Auf dem Prüfstand

Aus den Reihen der Ampelkoalition wird die Kirchensteuer infrage gestellt
Steuer
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In allen drei Parteien, die die Bundes­regierung tragen, gibt es Kräfte, die auf Änderungen im Religionsverfassungsrecht hinwirken. Sie nehmen neben dem Körperschaftsstatus der Kirchen insbesondere das Instrument der Kirchensteuer ins Visier. Martin Fritz, Referent der Evangelischen Zentralstelle für  Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin, berichtet über die Entwicklungen und sichtet die Argumente.

Mit der „Ampelkoalition“ von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen regieren seit mehr als einem Jahr drei Parteien, in denen säkulare Lebensanschauungen und säkularistisch-laizistische Ideale stark vertreten sind, insbesondere unter den zahlreichen jüngeren Bundestagsabgeordneten.

Die betreffenden Tendenzen artikulieren sich auch institutionell, in entsprechenden Parteigliederungen oder -foren. Seit Anfang 2013 besteht der „Bundesweite Arbeitskreis Säkulare Grüne“, inzwischen umbenannt in „Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne“. In der SPD wurde, nach längerem Vorlauf, beim letzten Parteitag am 11. Dezember 2021 die Einrichtung eines „Arbeitskreises ‚Säkulare Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten‘“ (kurz: „AK Säkulare Sozis“) beschlossen. Bei der FDP gibt es immerhin eine Facebook-Community „Liberale Säkulare“, die sich als „Plattform für alle laizistischen Liberalen mit einem säkularen Weltbild“ versteht. Inhaltlich und teils auch personell besteht jeweils eine große Nähe zu Organisationen wie der Humanistischen Union, dem Humanistischen Verband Deutschlands oder der Giordano-Bruno-Stiftung sowie zum Humanistischen Pressedienst.

Auch der Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung widmet sich in einem Abschnitt Fragen der Religionspolitik. Säkularistische Töne findet man hier allerdings nicht. Zwar wird die verfassungsrechtlich gebotene Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen ins Auge gefasst und eine „Weiterentwicklung“ des Religionsverfassungsrechts in Aussicht genommen. Aber dies soll alles „im Sinne des kooperativen Trennungsmodells“ erfolgen, das für das deutsche Religionsverfassungsrecht charakteristisch ist. Das heißt: Maßgeblich soll nicht eine strikte („laizistische“) Trennung von Kirchen/Religionsgemeinschaften und Staat sein, sondern eine Trennung, die gleichwohl die staatliche Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften durch verschiedene Formen der Kooperation erlaubt.

Zu den eingeführten Kooperationsoptionen zählt unter anderem die staatliche Verwaltungshilfe bei der Erhebung der Kirchenbeiträge durch die Finanzämter in Gestalt einer „Kirchensteuer“. Dabei fällt wohlgemerkt eine von den Kirchen zu begleichende Dienstleistungsgebühr in Höhe von rund drei Prozent des Kirchensteueraufkommens an. Im Jahre 2020 waren das im Falle der evangelischen Landeskirchen rund 185 Millionen Euro.

Nicht ohne Pathos

Just auf die genannte Form der Kooperation – und damit auf die nach wie vor zentrale Säule der Finanzierung der katholischen wie der evangelischen Kirche in Deutschland – zielt ein Positionspapier, das kurz nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags bei der Delegiertenversammlung der „BAG Säkulare Grüne“ am 11. Dezember 2021 verabschiedet wurde. Es trägt den sprechenden Titel „Überwindung der Kirchensteuer“. „Überwunden“ werden gemeinhin Hindernisse und Übel, und so ist schon mit der Überschrift deutlich (und nicht ohne Pathos) angezeigt, wie die Kirchensteuer von den grünen Säkularistinnen und Säkularisten eingestuft wird: Sie gilt ihnen als Paradigma des Übels der historisch eingeschliffenen Privilegierung der Kirchen und der „Diskriminierung“ anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, folglich aber als endlich zu überwindendes Hindernis auf dem Weg zu einer allgemeinen religions- und weltanschauungspolitischen Gleichberechtigung.

Die „Säkularen Grünen“ greifen damit eine Forderung auf, die schon im 20. Jahrhundert immer wieder laut wurde. Nachdem sich die religiös-weltanschauliche Landschaft mittlerweile aber massiv entkirchlicht und pluralisiert hat, wird diese Forderung nun mit dem Bewusstsein nahezu unbestreitbarer Evidenz vorgetragen. Angesichts der Tatsache, dass seit kurzem nicht einmal mehr die Hälfte der Deutschen einer der beiden Großkirchen angehört, erscheint deren ehemals selbstverständlicher Status als Körperschaften öffentlichen Rechts, aus dem sich das Recht auf staatlichen Einzug der kirchlichen Mitgliedsbeiträge ableitet, wie ein Relikt aus den Tagen kirchlicher Feudalherrschaft, das zugunsten der inzwischen herangewachsenen Großgruppe der Nichtkirchenmitglieder dringend „auf den Prüfstand gehört“. Dazu wird eine „öffentliche Auseinandersetzung über die Finanzierung der Kirchen“ angemahnt, für die neben den Kirchenmitgliedern auch die „Konfessions- und Religionsfreien einen gleichwertigen Anspruch auf Gehör“ haben sollen.

Das Ziel dieser Auseinandersetzung ist aus „grün-säkularer“ Perspektive klar: Die historisch „überlebte“ Kooperation von Staat und Kirchen bei der Kirchenfinanzierung, die „noch einer Zeit wechselseitiger Durchdringung“ entstammt, ist im Sinne einer sauberen Trennung zu beenden. Ersatzweise sollen „die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein eigenes Verwaltungssystem aufbauen“. Die religionspolitische Schlüsselfrage lautet: Stellt das Recht auf die Verwaltungsdienstleistung des staatlichen Einzugs von Mitgliedsbeiträgen, das den Kirchen aufgrund ihres Körperschaftsstatus eingeräumt wird, eine religionsrechtlich bedenkliche Privilegierung gegenüber anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften dar?

Schwerwiegender Umstand

Dem scheint nun aber ein schwerwiegender Umstand entgegenzustehen, der in einschlägigen Verlautbarungen gerne unterschlagen wird. Im Beschluss der „Säkularen Grünen“ findet er immerhin im hinteren Teil Erwähnung. Gemeint ist der Sachverhalt, dass (a) durchaus auch andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften den Körperschaftsstatus besitzen, die (b) infolgedessen selbst ebenfalls jene staatliche Steuererhebungsdienstleistung in Anspruch nehmen können, was sie aber (c) großenteils faktisch nicht tun. Zu diesen Gemeinschaften gehören beispielsweise einige Landesverbände des Humanistischen Verbandes Deutschlands, die die ihnen zustehende Dienstleistungsoption nicht nutzen. Dann fragt sich aber, ob der folgende Satz aus dem Beschluss zutrifft: „Im Ergebnis privilegiert der staatliche Einzug der Kirchensteuern […] einseitig die beiden großen christlichen Kirchen, obwohl diesen beiden Kirchen heute nur noch ein begrenzter Teil der Bevölkerung zugehört.“ Kann die gesetzliche Begünstigung einer Gemeinschaft als Privilegierung und mithin als Diskriminierung anderer Gemeinschaften gewertet werden, wenn diese anderen potenziell in derselben Weise begünstigt werden, darauf aber aus freien Stücken verzichten?

Das wäre an sich eine sonderbare Behauptung. Daher wird sie im zitierten Satz leicht modifiziert. Demnach besteht die Privilegierung (respektive Diskriminierung), wenn nicht dem Gesetzestext nach, so doch „im Ergebnis“. Diese Einschränkung wird nicht weiter erläutert, dürfte aber in etwa so zu verstehen sein: „Im Ergebnis“ generieren die Kirchen, die zu ihrer Finanzierung auf die Kirchensteuer und damit auf die Möglichkeit der staatlichen Verwaltungshilfe zurückgreifen, im Verhältnis zu den jeweiligen Mitgliedszahlen weit höhere Einnahmen als diejenigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die einfache Mitgliedsbeiträge erheben. Dies liegt vor allem daran, dass die Kirchensteuer durch die prozentuale Bemessung an der Einkommensteuer (8 oder 9 Prozent) bei vielen Mitgliedern einen erheblichen Betrag ergibt.

Hier dürfte auch der entscheidende Grund für die unterschiedlichen Verfahren zu suchen sein: Abgesehen von der verbreiteten Aversion gegenüber dem hoheitlichen Steuereinzug wären viele Mitglieder von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wohl nicht bereit, einen so hohen Mitgliedschaftsbeitrag zu zahlen. Die Benachteiligung „im Ergebnis“ wurzelt also vermutlich vor allem in der unterschiedlichen Beitragsbereitschaft. Und diese Differenz dürfte tatsächlich historische Gründe haben: Aufgrund der lange herrschenden Kirchenmitgliedschaftskonvention und einer entsprechenden Erwartung an die Beitragszahlungsbereitschaft empfinden es die Kirchenmitglieder immer noch als „normal“ und angemessen, so hohe Beiträge zu zahlen. (Und die es nicht mehr für angemessen halten, treten aus.)

Kann man aus einer historisch gewachsenen Beitragsbereitschaft bei bestimmten Religionsgemeinschaften, die einst in Deutschland dominierten, eine „Diskriminierung“ anderer, „jüngerer“ Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ableiten, weil ihnen das Vorrecht, das ihnen ebenfalls zusteht, nicht dieselben Erträge brächte? Anders formuliert: Liegt eine rechtliche Diskriminierung vor, weil bestimmte Privilegien, die mit dem Körperschaftsstatus verknüpft sind, aus historischen Gründen bei der einen Körperschaft besser auf die gewachsenen Strukturen und Mentalitäten passen als bei der anderen?

Auch wenn manche Passagen des Beschlusses den Eindruck erwecken, als würde sachlich genau jene historische Benachteiligung bestimmter Körperschaften geltend gemacht, ist das Positionspapier in der Beurteilung dieser Frage uneindeutig. Denn es heißt an einer Stelle auch: „Die herrschende Theorie und Praxis begünstigt anerkannte Körperschaften des öffentlichen Rechts.“ Damit wird offensichtlich eine andere Argumentationslinie eröffnet. Demnach liegt die fragwürdige Begünstigung überhaupt im Körperschaftsstatus, aus dem sich das Verwaltungshilfeprivileg ableitet. Privilegiert werden aus dieser Perspektive alle religiösen oder weltanschaulichen Körperschaften, also neben den Kirchen etwa auch gewisse Freikirchen, jüdische wie alevitische Gemeinden sowie die einschlägigen humanistischen Landesverbände. Demgegenüber werden diejenigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften diskriminiert, denen (zum Beispiel aufgrund mangelnder organisationaler Rechtsförmigkeit) der Körperschaftsstatus vom Staat vorenthalten wird.

Status infrage gestellt

Daher wird in dieser Argumentationslinie nicht eigentlich das Kirchensteuerprivileg der religiösen oder weltanschaulichen Körperschaften, sondern, allgemeiner und religionsverfassungsrechtlich grundlegender, die Verleihung des Körperschaftsstatus an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften infrage gestellt. „Der Kirchensteuereinzug durch den Staat“ – genauer müsste man im Sinne der betreffenden Äußerungen des Papiers sagen: die Gewährung des Körperschaftsstatus durch den Staat als dessen rechtliche Voraussetzung – „diskriminiert aber nicht allein kleinere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Benachteiligt werden auch NGOs und gemeinnützige Organisationen, denen die Hilfe der Finanzämter nicht gewährt wird, auch wenn sie dies wünschen. Ein überzeugender sachlicher Grund für eine derart hervorgehobene Sonderstellung einzelner Religionsgemeinschaften ist nicht erkennbar.“

In der Konsequenz dieses Arguments sollten sich sämtliche Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (einschließlich zum Beispiel des Humanistischen Verbandes) nicht anders organisieren als der ADAC oder das Deutsche Rote Kreuz (beide werden im Text genannt), nämlich als gemeinnützige Vereine. Damit freilich gäbe der Staat tatsächlich ein zentrales Instrument der kooperativen Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf und machte einen großen Schritt in Richtung Laizismus.

Kirchenanalog organisiert

Im angedeuteten Schwanken der Argumentation scheint sich ein Richtungsstreit unter „säkularen“ Akteuren widerzuspiegeln. Dort gibt es strenge und radikal kirchenkritische Laizisten (prominent zum Beispiel bei der Giordano-Bruno-Stiftung) neben solchen „Humanisten“, die für die eigene Weltanschauungsgemeinschaft und ihre humanitäre Praxis selbst den Körperschaftsstatus samt den damit verbundenen Kooperationsprivilegien beanspruchen und sich damit in gewissem Sinne „kirchenanalog“ organisieren. Das muss aber nicht immer heißen, dass solche „Körperschaftshumanisten“ gänzlich der eingespielten laizistisch-kirchenkritischen Rhetorik entsagen – hier stehen offenbar noch gewisse Selbstklärungen aus.

Das gilt im Blick auf die Kirchensteuerfrage freilich auch für die Kirchen. Gerade angesichts der nachhaltig hohen Austrittszahlen hört man mitunter auch dort Stimmen, die gegenüber der schrumpfenden „Volkskirche“ das Ideal einer kleineren, aber „schlagkräftigeren“ Vereinskirche samt Verzicht auf die Kirchensteuer propagieren. Allerdings würde dies den Rückzug aus einer Vielzahl wesentlicher Aufgaben bedeuten, mancherorts auch den Rückzug aus der Fläche. Es ist eine Binsenweisheit: Auch in Zeiten digitaler Kontaktoptionen lebt die Präsenz der Kirchen wesentlich von der Präsenz ihres – in der Gesamtheit zweifelsohne teuren – Personals.

Die „Überwindung der Kirchensteuer“ bedeutete nicht das gänzliche Ende, aber doch eine dramatische Schwächung dieser Präsenz, die einem Ende mancherorts und in mancher Hinsicht ziemlich nahekäme. Das können die Kirchen von sich aus kaum wollen, auch wenn die Entwicklung vielleicht von selbst in diese Richtung läuft. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Bestandswahrung eines aufgeblähten „Kirchenapparats“, sondern um den Kontakt zu den Menschen – Mitglieder und, so gewollt, auch Nicht-Mitglieder –, um derentwillen die Kirchen in der Welt sind. 

 

Information

Zwei weitere Artikel von Martin Fritz zu diesem Themenkreis finden Sie auf den Seiten der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) unter

www.ezw-berlin.de/publikationen/artikel/ueberwindung-der-kirchensteuer
und
www.ezw-berlin.de/publikationen/artikel/lobbykonkurrenz-im-saekularen-spektrum-zur-gruendung-des-zentralrats-der-konfessionsfreien

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Martin Fritz

Dr. Martin Fritz ist Wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin und Privatdozent für Systematische Theologie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau.


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