Fortschritt durch Lernen
Ich bin neidisch. Ich hätte auch gerne mal so etwas Gediegenes zu erzählen wie Klaas Huizing in seiner z(w)eitzeichen-Kolumne von Anfang des Monats. Er spaziert da an alabasterfarbenen Klippen in der Normandie entlang. Sehr lesenswert, sehr schön, auch tiefgründig.
Wer nichts zu erzählen hat, der könnte ja was fordern, oder? So macht man das ja in Kolumnen nicht selten. Allerdings, auch das weiß man, verbraucht sich das zügig. Außerdem erhält man dann Post. Von denen, die sich zu Unrecht bekrittelt fühlen. Von jenen, die die verhandelte Sache ganz anders sehen. Und wenn ich ehrlich bin, kenne ich mich so richtig auch nur mit zwei bis drei Themen aus. Verbleibe ich bei ihnen, wird’s schnell redundant. Dann bliebe mir nur das Ausgreifen auf andere – Obacht! – Topoi. Aber wer will schon wie Welzer und Precht enden?
Schließlich könnte man das Genre und sich selbst ironisieren. Ich hoffe sehr, dass das der Perfomance von Branchengrößen wie Harald Martenstein zugrunde liegt. Auch wenn ich mal gelernt habe, dass zu einem Witz auch ein Lacher gehört und man sich nicht auf Kosten Schwächerer amüsieren soll. Und bin ich dafür nicht auch noch zu jung?
Nein, ich will stattdessen etwas lernen. Ein Buch lesen, zum Beispiel. Leider fehlen mir dazu, ähnlich wie für die Strandspaziergänge in der Normandie, die Ressourcen. Die sind nämlich, wie ich finde, sehr ungerecht verteilt. Zeit, Kraft, Geld und Muße – das gibt es alles nicht im Übermaß. Ich sagte ja schon: Ich bin neidisch. Aber: Kommt Zeit, kommt Rat. Ich hab‘ ja noch ein paar Jahre.
Für Geschichte begeistert
So lange begnüge ich mich mit abendlichen Spaziergängen um den Wohnort. Das geht auch schnell, in einer Stunde bin ich drumherum gelaufen. Und währenddessen höre ich einen Podcast. „Eine Stunde History“ von Deutschlandfunk Nova derzeit besonders gern. Ich habe vernommen, dass vieles in unserer Welt nur aus seiner Geschichte heraus zu verstehen ist. Früher habe ich mich einmal sehr für Geschichte begeistert. Es war mein Lieblingsfach in der Schule.
In der letzten Folge von „Eine Stunde History“ geht es um den Stein von Rosette. Einen Stein, in den in Hieroglyphen, auf Demotisch und Altgriechisch ein altägyptisches Priesterdekret eingemeißelt ist. Mit Hilfe des dreisprachigen Steins gelang es Jean-François Champollion vor genau 200 Jahren, die demotische Schrift und schließlich die Hieroglyphen-Schrift zu entschlüsseln. Fortschritt durch Lernen.
Die Macher:innen des „Eine Stunde History“-Podcasts machen aus dieser an und für sich schon erstaunlichen und wunderbaren Geschichte eine Sendung, die auch über die Machtverhältnisse im alten Ägypten und unsere gegenwärtigen Kommunikationsgewohnheiten aufklärt. Und so läuft das eigentlich immer: Historisches Geschehen erklären, aktuelle Bezüge herstellen, Hintergründe verstehen.
Schlaues in den Kopf lassen
Ich den vergangenen Monaten durfte ich ganz häufig lesen und hören, dass „wir“ – man fragt sich, wer das eigentlich ist? – so viel nicht verstanden hätten oder eben nicht gelernt. Zum Beispiel über Osteuropa, die ehemalige Sowjetunion, Krieg und Militär, Abschreckung und internationale Beziehungen. Da ist sicher etwas dran.
Sicher wird es dafür auch Gründe geben. Zeit, Kraft und Muße gibt’s halt nicht im Überfluss. Mit allzu viel negativen Dingen will man sich ja sowieso nicht belasten. Doch an der prinzipiellen Verfügbarkeit von hervorragend aufbereiteten und erzählten Informationen liegt es sicher nicht. Allein die ARD-Audiothek, die ich auf meinem Smartphone mit mir herumtrage, würde zureichen, mehrere Lebensspannen mit Zuhören zu verbringen. Gerade die Sendungen über gegenwärtige Konfliktregionen sind sehr hörenswert.
Ich stöpsele mir also die Knöpfe ins Ohr und ziehe noch eine Runde um den Ort. Wenn genug Schlaues in den Kopf reinfließt, kommt davon vielleicht auch wieder was raus. Übrigens kann man die Sendungen der ARD-Audiothek, für die wir alle ja schon bezahlt haben, auch offline hören. Falls in der thüringischen Provinz oder in der Normandie mal kein Netz ist.
„Eine Stunde History“ von Deutschlandfunk Nova in der ARD-Audiothek
Philipp Greifenstein
Philipp Greifenstein ist freier Journalist sowie Gründer und Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“: https://eulemagazin.de