Wichtige Debatte

Wurzeln der Judenfeindschaft

Tilman Tarach, der bereits vor wenigen Jahren mit einer Publikation zum israelbezogenen Antisemitismus in Erscheinung getreten war, analysiert in seinem knapp über 200 Seiten langen gut zu lesenden Text Teuflische Allmacht die Verschränkung der religiösen und säkularen Judenfeindschaft. In 22 meist sehr knapp gehaltenen Kapiteln geht er der Frage nach, in welchem „Verhältnis die Gründungsmythen und Leitideen der christlichen Lehre als solche zum Antisemitismus stehen – und zwar durchaus auch zum modernen, nationalsozialistischen und schließlich auch zum israelbezogenen Antisemitismus“. Das Hauptargument Tarachs, das er retardierend vorbringt, lautet: Die Unterscheidung von Antijudaismus und Antisemitismus trage nicht, denn der religiöse und säkular-rassische Antisemitismus seien aufs engste miteinander verknüpft und könnten daher nicht voneinander getrennt werden. Tarach setzt seine argumentative Kraft dem Gedanken entgegen, dass bis in die Moderne wesentlich religiöse Argumente im Antijudaismus angeführt worden seien und mit der Rassenlehre eine neue Form des Antisemitismus einsetzte, die dann auch für die Verfolgung und Ermordung des europäischen Judentums verantwortlich sei.

Der Ausgangspunkt für diese Argumentation ist dabei die Annahme, dass erst mit dem Christentum eine spezifische Judenfeindschaft eingesetzt habe, die grundlegende Merkmale des Antisemitismus erzeugt habe. Zentral sind dabei für Tarach sowohl die Christus- beziehungsweise Gottesmordlegende als auch christliche Ritualmordanschuldigungen. In allen Phasen der Judenfeindschaft seien diese Motive neu aufgegriffen und jeweils aktualisiert worden. Die vorchristliche Judenfeindschaft wird von Tarach wiederum als gängige „Fremdenfeindlichkeit“ beschrieben und so wird der These widersprochen, dass Judenfeindschaft auch in einem nichtchristlichen Kontext bestand, wie beispielsweise der Judaist Peter Schäfer argumentiert. Tarach widerspricht gerne mit Deutlichkeit und bisweilen unnötig scharfzüngig. Die imaginierte Vorstellung einer dämonischen Allmacht des Judentums, wie er dem Antisemitismus innewohnt, sei erst mit der Entstehung des Christentums erkennbar und wirke bis heute fort. So finden sich sowohl in Texten des Neuen Testaments als auch in allen Phasen der Kirchengeschichte Begründungszusammenhänge des Antisemitismus, in denen die Dämonisierung von Jüdinnen und Juden mit deren Blut begründet werde.

Das Buch ist dabei in seiner Argumentation als ein kursorischer Durchgang durch die Geschichte der Judenfeindschaft angelegt. Das immer wiederkehrende Argument Tarachs, das durchaus zu überzeugen weiß, wird so für unterschiedliche Phasen des historischen und gegenwärtigen Antisemitismus angewandt. Dabei gelingt es Tarach, stichhaltig die Aufnahme und Virulenz christlicher Judenfeindschaft für Akteure des Nationalsozialismus und des gegenwärtigen Antisemitismus (der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem israelbezogenen Antisemitismus) darzulegen. Die Idee der Reinheit des Blutes, wie sie auch im Nationalsozialismus bestand, sei beispielsweise keine Erfindung des 19. Jahrhunderts, sondern entstand im Kontext der Reconquista in Spanien. Auch damals habe Jüdinnen und Juden die Taufe nicht geholfen, dem Antisemitismus zu entkommen.

Der Durchgang durch biblische Texte, aber auch ganze kirchengeschichtliche Epochen, geschieht im Buch zwangsläufig überblicksmäßig, sodass das Urteil über das Verhältnis der Kirche(n) zum Judentum beziehungsweise zu Israel doch schablonenhaft wirkt. Beispielsweise muss eine Darstellung der paulinischen Haltung gegenüber Israel im Ungefähren bleiben, wenn sie keinen Blick auf Römer 9–11 wirft.Und auch das abschließende Kapitel „Zur Ideologie des Christentums“ spricht eine eigene meinungsstarke Sprache, die mehr persönliche Glaubenssache als wirkliches Argument ist. Und trotzdem: Tarachs Buch ist ein Beitrag zu einer wichtigen Debatte, die im Raum der Kirchen und der Theologie noch unzureichend geführt wird.

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Foto: Privat

Hans-Ulrich Probst

Hans-Ulrich Probst ist seit 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Praktische Theologie der Universität Tübingen und ist Mitglied der Evangelischen Landessynode in Württemberg. 


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