Kostbares, klangvolles Unikum

Über den Kirchenlieddichter Jochen Klepper
Jochen Klepper
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Jochen Klepper (1903-1942)

Der Journalist und Schriftsteller Jochen Klepper (1903 – 1942) ist mit einigen wenigen geistlichen Liedern bis heute bekannt, präsent und beliebt. Gedanken zu einem außergewöhnlichen Leben und zum berühmtesten Lied Kleppers anlässlich des bevorstehenden 80. Todestages am 11. Dezember.

Bis heute erfreuen sich einige Lieder Jochen Kleppers, die im Evangelischen Gesangbuch stehen, großer Beliebtheit. Und eines, das berühmteste, wird sicherlich am kommenden dritten Adventssonntag in vielen Kirchen gesungen „Die Nacht ist vorgedrungen“. Der kommende Sonntag lädt auch zum Gedenken an den tragischen Tod Kleppers und seiner Familie vor 80 Jahren, am 11. Dezember 1942, ein. Insgesamt gibt es im Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs (EG) sogar zwölf Lieder, die auf Klepper zurückgehen. Damit ist er nach Martin Luther (28) und Paul Gerhardt (26) der dritthäufigste Autor im EG.

Es ist besonders die Biografie Jochen Kleppers, die neben der Eigentümlichkeit seiner geistlichen Dichtung immer wieder berührt. „Ein Leben zwischen Idyllen und Katastrophen“, wie es die Klepperbiografin Rita Thalmann im Untertitel ihres 1977 in erster Auflage erschienenen Buches über den Dichter bezeichnete[1] - das passt. Von Ende 1932 bis zu seinem Tod 1942 führte Klepper Tagebuch. Es wurde 1956 mit dem Titel „Unter dem Schatten Deiner Flügel“ veröffentlicht. Alle paar Tage gibt es Eintragungen Kleppers, der aus seinem Leben berichtet und es deutet. Es enthält viele Details über ihn, sein Denken und seine Familie, zumindest seit 1932 aus der Kleppers eigener Sicht, aus seinem inneren Erleben.

Am 22. März 1903 wird Jochen Klepper als Pastorensohn in Beuthen an der Oder geboren. Es handelt sich dabei um das „kleine“ Beuthen in Niederschlesien, eine Stadt mit damals gut 3000 Einwohnern, nicht um die große Industriestadt gleichen Namens in Oberschlesien. Kleppers Großvater väterlicherseits hinterließ ein stattliches Vermögen, das es der Familie erlaubte, zumindest bis zur Inflation 1923 auf deutlich größerem Fuß zu leben, als es das Pfarrgehalt von Vater Georg Klepper erlaubt hätte. Jochen Kleppers Mutter Hedwig stammte aus einer ursprünglich katholischen Familie, in der es einige Künstler gab. Eine ihre Schwestern, Tante Liesel, war Schauspielerin und lebte in Nürnberg. Jochen Klepper hat diese Tante als Kind und Jugendlicher öfters besucht und war fasziniert von dieser anderen Welt. Klepper hat vier Geschwister, zwei ältere Schwestern (Margot und Hildegard), und zwei jüngere Brüder (Erhard und Wilhelm). Diese Kindheit in Beuthen an der Oder bezeichnet Klepper sehr viel später in seinem Tagebuch als „Höhepunkt“ seiner Familiengeschichte.

Familie Klepper beim Winterspaziergang im niederschlesischen Beuthen, um 1910. Ganz links: Jochen Klepper
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Familie Klepper beim Winterspaziergang im niederschlesischen Beuthen, um 1910. Ganz links: Jochen Klepper

 

Diese Kindheit endet an seinem 14. Geburtstag am 22. März 1917: Von diesem Tag an besucht Klepper das Gymnasium in Glogau, das gut 20 Kilometer oderaufwärts von Beuthen entfernt liegt. Zunächst pendelt er mit dem Zug, dann aber ist das für den zarten Jungen zu anstrengend und vermutlich Ende 1917 wird er unter der Woche mit einem Mitschüler bei seinem Französischlehrer Erich Fromm einquartiert, einem Freund der Familie, damals 30 Jahre alt, ein strammer Patriot und – wie sich später herausstellt – auch ein Antisemit. Er nimmt den jungen Klepper unter seine Fittiche und wird zu einer seiner wichtigsten Bezugspersonen.

Über diese Zeit schreibt der Klepper-Biograf Markus Baum: „Das Verhältnis ist natürlich nicht symmetrisch. Der junge Jochen Klepper ist der Schutzbefohlene, ist Schüler, ist abhängig, und es deutet einiges darauf hin, dass der Lehrer und väterliche Freund diese Abhängigkeit ausnutzt“ – sprich: ihn sexuell missbraucht. Das kann man heute natürlich nicht mit letzter Klarheit sagen, aber „auf jeden Fall richtet Fromm durch seine ,eifersüchtige Obhut‘ in dem Heranwachsenden ein emotionales Chaos an, und das wäre schon schlimm genug. Emotionaler und/oder körperlicher Missbrauch, verübt durch den Mann, dem ihn der Vater anvertraut hat, der beim Vater ein und ausging. Darüber reden kann er nicht. Gefühlsverwirrung und Scham verschließen dem jungen Mann den Mund. Vielleicht ist er nicht als Einziger betroffen. Von den zwölf Schülern seines Gymnasialjahrgangs werden sich bis zum Schulabschluss fünf das Leben nehmen.“

Klepper wohnt bis zum Abitur 1922 bei diesem Erich Fromm. Nach dem Abitur studiert Klepper Theologie, er wandelt also auf den Spuren seines Vaters. Zunächst geht er zwei Semester nach Erlangen, dann wechselt er nach Breslau, die schlesische Metropole mit damals 550.000 Einwohnern. In Breslau sind zwei junge Theologieprofessoren wichtig für ihn: der Neutestamentler Erich Lohmeyer und der Religionsphilosoph Rudolf Hermann. Lohmeyer beeindruckt den jungen Studenten durch seine plastische Sprache und poetischen Versuche, Hermann fesselt den jungen Klepper als Prediger.

Unaufdringlich, höflich, beharrlich

Die Inflation 1922/23 vernichtet einen Großteil des väterlichen Vermögens, die Sorglosigkeit der Kinder- und Jugendjahre ist vorbei. Klepper weiß, dass er nun auch finanziell auf eigenen Füßen stehen muss. Er schickt kleine Texte und Gedichte an Zeitungen, die zuweilen veröffentlicht werden, was ihn sehr freut und dringend benötigtes Geld bringt. Er nimmt am kulturellen Leben Breslaus teil und zeigt sich sehr breit interessiert – er bewegt sich auch gern im Kleinkunst- und Theatermilieu. Als Typ ist Klepper eigentlich unaufdringlich und höflich, aber er kann auch sehr beharrlich sein und lernt doch tatsächlich so die dänische Schauspielerin Asta Nielsen kennen, einen großen Stummfilmstar der Zwanzigerjahre.

Den Künstlerinnen und Künstler fühlt sich Klepper seelenverwandt. Die Erlebnisse in dieser Szene liefern ihm Stoff für Geschichten und Romanideen, von denen er allerdings nur wenige wirklich angeht. Seine Gesundheit ist sehr anfällig, Klepper muss 1925 zur Kur, und ständig quälen ihn Geldsorgen. Immer wieder kuriert er sich länger bei den Eltern in Beuthen aus. Im Jahr 1926 erleidet er einen psychischen Zusammenbruch. Im Laufe dieses mehrere Monate währenden Zustandes vernichtet er fast alle seine Gedichte und literarischen Skizzen und beendet sein Theologiestudium, denn er muss dringend Geld verdienen, weil die Eltern nach einem Schlaganfall des Vaters auf Jochens Unterstützung angewiesen sind.

In der Folgezeit wird Klepper immer erfolgreicher als Journalist und Autor, auch überregionale Zeitungen drucken bald Artikel von ihm, und im Frühjahr 1927 wird er Redakteur beim „Evangelischen Presseverband für Schlesien“. Dieser Presseverband gibt das wöchentlich erscheinende Gemeindeblatt mit der ansehnlichen Auflage von 42.000 Exemplaren heraus, außerdem volksmissionarische Traktate und ist Agentur für kirchliche Nachrichten für andere Presseorgane.

Romanfragmente im Kopf

Klepper arbeitet auch bald als Autor für den Rundfunk in Breslau, für den er auch die Übertragung von Gottesdiensten betreut und tritt 1928 in die SPD ein – die Motive dafür sind nicht ganz klar. Ende der Zwanzigerjahre hat Klepper jedenfalls ein gutes finanzielles Auskommen als teilzeitangestellter Redakteur des Evangelischen Presseverbandes und als freier Autor für viele Zeitungen und Rundfunkanstalten. Überdies spuken ihm viele Romanfragmente im Kopf herum.

Und dann, am 26. April 1929, einem Freitag, lernt Jochen Klepper Johanna Stein kennen. Er sucht ein neues Zimmer und stellt sich bei der vermögenden Witwe, die 13 Jahre älter ist als Klepper, vor. „Wenn ich diese Frau nicht heiraten kann, will ich nie im Leben eine andere“, habe er gleich gedacht, so erzählt er später.

Hanni Stein hat zwei Töchter: Brigitte (damals 11) und Renate (damals 9 Jahre alt). Kleppers Eltern und die Geschwister sind nicht begeistert, besonders der Vater begegnet Hanni Stein sehr reserviert. Gegen die antijüdischen Ressentiments, die in dieser Zeit dramatisch anwachsen, ist auch Kleppers Familie nicht immun. Am 28. März 1931 heiraten Jochen Klepper und Hanni Stein in Breslau. Kleppers Familie kommt nicht zur Trauung.

Der Klepper-Biograf Markus Baum schreibt: „Jochen und Hanni Klepper geben ein interessantes Paar ab. Er hat gerade seinen 28. Geburtstag gefeiert, sie hat die 40 überschritten. Er ist durchschnittlich groß und dabei schon sehr schlank, aber selbst neben ihm ist sie ein überaus zierliches Persönchen, zudem einen Kopf kleiner als er. An gemeinsamen Vorlieben haben sie die Musik – profane wie geistliche Werke – und das Theater, aber auch die Literatur und die Freude an allem, was formvollendet und edel ist. Und dann sind da natürlich die die beiden Mädchen, Brigitte und Renate. Längst nehmen sie auch in Jochen Kleppers Leben und Überlegen viel Raum ein.“ Klepper hat die Kinder von Anfang an sehr geliebt, sie ernstgenommen „und auf diese Weise rasch einen Platz im Herzen seiner Stieftöchter erobert. Er wollte von ihnen nicht Vater genannt werden, aber er hat die Vaterrolle ein- und angenommen.“

Allein nach Berlin

Bald nach der Hochzeit bekommen die Kleppers die galoppierende Wirtschaftskrise zu spüren: Es ist die Zeit, in der Reichskanzler Brüning mit Notverordnungen regiert, der drastische Sparkurs verschärft die Krise noch. Klepper bekommt kaum noch Aufträge, und auch das Vermögen von Hanni Stein gerät in Turbulenzen. Das hat zur Folge, dass Jochen Klepper zunächst allein Ende September 1931 nach Berlin übersiedelt, um in der Millionenmetropole neue Arbeit, neue Aufträge zu finden.

Im Laufe des Jahres 1932 etabliert sich Klepper dort als Autor, er veröffentlicht wieder mehr Artikel auch in renommierten Zeitungen. Endlich findet er auch eine großzügige und bezahlbare Wohnung in Berlin-Steglitz, sodass Hanni Stein und die Töchter Ende März 1932 aus Breslau endlich nachkommen können. Wirtschaftlich geht es für die Familie langsam etwas besser, die politische Lage aber wird im Laufe des Jahres 1932 immer schlechter…

Dessen ungeachtet beginnt Klepper Ende September 1932 einen neuen Roman, eine Novelle, eine heitere Geschichte aus dem Milieu der Oderschiffer. Es überkommt ihn einfach und er schreibt die Geschichte bis Anfang November fertig. Die Novelle heißt „Der Kahn der fröhlichen Leute“ Unsicher bleibt zunächst, ob ein Verlag ihn nimmt. Dafür werden seine Kontakte zum Rundfunk enger, eine Anstellung scheint sich abzuzeichnen und wird dann Wirklichkeit. Um mögliche Hindernisse gleich auszuräumen, tritt Klepper im Oktober 1932 aus der SPD aus – denn beim Rundfunk ist man schon damals streng rechtsnational eingestellt.

Seit dem Herbst 1932 führt Klepper, wie eingangs erwähnt, Tagebuch und am Tag nach der „Machtergreifung“ Hitlers, am 31. Januar 1933 ist darin folgender Eintrag zu lesen: Hitler ist Reichskanzler. Noch einmal ist das verhängnisvollste Bündnis zustande gekommen, (…) die größte deutsche Gefahr: das Bündnis zwischen dem Adel und dem Pöbel. Im Funk müssen wir alle mit unserer Entlassung rechnen. Auf dem Funkhaus die Hakenkreuzfahne! Was uns jetzt an Antisemitismus zugemutet wird, ist furchtbar. Selbst Schnabels Beethovenabende mussten ganz plötzlich abgesetzt werden. Und das gerade in den Tagen, in denen ihm die Universität Oxford den Ehrenbürger für die „einzigartige Interpretation deutscher Kunst“ verleiht.

„ … muss ich anonym bleiben“

Kaum sind die Nazis an der Macht, sinkt der Stern des jungen Redakteurs beim Funkhaus Berlin, denn nun gilt er als „jüdisch versippt“: Ich werde im Funk (…) mühevoll durchgehalten, habe keine Aussichten, habe ein Einkommen, das nach der Meinung der Zuständigen in keiner Weise meiner Tätigkeit und meinen Leistungen entspricht. Ich muss anonym arbeiten. Hörfolgen, ganze Zyklen, die von A bis Z mein geistiges Eigentum sind, laufen unter dem Namen anderer – träger und unbegabter – Autoren! Auch in der Regie muss ich anonym bleiben, (…) nur weil ich eine jüdische Frau habe. (5. Juni 1933)

Am 7. Juni 1933 wird Klepper beim Funk entlassen. Kurz durchzuckt ihn der Gedanke zu emigrieren, so wie es viele deutsche Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle bereits getan haben, täglich tun und noch tun werden. Aber Klepper hängt zu sehr an Deutschland, an der deutschen Sprache. Außerdem geht sein heiterer Roman „Der Kahn der fröhlichen Leute“ richtig durch die Decke – endlich Erfolg, zumindest als Buchautor, und die Buchtantiemen helfen nach der Funkentlassung erst mal durchzuhalten.

Die Eintragungen im Tagebuch lassen deutlich werden, was für einen Schatz der Glaube für Jochen Klepper darstellt. Obwohl er sich einst bewusst gegen den Pfarrerberuf entschieden hatte, ist Klepper ein durch und durch gläubiger evangelischer Christ, der am Wort der Bibel hängt, ja, der nicht anders kann, als die ganze Welt und ihr Ergehen im Lichte des Glaubens zu verstehen:

Dass ich aber fromm bin – das schreibe ich so lapidar ganz ruhig. Es ist d a s Geschenk meines Lebens. Jenes Geschenk, das einem unter effektiven Qualen zu Teil wurde und nun die Frage nach der Schuld und dem Übel stumm macht, obwohl man täglich die Schuld und das Übel durchlebt. (14.3.1933)

Ist Gott n i c h t : dann ist mir alles gleich, Glück oder Unglück, Gut oder Böse, Tod oder Leben. I s t Gott: dann ist mir erst recht alles gleich; dann soll er mit mir machen, was er will. Eins meiner elementarsten Gefühle ist die Dankbarkeit, so sehr ich unter Übel und Schuld leide. Die Nerven sind in Unruhe, aber die Seele ist ruhig. Die Vorgänge sind wirr, aber mein Schicksal ist geordnet. (3.4.1933)

Kleines Glück im großen Unglück

Dann hat Jochen Klepper hat im Sommer 1933 kleines Glück im großen Unglück: Wenige Wochen nach seiner Funkentlassung findet er eine neue Stellung im Ullstein-Verlag. Dort redigiert er eine Radioprogrammzeitschrift und hat darüber hinaus Bürotätigkeiten zu machen. Am 24. Mai 1933 schreibt er ein erstes geistliches Gedicht in sein Tagebuch, eine Art „Präludium des Erfahrungsraumes, den seine Lieder beschreiben werden“, (Harald Seubert):

Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand, / ohne Gott ein Tropfen in der Glut,
ohne Gott bin ich ein Gras im Sand / und ein Vogel, dessen Schwinge ruht.
Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft, / bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft.

Ich kann ganz und gar nicht behaupten, dass mir vom Christentum eine Beruhigung herkäme. Ich weiß nur das eine: dass die Anrede Gottes an den Menschen durch das Wort der Schrift, dass die Spiegelung aller Lebensvorgänge in solcher Anrede der Hauptinhalt meines Lebens ist.

Die Bürotätigkeit bei Ullstein füllt Klepper natürlich nicht aus. Einen neuen Roman möchte Klepper schreiben, und zwar über Friedrich Wilhelm I. von Preußen, den „Soldatenkönig“. Der Titel soll sein: „Der Vater“. Mit Eifer macht er sich ans Werk, arbeitet Tag und Nacht. Doch das Jahr 1935 bringt neue Bedrängnisse: Im Sommer verliert Klepper seinen Arbeitsplatz beim Ullstein-Verlag. Der Grund: Seine angeheiratete jüdische Familie. Klepper konzentriert alle Kraft auf die Fertigstellung von „Der Vater“ – dem großen Roman. 1935 schreibt Klepper die ersten „Geistlichen Lieder“, oder „Kirchenlieder“, wie er sie selbst nennt. Es sind zunächst Gelegenheitswerke neben seiner Arbeit am neuen Roman, die ihn 1935/36 sehr in Anspruch nimmt.

Jochen Klepper (um 1937)
Foto: epd

Jochen Klepper (um 1937)

 

Im Frühjahr 1937 erscheint „Der Vater“ – die Geschichte Friedrich Wilhelms I., des sogenannten Soldatenkönigs, der Vater Friedrich des Großen, und das 900-Seiten-Buch, ein ganz anderes Kaliber als „Der Kahn der fröhlichen Leute“ 1933, wird ein sehr großer Erfolg. Der Roman wird mehrfach aufgelegt und mehr als 100.000 Mal verkauft. In diesem Buch beschreibt Klepper realistisch, aber letztlich mit Sympathie und in Überhöhung, die Geburt des modernen Preußens und die Rolle des frommen, gestrengen, aber letztlich gerechten Kronprinzen und späteren Königs.

In dem Buch ist eine Menge „Obrigkeitsmystik“ im Spiel. So legt Klepper dem Aufständischen Clement, der mit dem Tod sühnen muss und dennoch die Autorität des Königs nicht in Frage stellt, diese Worte in den Mund: „Könige, Majestäten, Könige im Glauben sind wandelnde Gleichnisse unter den Menschen, sind Hüter der heiligen Ordnungen Gottes, für die er sich in seinem Sohn hingab. Haushalter seiner Geheimnisse sind die Könige – auch dort, wo sie morden.“

Doch selbst dieser große Erfolg des Romans, der Anerkennung bis in höchste Wehrmachts- und Regierungskreise bringt – selbst Innenminister Wilhelm Frick äußert sich sehr anerkennend über den „Vater“ –, ist nur ein brüchiger Schutzschild vor der kommenden Gefahr: Brigitte, die ältere der beiden Töchter Hanni Steins, ist kurz vor Kriegsbeginn 19 Jahre alt. Sie emigriert im Mai 1939 nach England. Die 17-jährige Renate, die Klepper zärtlich „Renerle“ nennt, bleibt bei den Eltern in Berlin.

Am 1. September 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Bald nach Kriegsbeginn wird den Kleppers klar, dass es ein Fehler war, nicht zu emigrieren. Immer häufiger hören sie von Deportationen jüdischer Menschen in die besetzten polnischen Gebiete. Kleppers Angst um seine Frau und besonders seine Tochter wächst. Er fürchtet Zwangsscheidung von seiner Frau und Deportation beider. Im Dezember 1940 wird Klepper zur Wehrmacht eingezogen. Er ist paradoxerweise froh darüber, denn er meint, dass er Frau und Tochter „im Felde“ besser schützen könne als zu Hause. Doch aufgrund „jüdischer Versippung“ wird er Anfang Oktober 1941 unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen.

Jochen Klepper als Soldat  (Ende 1940).
Foto: epd

Jochen Klepper als Soldat  (Ende 1940)

 

Kaum ist Klepper zurück in Berlin, setzt er alle Hebel in Bewegung, um „Renerle“ eine Emigration in die Schweiz zu ermöglichen. Doch die Schweiz mauert. Klepper versucht, eine Ausreise Renates nach Schweden zu erreichen. Aber auch Schweden scheint nicht geneigt, bedrohte deutsche Juden aufzunehmen. Klepper, seine Frau und seine Tochter versinken immer mehr in Angst. Der Dichter Klepper ist längst verstummt, er arbeitet nicht mehr, schreibt nur noch in sein Tagebuch. Und er denkt immer häufiger an die letzte Möglichkeit: die Selbsttötung der Familie. Dann, am 5. Dezember 1942 überschlagen sich die Ereignisse:

Am Vormittag kam ein Anruf des schwedischen Gesandten Almqvist: das schwedische Ministerium des Äußeren hat angerufen, dass für Renate die Einreiseerlaubnis erteilt ist. Nachmittags waren Renerle und ich zu Almqvist bestellt. Almqvist lehnt allen Dank ab; er sei nur ein Werkzeug Gottes gewesen. Was kann schon die kommende Woche bringen! Soll denn noch einmal ein Ende sein mit der furchtbaren Selbstanklage, dass wir Renerle nicht mit Brigitte nach England geschickt haben?

Nun müssen nur noch die deutschen Stellen mitmachen: Klepper erhält am 8. Dezember 1942 einen Termin bei Wilhelm Frick, dem Reichsinnenminister, höchstpersönlich. Frick schätzt Klepper als Autor von „Der Vater“. Doch auch Frick kann (oder will) nicht helfen. Er sagt laut Kleppers Tagebuch vom selben Tage: Noch ist Ihre Frau durch die Ehe mit Ihnen geschützt. Aber es sind Bestrebungen im Gange, die die Zwangsscheidung durchsetzen wollen. Und das bedeutet nach der Scheidung gleich die Deportation des jüdischen Teils. Ich kann Ihre Frau nicht schützen. Ich kann keinen Juden schützen. Solche Dinge können sich ja der Sache nach nicht im Geheimen abspielen. Sie kommen zu den Ohren des Führers und dann gibt es einen Mordskrach.

Nur noch im Reichssicherheitshauptamt könne man etwas tun, so Frick. Der zuständige Beamte sei ein gewisser Adolf Eichmann. Kleppers Verzweiflung wächst ins Unermessliche. Erstmals lehnt er sich auch innerlich gegen Gott auf: Gott weiß, dass ich es nicht ertragen kann, Hanni und das Kind in diese grausamste und grausigste aller Deportationen gehen zu lassen. Er weiß, dass ich ihm dies nicht geloben kann, wie Luther es vermochte: „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, K i n d u n d W e i b, lass fahren dahin. – Leib, Gut, Ehr – ja!“ Gott weiß aber auch, dass ich alles von ihm annehmen will an Prüfung und Gericht, wenn ich nur Hanni und das Kind notdürftig geborgen weiß. (8.12. 1942)

Jochen Klepper geht zu Adolf Eichmann, jenem Mann, der später durch seine aufsehenerregende Verhaftung und seinen Prozess in Jerusalem Anfang der 1960er-Jahre weltweit Aufsehen erregt. Beim ersten Mal macht der ihm noch Hoffnung. Was dann geschieht, bleibt unklar, aber sicher ist, dass Eichmann im zweiten Treffen am 10. Dezember alle Hoffnung auf Ausreise Renates nach Schweden zunichtemacht[2]. () In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 setzen sich Hanni Stein, Renate Stein und Jochen Klepper an ihren Küchentisch, drehen den Gasherd auf und gehen gemeinsam in den Tod. Kurz vorher schreibt Klepper die letzte Eintragung in sein Tagebuch, die einzige Eintragung, über der kein Bibelvers steht: Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.

Seit dem 11. Dezember 2014 liegen „Stolpersteine“ für Jochen Klepper, Johanna Klepper und Renate Stein vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie in der Teutonenstraße 23 in Berlin-Nikolassee.
Foto: picture alliance

Seit dem 11. Dezember 2014 liegen „Stolpersteine“ für Jochen Klepper, Johanna Klepper und Renate Stein vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie in der Teutonenstraße 23 in Berlin-Nikolassee.

 

Heute denkt man: Natürlich hätte er emigrieren müssen. Auswandern, fliehen am besten gleich 1933. Thomas Mann tat es, Berthold Brecht tat es, der Theologe Paul Tillich tat es – sie alle verließen Deutschland und – sie überlebten. Jochen Klepper emigrierte nicht, er blieb in Berlin, er erduldete alles, was da kam. Und nicht nur das: In seinem Tagebuch wird immer wieder deutlich: Klepper kann, ja will sich gar nicht auflehnen.

Diese Geduld, dieses Ausharren, dieses Erleiden wurde ihm später vorgeworfen. Zum Beispiel vom Schweizer Schriftsteller Rudolf Jakob Humm, der sich in den 1950-er Jahren über Klepper empörte, besonders über dessen Wehrdienst, denn dieser „(hätte) auf jeden von uns ohne mit der Wimper zu zucken geschossen (…), wenn ihm das von seinem Nazistaat befohlen worden wäre, und für diese Führung und Fügung obendrein seinem Gott auf den Knien gedankt (…).“[3] Und weiter: „Jedes Land hat sein Getier, aber Schafe gibt es wirklich nur in Deutschland. Welch ein Einfaltspinsel, der sein Gewehr ergreift im Dienste eines Staates, der ihm vorschreibt, welche Frau er heiraten darf. Jochen Klepper sah im Nazistaat die von Gott eingesetzte Obrigkeit. Wir stehen vor einer Schicksalsergebenheit, die weit schlimmer ist als die vom dialektischen Materialismus geschaffene! Der Fall Jochen Klepper gereicht der evangelischen Kirche nicht zur Zierde![4]

Man ist versucht, Jochen Klepper, der so wunderbare geistliche Lieder schrieb, in Schutz nehmen. Aber in der Sache liegt dieser unbarmherzige Kritiker nicht wirklich daneben: Ja, Klepper war schicksalsergeben. Er war sehr war er damit beschäftigt, die immer neuen, immer schwereren Bedrängnisse tiefsinnig zu deuten und bedeutungsschwer zu interpretieren, anstatt alles daran zu setzen, dieser Bedrohung zu entkommen. Klepper war eben nicht Dietrich Bonhoeffer, sondern erscheint eher als ein dunkles, passives Gegenbild zu Bonhoeffer, der Lichtgestalt, die aktiv Widerstand leistete. Jochen Klepper schuf zwar wunderschöne geistliche Gedichte, aber politisch war er sicher zu duldsam, zu passiv, zu geduldig. (Vor zehn Jahren, anlässlich des Gedenkens an den 70. Todestag Kleppers hat Martin Rothe einen sehr instruktiven Beitrag für zeitzeichen geschrieben, den Sie hier nachlesen können)

Grab von Jochen und Johanna Klepper und ihrer Tochter Renate Stein auf dem Friedhof Nikolassee (Berlin, Bezirk Steglitz).
Foto: picture alliance

Grab von Jochen und Johanna Klepper und ihrer Tochter Renate Stein auf dem Friedhof Nikolassee (Berlin, Bezirk Steglitz).

 

Muss man mit Kleppers politischen und staatsbürgerlichen Verhalten hadern, wenn man sich heute in seine Texte versenkt? Die Trennung von Person und Werk erscheint hier eher angebracht zu sein, denn um die Texte wäre es schade: Die lyrische Sprache Kleppers ist altertümlich, bewusst altertümlich. Sie ist stilistisch geschult und inhaltlich gespeist von der Lutherbibel, von den Chorälen Paul Gerhardts und anderer großer geistlicher Dichter. Und doch hat die Sprache Jochen Kleppers bei aller Strenge und gewobenen Künstlichkeit einen Zug, der anrühren kann. Klepper versteht es kunstvoll, das „Schon-und-Noch nicht“ des christlichen Glaubens zum Ausdruck zu bringen. Darin liegt bis heute die Kraft seiner geistlichen Lyrik, die sich besonders an dem Gedicht „Die Nacht ist vorgedrungen“ aufzeigen lässt.

 
„Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper im Evangelischen Gesangbuch, Strophen 1-3.
Foto: Reinhard Mawick

„Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper im Evangelischen Gesangbuch, Strophen 1-3.

 

Das Lied schrieb Klepper am 18. Dezember 1937 als „Weihnachtslied“. Die fünf Strophen und ist vom Text eine Wechselbewegung aus dem überwundenen Leid über die Schau der Erlösung bis zur gestärkten Aussicht auf weiter zu überwindendes Leid.

 Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.

Das Dunkel weicht, das Licht kommt! Das ist die Hoffnung dieser ersten Strophen. Eine Hoffnung, die auch denen zuteilwird, die „zur Nacht geweinet“ haben. Sie können froh mit einstimmen und ihre Tränen vorerst vergessen, denn der Morgenstern „bescheinet … Angst und Pein“. Das meint natürlich nicht, dass sie grell ans Licht gezerrt werden, sondern im Gegenteil: beschienen im Sinne von erhellt, erleichtert. Und der „helle Morgenstern“ meint natürlich Jesus, den Erlöser der Welt. In der Formulierung klingt Offenbarung 22, 16f. an, wo es heißt: „Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch dies zu bezeugen für die Gemeinden. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der helle Morgenstern.“ Diesen Vers haben auch schon andere frühere Gesangbuchdichter aufgenommen, so zum Beispiel Philipp Nicolai in seinem bekannten Epiphaniaslied „Wie schön leuchtet der Morgenstern, voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn, die süße Wurzel Jesse“ (EG 70).

Kleppers Dichtung ist voller biblischer Bezüge, in jeder Strophe lassen sich mehrere anführen[5]. Trotzdem gewinnen die Sprache einen ganz eigenen Klepperklang, in dem die Vorbilder aufscheinen, aber es trotzdem etwas ganz eigenes ist.

In den beiden folgenden Strophen dichtet Klepper das Jesus-Christus-Geschehen in markanten Zeilen, zunächst die zweite Strophe:

Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.

In den beiden ersten Zeilen ist der gesamte kühne Umfang der christlichen Gottesvorstellung umrissen: Der präexistente Logos (dem alle Engel dienen) wird nun ein Kind (in der Krippe) und ein Knecht, der selbst die Schuld der Menschheit trägt und sühnt. Wer an dieses eigentlich unglaubliche Geschehen glaubt, wer diesem kindgewordenen Gott glaubt, der wird gerettet oder vielmehr dessen Rettung hat bereits begonnen, so heißt es in der dritten Strophe

 Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet,
seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet,
den Gott selbst ausersah.

 „Die Nacht ist schon im Schwinden“ – welch geheimnisvolle Doppeldeutigkeit. Das ist einerseits gut, es wird hell. Aber man erahnt auch eine Gefahr, denn der Zauber der Heiligen Nacht, die Einzigartigkeit der Erlösung, die auch mit einer Entscheidung verbunden ist, kann ungenutzt vorübergehen. Die vierte Strophe dämpft solche Angst, weil nun ein Glanz über allem liegt:

Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.

Sicher, es wird noch viel Schlimmes passieren, „noch manche Nacht wird fallen“ aber – so schwer es auch zu denken ist – der „Stern der Gotteshuld“ ist mit Jesus Christus unauslöschlich in die Welt gekommen. Die Rettung muss nicht erst noch kommen, sondern sie „kam“ bereits in Jesus Christus „von Gottes Angesicht … her“, das „Dunkel“ also kann nicht mehr festhalten.

Eigentlich hätte Klepper hier aufhören können, mit diesem tröstlichen, rettenden Schluss. Aber keine Erlösung ohne Gericht, und so folgt noch die fünfte Strophe, die die Erlösungswirkung der vierten ein Stückweit eindämmt, denn es kommt für jeden das Gericht:

Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute,
der lässt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.

Doppeldeutig ist die Zeile, dass „(Gott) lässt den Sünder nicht.“ Gott lässt einen nicht fallen, ja, aber er lässt einen eben auch nicht sündigen. Und wo ist „hier“, wo „dem Sohn vertraut“ werden soll. Hier auf Erden. Hier beim Kampf für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Oder „hier“ beim Ausharren und Ertragen des Bösen und Annahme des Leidens – so ist der Lebensweg und letztlich der Weg aus dem Leben des Autors zu deuten.

„Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper im Evangelischen Gesangbuch, Strophen 4-5.
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„Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper im Evangelischen Gesangbuch, Strophen 4-5.

 

„Die Nacht ist vorgedrungen“ funktioniert auf ein bekanntes Versmaß, ein typisches Kirchenliedmetrum, das bis auf das Nibelungenlied zurückgeht. So könnte man das Lied beispielsweise auch auf die Melodie von „O Haupt voll Blut und Wunden“ (EG 85), von „Du, meine Seele, singe“ (EG 302) oder – was noch recht passend erscheint – auf „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11) oder sogar – was weniger passend erscheint – auf „Wie lieblich ist der Maien“ (EG 501) singen. Könnte. Doch Kleppers bekanntestes Lied ist für viele untrennbar mit einer extra für dieses Gedicht geschaffenen Melodie verbunden, mit der sie bereits im alten Evangelischen Kirchengesangbuch von 1950 vertreten ist.

Diese besondere Melodie schuf Johannes Petzold im Jahr 1939. Ein Jahr vorher waren die ersten 16 geistlichen Gedichte (darunter „Die Nacht ist vorgedrungen“) erstmals gesammelt im Band „Kyrie“ erschienen, der dann 1940 noch eine erweiterte Auflage mit 29 Gedichten erfuhr. In den Kreisen der bekennenden Kirche wurden die Texte begierig aufgenommen und teilweise per Hand abgeschrieben weitergegeben.

Aus einem Guss gelungen

Johannes Petzold (1912 – 1985) war damals Volksschullehrer im Erzgebirge. Nach dem Krieg wurde er Kantor und später Dozent an der Thüringer Kirchenmusikschule in Eisenach. Wie Klepper mit den zahlreichen Bibelbezügen, so schuf auch Petzold eine Melodie mit zahlreichen Anklängen an vergangene Choralweisen und -rhythmen: „So entsprechen die beiden Anfangszeilen in der rhythmischen Abfolge fast genau denjenigen des Pfingstliedes von Johann Crüger Zieh ein zu deinen Toren (EG 133; Text: Paul Gerhardt) und in der Harmonik klingt es stark nach den alten Kirchentonarten. „Dabei haben die geradzahligen Zeilen, dem Charakter des Textes entsprechend, einen eigentümlich offenen Abschluss.“[6]Aber genauso, wie Klepper mit reichhaltiger Verwendung biblischer Vorlagen etwas ganz Neues schuf, so ist Petzold „mit der reich gegliederten und dennoch in sich geschlossenen Melodie wie aus einem Guss gelungen, auch wenn er vorgeprägte Melodie-Elemente verarbeitet hat.“[7]

Diese besondere Melodie und diese besonderen Zeilen haben den Autor dieser Zeilen schon als Kind sehr angerührt. Er hofft sehr, dass sie auch im künftigen Evangelischen Gesangbuch, das Ende der 2020er-Jahre erscheinen soll, vertreten ist. Denn mit Klepper, über dessen (Glaubens-)Leben und (Lebens-)Haltung durchaus gestritten werden kann, ist eine ganz besondere, geprägte lyrische Sprache in die evangelische Choralwelt gekommen, gleichsam ein Unikat eines Unikums, dem der Melodist Johannes Petzold eine unverwechselbare klangvolle Gestalt verliehen hat.

Hörbeispiel:
„Die Nacht ist vorgedrungen“ (Aufnahme mit dem Athesinus Consort unter der Leitung von Klaus-Martin Bresgott, edition chrismon 2010)

Hinweis:
Hörenswert ist die RBB-Dokumentation „Vier Stimmen – das Schicksal der Familie Klepper“, siehe hier.

 

[1] Reichhaltiges Material zu Jochen Klepper – auch aus der Zeit vor 1932 – findet sich in zahlreichen Monografien über Klepper. Die umfangreichste Biografie veröffentlichte 1977 die Historikerin Rita Thalmann (Jochen Klepper – Ein Leben zwischen Idyllen und Katastrophen“, München 1977). Aus neuerer Zeit empfehle ich die die Veröffentlichungen von Harald Seubert („Auch wer zur Nacht geweinet“ – Jochen Klepper (2003-1942) – Eine Vergegenwärtigung, Wesel, 2014) und die Biografie von Markus Baum ( Jochen Klepper, Schwarzenfeld, 2011).

[2] Adolf Eichmann wird später, 1961, bei seinem Prozess in Jerusalem zum Fall Klepper befragt. Seine Antwort: „Ich erinnere mich nicht!“

[3] Rudolf Jakob Humm, Ein deutsches Schaf, in : Unsere Meinung, Zürich, Februar/März 1959, zitiert nach Rita Thalmann, siehe FN 1.

[4] Ebd. , zitiert bei Heinz Grosch: »Nach Jochen Klepper fragen«, Stuttgart, 1982, S. 168

[5] Vergleiche dazu besonders Frieder Wolf, Artikel „Die Nacht ist vorgedrungen“, in Gerhard Hahn und Jürgen Henkys (Hg.) „Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Band 2, Göttingen 2001, 11 f.

[6] AaO, 15.

[7] Ebd.

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