Christdemokratische Synodennachwehen?

Der Evangelische Arbeitskreis NRW will eine Petition gegen Aussagen von Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich diskutieren. Was wusste Thomas Rachel?
Thomas Rachel, MdB und Mitglied des Rates der EKD
Foto: epd
Thomas Rachel (CDU) ist Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU und Mitglied im Rat der EKD.

Der Auftritt von Klimaaktivistin Aimée van Baalen vor knapp einer Woche erfreute Teile der EKD-Synodalen sichtlich. Nicht so den evangelischen Arbeitskreis der CDU in Nordrhein-Westfalen, der jetzt möglicherweise eine Petition gegen Aussagen der Synoden-Präses Anna-Nicole Heinrich auf den Weg bringen will. Motto: „Wir treten nicht aus. Wir widersprechen.“

Unter der Überschrift „Annäherung der Kirche an die ,Letzte Generation‘ ist befremdlich und beschämend“ erschien heute im Ressort Wirtschaft der Tageszeitung DIE WELT ein Beitrag, in dem zu lesen stand, dass „kirchennahe CDU-Politiker“ heftige Kritik an der Unterstützung der Evangelischen Kirche für die Klimaaktivisten von „Letzte Generation“ üben. Gleichzeitig wurde in dem Beitrag auf eine Petition hingewiesen, die der NRW-Landesverband des Evangelischen Arbeitskreises der CDU (EAK) gegen die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, auf den Weg bringe.

Das hörte sich zunächst ein bisschen nach Revolution an. Will der EAK etwa die Synodenpräses stürzen? Fordert er gar ihren Rücktritt? Diesen Gedanken konnte man hegen, zumal in der WELT im forschen Indikativ zu lesen war: „Der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises von CDU und CSU, der Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel, unterstützt die Aktion.“ Das wäre schon ein Aufreger, denn Rachel ist seit 2009 Mitglied des Rates der EKD.

Stehen also dem Rat der EKD, deren Mitglied qua Amt auch Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich ist, bald Führungskämpfe bevor? Wohl nicht, denn der Initiator der Petition, der Essener Unternehmer und EAK-Landesvorsitzende Henning Aretz, gab gegenüber zeitzeichen bereitwillig Auskunft, dass er den Entwurf der Petition einen Tag nach der Synode verfasst habe, aber dass der Landesvorstand des EAK NRW erst auf seiner Klausurtagung am 18. und 19.11. beraten und beschließen werde. Offiziell ist also noch gar nichts, mal schauen, ob also überhaupt etwas draus wird, aber trotzdem möchte man ja wissen, was denn nun in dem ominösen Entwurf steht, der heute Morgen anscheinend nur der WELT vorlag?

Aufruf zur innerkirchlichen Diskussion

Henning Aretz macht daraus kein Geheimnis und sandte ihn gerne zu (und gerne dokumentiert zeitzeichen den übersichtlichen Inhalt, siehe unten)[1]. Letztlich ist der Entwurf ein Aufruf zur innerkirchlichen Diskussion, wie die Proteste von Organisationen wie Extinction Rebellion oder eben der noch radikaleren Gruppe „Letzte Generation“ zu bewerten sind. Während der ehemalige Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm ja bereits am Beginn der Synodaltagungen die Methoden der Letzen Generation als „komplett kontraproduktiv“ zurückgewiesen hatte, rührte sich am „Klimatag“ der Synode, dem Dienstag vergangener Woche, kein offizieller Widerspruch. Und auf der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag sagte die Synodenpräses dann sogar, dass Straßenblockaden „ein legitimes Mittel des zivilen Widerstandes von Klimaaktivisten“ seien. 

Diese scheinbare Gutheißung oder gar „Absegnung“ der momentan gesellschaftlich äußerst umstrittenen Protestformen war dann wohl für einige von der CDU zu viel, auch wenn sich auf der Synode niemand von ihnen im Plenum dagegen wandte. Dort hatten sich zwar nicht alle, sondern vielleicht nur etwa die Hälfte der Synodalen von ihren Plätzen erhoben, um der sehr friedlich und freundlich sprechenden Aktivistin Aimée van Baalen zu applaudieren, aber richtiges Kontra gab ihr in der anschließenden Aussprache niemand, auch nicht Thomas Rachel oder sein Vorgänger im Rat, der CDU-Politiker Hermann Gröhe. Vielleicht war man selbst von der schönen Atmosphäre des Soziotops Synode so ergriffen, dass man die Stimmung nicht stören wollte. Dass viele, seien sie in der CDU oder in anderen Parteien, die Protestformen der Letzten Generation für einen absoluten Fehler halten, so wie es Bedford-Strohm artikulierte, ist offenkundig. Selbst wenn sie das törichte Gerede von der  Klima-RAF (CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt) nicht teilen, und weder der Bremer CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann zustimmen, die eben bei den Kollegen von idea den Rücktritt von Anna-Nicole Heinrich forderte, und noch wie WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt in einem Video  die EKD endgültig als aussterbende Vorfeldorganisation der Grünen brandmarken.

Was wusste Thomas Rachel?

Die einzige Frage, die aufgrund des WELT-Artikels vielleicht interessant sein könnte, ist die Behauptung, dass der EAK-Bundesvorsitzende und EKD-Ratsmitglied Thomas Rachel die Aktion bereits im Entwurfsstadium unterstütze. Rachel ist zurzeit in Südamerika und wollte dazu direkt nichts dagegen sagen, sondern ließ zeitzeichen ein Statement senden, in dem er inhaltlich dem Geist des Entwurfes zustimmte[2].

Ob er von der Aktion gewusst habe, ließ Rachel offen. Wahrscheinlich, weil er den EAK-Landesverband in NRW, selbst wenn er sich über dessen Gebaren im konkreten Falle geärgert haben mag, nicht öffentlich rügen will, denn was bringt das, außer Journalisten Freude. Aber dass er von der Aktion gewusst hatte, wie die WELT behauptet, ist sehr unwahrscheinlich. Dies legt auch der Vater der Initiative, Henning Aretz aus Essen, nah, der gegenüber zeitzeichen bezüglich der vermeintlichen Mitwisserschaft Rachels freimütig bekannte: „Diese Bemerkung war für mich das einzig Neue in dem Artikel der WELT.“

 

[1] Hier der Petitionsentwurf im Wortlaut. Unter der Überschrift „Wir treten nicht aus. Wir widersprechen.“ steht das Folgende:

Proteste müssen in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen friedlich bleiben – Protestformen, die Gewalt gegen Menschen oder Sachen ausüben, sind nicht legitim. Sie werden mindestens als Nötigung bestraft. Dies trifft auch und gerade auf Straßenblockaden der sog. „Letzten Generation“ zu.

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Frau Anna-Nicole Heinrich, hat während der EKD-Synode in Magdeburg solche Straßenblockaden als legitimes Mittel des zivilen Widerstandes bezeichnet.

Dieser Ansicht widersprechen wir. Wir haben die tiefe Sorge, dass solche Äußerungen der Evangelischen Kirche und ihren Mitgliederzahlen unermesslichen Schaden zufügen.

Wir halten die Unterstützung gewaltbereiter Aktivisten in einem demokratischen Gemeinwesen für friedensfeindlich und brandgefährlich.

Wir laden ein zu einer breiten Debatte über die Bedeutung von Gewalt und Frieden in der Evangelischen Kirche und bitten ihre verantwortlichen Gremien um klärende Stellungnahmen.

[2] Hier das Statement von Thomas Rachel vom 14.11. 2022 gegenüber zeitzeichen:
"Die Äußerung aus der EKD, dass Straßenblockaden akzeptierbar seien, ist zurecht auf kontroverse Reaktionen bei Gemeindemitgliedern gestoßen. Dies zeigen zahlreiche Gespräche und Rückmeldungen. Eine Diskussion über diese Position ist ohne Zweifel sinnvoll. Über das Format einer solchen Diskussion gibt es sicherlich unterschiedliche Meinungen. Mein Weg war und wird auch in Zukunft nur das Gespräch sein. Für mich ist klar, dass Eingriffe in den Freiheitsbereich anderer Menschen durch Straßenblockaden nicht zu akzeptieren sind und nicht durch die Evangelische Kirche legitimiert werden dürfen. Alle müssen sich an die durch Verfassung und Gesetze normierte Rechtsordnung halten."

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