Klima, Kabarett und Kirche

Was die Theologie von Eckart von Hirschhausen lernen kann

Ein erfolgreicher Kabarettist und Comedian beendet seine Bühnenprogramme. Diese Tatsache wäre eigentlich keine eigene Kolumne im Rahmen eines evangelischen Onlineportals wert, selbst wenn der Kabarettist und Comedian einer deutschbaltischen Gelehrten- und Pfarrersfamilie entstammt, 2017 als Reformationsbotschafter wirkte und sich auf der Bühne im Nebensatz schon einmal als evangelischer Christenmensch vorstellt. Auch die besondere Art der Bühnenprogramme, die der promovierte Mediziner Eckart von Hirschhausen nun beendet, wäre eigentlich noch kein Thema für diese Kolumne. Sein „medizinisches Kabarett“ war zwar in seiner Kombination von medizinischer Aufklärung, Aufforderung zu umfassender Gesundheitsprävention und klassischen Kabarett-Elementen eine ganz besondere Kunstform, aber dann nur ein besonders unterhaltsamer Teil von gewitzter wissenschaftlicher Aufklärung und phantasievoller Wissenschaftskommunikation hierzulande. Hirschhausen lehrt kaum zufällig regelmäßig an zwei Universitäten.

Zum Thema dieser Kolumne ist Hirschhausens Abschiedstournee aus zwei Gründen geworden. Den einen Grund hat er selbst mehrfach öffentlich und auch in den Abschiedsvorstellungen formuliert: Unsere Erde, so formulierte Hirschhausen, ist in den multiplen Krisen zu einem Notfall geworden, da könne er als Arzt nicht am Abend Kabarett spielen. Auch der zweite Grund prägt das Programm seiner Abschiedstournee: In diesen multiplen Krisen hängen Fragen der Gesundheit ganz eng mit Fragen des Klimaschutzes zusammen. Wir leiden seit zweieinhalb Jahren an einer Virus-Pandemie, die (wie schon manche Pandemien zuvor) von Tieren auf Menschen übertragen wurde. Solche globale Verbreitung ursprünglich tierischer Erkrankungen hängt ganz eng aber mit weltweiten einseitigen Ernährungsgewohnheiten zusammen, die ihrerseits gesundheitsschädlich sind. Aufgrund dieser dringenden Notwendigkeit, nicht nur auf dem Feld des Klimaschutzes energische Schritte einzuleiten, sondern auch bei der Gesundheitsprävention, hat sich Hirschhausen entschieden, eine Stiftung zu gründen („Gesunde Erde – gesunde Menschen“: https://stiftung-gegm.de/) und sich in Zukunft hauptsächlich für den Zusammenhang von Klimaschutz und Gesundheitsschutz zu engagieren.

Bewusste Emotionalisierung

Wer die letzten Vorstellungen von Hirschhausens medizinischem Kabarett gesehen hat, beispielsweise jüngst im Berliner Tempodrom, konnte erleben, wie sehr schon dieses letzte Programm von der Notlage des Planeten einerseits und andererseits vom Zusammenhang von Gesundheits- und Klimafragen geprägt war. Die sattsamen bekannten Probleme beim Klima, die Zerstörung natürlicher Biodiversität durch Monokulturen und Nutztierhaltung, der unnatürlich hohe Fleischkonsum bei einem Teil der Weltbevölkerung und der dadurch bedingte Hunger bei dem anderen Teil, die ungesunde, sitzende Lebensweise vieler Menschen in Europa, die absurde Wegwerfkultur bei Kleidung, die unter unwürdigen und klimaschädlichen Umständen produziert wurde  – natürlich wird es kaum jemand im Auditorium von Hirschhausen gegeben haben, der von all’ dem zum ersten Mal hörte und als Veranstaltung zur Erstaufklärung der Menschheit über die multiple Krisenlage hat der Künstler seine Abende ganz sicher auch nicht angelegt. Was mich darauf gebracht hat, über die Abschiedstournee von Hirschhausen zu berichten, war ein durchgängiger Grundzug seines Programms, den er selbst jüngst in einem Interview als bewusste Emotionalisierung beschrieben hat und explizit von anderen Formen der Wissenschaftskommunikation abgesetzt hat: „Ein Problem der Wissenschaftskommunikation ist, das Forschung alles dafür tut, Subjektivität und Emotion zu vermeiden“. Warum sollte man aber überhaupt wünschen, dass sich Kommunikation von Forschung mit Subjektivität und Emotion verbindet?

Vertrauen schaffen

Immer wieder ist in jüngster Zeit darauf hingewiesen worden, dass das Vertrauen in die Wissenschaft im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2020 deutlich nachgelassen hat, weil viele Menschen nicht verstanden, dass sich angesichts neuer Forschungsergebnisse das wissenschaftliche Bild von Virus und Pandemie änderte. An dieser Stelle auf Individuen zu setzen, die durch ihre besondere Art der Kommunikation Vertrauen schaffen können, kann helfen, Vertrauen in die Wissenschaft zu bewahren oder wieder aufzubauen. Insofern sollte Wissenschaft nicht nur so objektiv wie möglich sein, sondern durchaus auch auf Individuen bezogen und damit subjektiv (wenn man in diesem klassischen Dual bleiben will). Wenn sich die Wissenschaft an die Fakten hält und sich dem Ideal der Wahrheit verpflichtet fühlt, kann sie durchaus zugeben, dass alle überzeugenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch durch ihre subjektiven Anteile überzeugend wirken. Und genauso ist immer wieder im Zusammenhang der Pandemie darauf hingewiesen worden, dass Menschen Einsichten aus der Wissenschaft nicht in Verhaltensänderung umsetzen wollen.

Emotionalisierung (richtig eingesetzt) könnte bei der Verhaltensänderung helfen, weil emotional bewegte Menschen sich leichter bewegen. Leidenschaft für die Wahrheit ist durchaus ja auch eine Emotion. Wie man das richtige Gleichgewicht zwischen der Kommunikation von strenger objektiver Wissenschaft einerseits und subjektiver Emotionalisierung hält, lässt sich ein Stück weit von Hirschhausen lernen. Natürlich nicht durch schlichte Imitation – den meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hören nun einmal nicht zweitausend Menschen in einem Festsaal zu. Aber sein Vorbild kann die eigene Kreativität anregen und davor bewahren, Wissenschaftskommunikation immer nur als langen, dann gar noch abgelesenen Vortrag anzulegen, dessen Kernsätze auf Powerpointfolien nachzulesen sind und auf den eine Podiumsdiskussion mit geladenen Gästen folgt. Man kann auch hier einen Kulturwandel beobachten: Viele Leute wollen auch gut unterhalten werden, wenn Wissenschaft kommuniziert wird und bei ihren eigenen Fragen abgeholt werden.

Theologische Themen

Und was das alles nun mit Theologie und Kirche zu tun? In dem Abschiedsprogramm, mit dem Hirschhausen gerade durch die Lande tourt, ist immer wieder einmal über theologische Themen die Rede, mal mehr indirekt, mal mehr direkt. Der Mensch, so sagt der Künstler, ist nicht die Krone der Schöpfung, sondern Teil eines Netzwerks, in dem es auf Beziehung ankommt. So kann man auch die Kernaussage vieler biblischer Texte beider Testamente zusammenfassen. In seinem Programm präsentiert Hirschhausen eine Umdichtung eines bekannten Songs der Beatles: „All you need is less“ und lässt sein Publikum mitsingen. Das bekannte Lied soll dazu helfen, den alten Satz „weniger ist mehr“ zu internalisieren. Wir werden nicht immer weiter immer mehr verdienen, produzieren und konsumieren. Der Künstler trägt diese Botschaft aber nicht als sauertöpfische, gar noch apokalyptisch grundierte Drohbotschaft vor. Er will vielmehr Menschen Vergnügen daran vermitteln, nicht immer mehr zu wollen und auf diese Weise gesünder und klimagerechter zu leben. Man spürt ihm das Vergnügen an, dass ein solcher Lebensstil Lebensqualität steigert und nicht senkt. Anders formuliert: Er wirbt vergnügt für eine solche Haltung.

Wirbt Kirche vergnügt für eine Lebenshaltung nach dem Evangelium? Sind unsere Predigten in einem guten Sinne auch subjektiv und emotional oder nur wohl gesetzte Vorträge? Und was hat die gesundheits- und klimabewusste Lebensweise mit dem Evangelium Jesu Christi zu tun? Auf solche Fragen führt ein Besuch im Abschiedsprogramm „Endlich!“, mit dem Eckart von Hirschhausen gerade durch die Lande zieht. Man darf hoffen, dass man solche Fragen nach dem Ende der Tournee in der einen oder anderen Kirchengemeinde, auf dem einen oder anderen Kirchen- oder Katholikentag mit ihm diskutieren und auf diese Weise gemeinsam nach Antworten suchen kann.

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