dankbar, inmitten einer säkularen, glaubens- und kirchenfeindlichen Gesellschaft, dass der Turm wenigstens intakt war.“

Aber geht es bei alldem denn wirklich nur um die Potsdamer Garnisonkirche, die 1735 unter Federführung von Friedrich Wilhelm I. als Gotteshaus für den Hof, für die in der preußischen Garnisonstadt stationierten Soldaten und eine Potsdamer Zivilgemeinde vollendet wurde? Oder geht es im Kern nicht auch um die (evangelische) Kirche selbst, ihre wechselvolle Geschichte, ihre verhängnisvollen Verstrickungen mit der politischen Macht und ja, vor allem auch um die vielerorts unverständliche Zurückhaltung in der Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte?

Die Kritiker bescheinigen dem Projekt „Wiederbau des Turms der Garnison­kirche“ hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung zwar gute Absichten und wissenschaftliche Expertise. So schrieb Oswalt in der Zeit (Nr. 30, 2022): Es wurde „ein Ausstellungskonzept vorgelegt, das in dieser Hinsicht [gemeint ist eine kritische Auseinandersetzung] kaum etwas zu wünschen übriglässt.“ Dennoch wollen die Kritiker dieses Bauwerk nicht, weil es, so steht zu vermuten, ihrer Überzeugung nach eine Kirche zu viel ist und weil gerade diese Kirche nicht „Opfer“, wie von Befürwortern des Wiederaufbaus behauptet, sondern selbst „Täter“ war – ein Bauwerk als Täter, wie kann das sein?

Monarchischer Sehnsuchtsort

Die Potsdamer Garnisonkirche war sicher vieles: Sie stand vor über hundert Jahren in der ehemaligen Residenz preußischer Könige und deutscher Kaiser für nationale Gesinnung und preußische Größe. Sie war, neben unzähligen anderen Bauwerken und Einrichtungen, für viele damals auch ein monarchischer Sehnsuchtsort – und auch ein Ort, in dem im Nationalprotestantismus Hass gepredigt wurde. Vor allem war und ist dieses kunsthistorisch bedeutende Bauwerk aber eine Projektionsfläche für all dies und nicht die Ursache für das Scheitern der Weimarer Republik und das unermessliche Leid und das Sterben danach.

Niemand kann doch ernsthaft annehmen, dass man sich heute die Monarchie oder den deutschen Kaiser zurückwünscht, wenn man versucht, durch den Bau eines Turms oder einer Kirche ein Stadtbild zu heilen. Preußen ist nicht toxisch, aber man kann aus der Geschichte lernen. Vielleicht wünschen sich die Befürworter mehr inhaltliche Auseinandersetzung mit der Zeit des 18., 19. und 20. Jahrhunderts und mehr „historische Authentizität“ bei städtebaulichen Entscheidungen. Und ist nicht gerade der Wiederaufbau eine wunderbare Gelegenheit, eine Leerstelle in der Aufarbeitung der Geschichte Potsdams über die Jahrhunderte hinweg zu füllen? Denn diese Geschichte wird nirgendwo in der Stadt oder darüber hinaus erzählt. Sie findet einfach nicht statt – ausgeblendet – damnatio memoriae.

Ja, die Defizite in der Aufarbeitung der Geschichte sind groß, gerade auch in Potsdam. Aber, wo gibt es einen besseren Ort, um diese Aufarbeitung zu leisten, und wo, wenn nicht hier, sollte diese Aufarbeitung geschehen und sichtbar gemacht werden? Denn auch dieses Wort gilt: Da, wo nichts (mehr) ist, wird auch nichts erinnert und bleibt bestenfalls ein abstraktes Pfund zur Beschäftigung akademischer Zirkel. Hier aber geht es um mehr, und das muss es auch.

Hier geht es um die Schaffung eines Diskursraumes und um ein Signal, sich für Frieden, Versöhnung und die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen. Im Vorwort zum Nutzungs- und Betriebskonzept, das im Übrigen den Titel trägt: „Garnisonkirche Potsdam – Demokratieforum im Turm“ und das Anfang November 2022 dem Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche Potsdam vorgestellt wurde, heißt es dazu: „Das Projekt zum Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche in Potsdam hat weit über Potsdam hinaus eine nationale und internationale Bedeutung. Hier wird ein Forum entstehen, das für die Einhaltung der Menschenrechte und Wahrung der Freiheit wirbt sowie unsere Demokratie stärkt und festigt. In diesem Demokratieforum werden wir uns kritisch mit der Geschichte der Kirche auseinandersetzen und Brücken zu aktuellen Themen der Gegenwart schlagen. Potsdam erhält mit diesem Kirchturm, einem Hauptwerk des norddeutschen Barock, ein das Stadtbild prägendes Bauwerk zurück.“ Und weiter: „Entsprechend ihrer Satzung weiß sich die Stiftung der Förderung von Religion, Kunst und Kultur im Geiste der Toleranz und Völkerverständigung verpflichtet. Mit dem Wiederaufbau des Turms strebt sie dessen Nutzung als evangelische Kirche in religiöser Offenheit sowie als Bildungs-, Kultur- und Veranstaltungsort an.“

Die Dauerausstellung im Turm der Garnisonkirche, die neben dem Andachtsraum als eine der beiden Herzkammern des Wiederaufbauprojekts angesehen werden kann und die vom Autor dieser Zeilen als Kurator verantwortet wird, trägt dieser Ausrichtung Rechnung. In dieser Ausstellung mit dem Titel „Glaube, Macht und Militär“ wird der Versuch unternommen, auf etwa 250 Quadratmetern Besucherinnen und Besuchern eine informative und abwechslungsreiche Präsentation zur Auseinandersetzung mit der 300-jährigen Geschichte des historischen Ortes im Kontext deutscher und europäischer Geschichte zu präsentieren.

Die Ausstellung wird ein multiperspektivisches Panorama entwerfen, mit Blick auf die vielschichtigen historischen Verbindungen von Kirche, Macht, Machtstaatlichkeit, militärischer Tradition, autoritären Herrschaftsstrukturen und obrigkeitshörigen Haltungen. Und sie will zur proaktiven Beschäftigung mit Geschichte einladen und so Räume für den politischen Diskurs eröffnen. Im Ergebnis wird ein Lern- und Erinnerungsort entstehen mit eindrucksvollen Exponaten, aussagekräftigen Dokumenten, mit multimedialen Vertiefungsstationen und Computer gestützten Arbeitsplätzen, von denen aus Brücken mit Fragen an die Gegenwart geschlagen werden können. So entstehen vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen Räume zur Reflexion über aktuelle gesellschaftspolitische Fragen und zur Selbstreflexion über menschliches Handeln. Schließlich wollen wir mit dieser Ausstellung für aktuelle Gefährdungen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten sensibilisieren. Kurzum: Entstehen soll ein lebendiger Raum des Sehens, Verstehens und der Diskussion. Mit einem Angebot, das sich an alle richtet. 

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