Wenn alles wackelt

Präses und Ratsvorsitzende zeigen vor der EKD-Synode nachdenkende christliche Zuversicht
Präses Anna-Nicole Heinrich vor der Synode
Foto: EKD/Jens Schulze

Auf der Slackline oder in tiefem Wasser - die beiden Frauen an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland fanden eindrückliche Bilder für die aktuelle Situation in Kirche und Gesellschaft. Doch beiden gelang es zum Auftakt der EKD-Synode auch, Zuversicht zu vermitteln ohne in grinsenden Optimismus zu verfallen. Das galt auch für die schweren Themen Friedensethik und sexualisierte Gewalt in der Kirche.

Das Bild bleibt hängen: Anna-Nicole Heinrich, Präses der EKD-Synode, auf der Slackline, diesem schwankenden schmalen Band, das man zwischen zwei Bäume hängt um darauf zu balancieren. Es erscheint hinter Heinrich, während sie der Synode am Sonntagvormittag den Bericht des Präsidiums vorträgt. Und auch der ist von ihrer Erfahrung auf der Slackline geprägt, die sie auf die Situation überträgt, in der sich die Kirche befindet. Starten am Baum der Traditionen, an dem man sich festhalten kann, ihn aber loslassen müssen, um das angestrebte Ziel zu erreichen, die Kirche der Zukunft. Aber auch gerechten Frieden, verantwortliches Zusammenleben mit der Schöpfung und gelebte Nächstenliebe. Der Gang zwischen Tradition und Verheißung ist schwankend und suchend „nach einem konkreten greifbaren Bild von einer Kirche der Zukunft.“

Heinrich verweist auf die Krisen, die die Slackline ins Wackeln bringen und die die Synodalen in den kommenden Tagen Beschäftigen werden: Der Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Suche nach Antworten in der evangelischen Friedensethik. Die Klimakrise, auf die die EKD unter anderem mit einer neuen Richtline und Roadmap reagiert, aber auch der Umgang mit Populisten und sozialen Verwerfungen. „Unsere Welt gerät in schweres Wasser.“ Dagegen stehe, so Heinrich, die christliche Hoffnung als Fixpunkt, auf den es sich auszurichten gelte, damit der Gang über den Gurt gelingt. Sich mit den Krisen theologisch beschäftigen, zugleich pragmatische Antworten suchen und Haltung zeigen, auch wenn es wackelt – ein gelungener Auftakt für eine Synodaltagung in diesen Zeiten.

Dem Nichtwissen das Wort reden

Der Mut zur Zuversicht trotz Krise, prägte auch die Rede von Annette Kurschus, die der Synode ihren ersten Bericht als Ratsvorsitzende vortrug. Doch auch ihr ist pausbäckiger, demonstrativ grinsender Optimismus fremd. Sie blieb ihrem nachdenkenden leisen Stil treu und sieht diesen auch als Chance für die Kirche auch in den Diskussionen um den Krieg in der Ukraine. „Im Gegensatz zu Politikerinnen und Politikern, die unmittelbar entscheiden müssen, haben wir die Freiheit – und, wie ich meine, auch die Pflicht! -, die Geschwindigkeit zu drosseln, wo die Ereignisse sich überstürzen, dem Nichtwissen das Wort zu reden, wo der Brustton der Überzeugung herrscht, mit dem Irrationalen zu rechnen, wo alles rational durcherklärt ist, Dilemmata zu formulieren, wo es vermeintlich nur richtig oder falsch gibt.“

Kurschus erneuerte ihren Aufruf zu Gesprächen, der ihr nach ihrer Predigt am Reformationstag („Verachtet Verhandlungen nicht“), viel Kritik in den sozialen Medien eingebracht hat, allen voran vom ehemaligen Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk. Auf Twitter hatte er der EKD einen „Eiertanz mit dem Kriegsverbrecher Putin“ vor und einen „heuchlerischen Verrat am ukrainischen Volk vorgeworfen, „den wir Euch, Dienern von Judas, NIE verzeihen.“ Kurschus nannte Melnyks Namen in der Rede nicht, sagte aber: „Der Ruf nach diplomatischen Bemühungen, um einen Waffenstillstand zu ermöglichen, ist weder herzlos noch ignorant gegenüber den Menschen in der Ukraine. Im Gegenteil. Er ist nüchtern realistisch und höchst aufmerksam für die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges.“ Es gehe nicht darum, die Ukraine zu Verhandlungen aufzufordern. Das wäre in der Tat naiv. „Aber ich unterstreiche: Gespräche auf unterschiedlichsten Ebenen dürfen niemals für unmöglich erklärt werden.“

Biblisches Framing

Beifall der Synodalen folgte nach diesem Satz und langer, langer Applaus nach der Rede. Denn Kurschus stillte gerade mit dem umfassenden biblischen Framing ihrer Aussagen zu den aktuellen Krisenthemen (Klimawandel, Armut durch steigende Preise, Populismus) offenbar auch eine Sehnsucht der Anwesenden nach theologischer Fundierung gesellschaftlichen und politischen Handelns.  Mit der Geschichte vom Fischzug des Petrus (Lukas 5), der gegen alle Erfahrungen der Aufforderung Jesu folgt und nach Misserfolgen in der Nacht am Tag erneut ins tiefe Wasser zum Fischen fährt, verband sie die Themen der Zeit und der Diskussionen in den kommenden Tagen auf zum Teil überraschende Weise.

Dass der See Genezareth damals auch der Ort eines Kriegsverbrechens der römischen Besatzer war („Heute würde diese Bibelgeschichte in Butscha spielen“) dürfte vielen Synodalen ebenso wenig bekannt gewesen sein wie die eigentliche Bedeutung des Begriffes „Menschenfischer“. Der habe damals eben nicht, wie Populisten heute, Menschen mit einem Netz aus Halbwahrheiten und vereinfachenden Antworten an sich gebunden, sondern im Gegenteil als „Zogron“ diese von Sklavenhändlern und Piraten freigekauft. Und so konnte Kurschus auch zum Gespräch mit denen aufrufen, die Verschwörungstheorien und Populismus nahestehen. Denn es nutze nichts, Ausgrenzung kategorisch mit Ausgrenzung zu beantworten – zumal es ja auch in den evangelischen Gemeinden Menschen mit dieser Haltung gebe. In der anschließenden Pressekonferenz stellte Kurschus allerdings auch klar, dass es die rote Linie des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit gebe, die sie das Gespräch dann doch beenden ließe.

Sexualisierte Gewalt und Kirche

Eine Aussage der Ratsvorsitzenden sorgte in dieser Pressekonferenz für kritische Nachfragen. Mit Blick auf die Reaktion des Petrus nach dem erfolgreichen Fischzug („Geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch“) leitete sie über zum Thema sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche. „Die Sünde ist mehr als die Addition der einzelnen Taten – obwohl allein deren Summe unerträglich ist. Die Sünde betrifft nicht allein einzelne Täter und Täterinnen, wir alle sind darin verstrickt, niemand kann sagen: Mit mir hat das nichts zu tun.“  Und an anderer Stelle: „Gegen unsere Bosheit hilft nur die Treue Gottes.“  

Tatsächlich? Das gilt für alle Kirchenmitglieder? Sind alle Menschen, die hier sitzen, böse? Die Antwort der Ratsvorsitzenden: „Hier sitzen nicht nur böse Menschen, aber Menschen, in denen das Böse haust. Wir alle sind darin verstrickt, nicht immer nur das Gute zu wollen. Und selbst wenn wir das Gute wollen, gerät es manchmal zum Bösen.“ Und zur Verstrickung in die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche stellte Kurschus klar, dass es ihr mit dieser Aussage um die Schuld innerhalb des Systems ging: „Die sexualisierte Gewalt kann auch in unserer Kirche geschehen, weil wir einander schützen, wir decken, wir blicken weg.“

Die Synode habe sich nun dazu verpflichtet, genau und verbindlich hinzuschauen, wo es um die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung geht. Es wurden neue Strukturen und Gremien geschaffen, die nach dem gescheiterten ersten Versuch der Beteiligung Betroffener an der Aufarbeitung nun Besserung bringen soll. Das neue Format des Beteiligungsforums stelle sicher, so Kurschus, dass betroffene Menschen maßgeblich einbezogen würden in sämtliche synodale Entscheidungen, die das Thema sexualisierte Gewalt betreffen. „Ich halte das für einen wichtigen und zukunftsweisenden Schritt.“ Am Dienstagnachmittag werden Betroffene der Synode berichten und an den Beratungen zum Thema teilnehmen.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"