„Wir haben gemeinsame Interessen“

Gespräch mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann über die Rolle der Gewerkschaften, den anhaltenden Mitgliederschwund und andere Schnittmengen mit der Kirche
Foto:DGB/U.Voelkner/FOX
Portrait Reiner Hoffmann, DGB-Vorsitzender
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zeitzeichen: Herr Hoffmann, wenn ein junger Azubi Sie fragt, warum er in die Gewerkschaft eintreten soll, was antworten Sie ihm?

REINER HOFFMANN: Besseres Entgelt, kürzere Arbeitszeiten, mehr Urlaub.

Das bekommt er alles auch, ohne Gewerkschaftsmitglied zu sein.

REINER HOFFMANN: Aber mit ihm werden wir noch stärker, und das kommt ihm und anderen wieder zugute. Gewerkschaften sind Solidargemeinschaften für die Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen. Ohne Gewerkschaften sähe diese Republik anders aus. 

Das mag sein, aber dennoch sinkt die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder. Zur Jahrtausendwende waren noch acht Millionen Menschen Mitglied in einer DGB-Gewerkschaft, jetzt sind es nur noch sechs Millionen.

REINER HOFFMANN: Täglich treten rund tausend Menschen einer DGB-Gewerkschaft bei. Keine gesellschaftliche Großorganisation, auch keine Kirche, kriegt es hin, täglich so viele neue Mitglieder zu gewinnen. Aber ohne Frage ist da noch Luft nach oben. Denn wir verlieren täglich mehr Mitglieder, als wir gewinnen.

Woran liegt das?

REINER HOFFMANN: Zunächst einmal an der Demographie, da geht es uns wie den Kirchen. Und dann sind da die veränderten Arbeitswelten. Als ich 1972 eine Lehre gemacht habe, gingen rund 75 Prozent eines Altersjahrganges in die duale berufliche Ausbildung. Von denen wurden fast alle Gewerkschaftsmitglieder. Heute sind in den ersten beiden Ausbildungsjahren bis zu 70 Prozent der jungen Menschen gewerkschaftlich organisiert. Aber nur noch 50 Prozent eines Jahrgangs beginnen überhaupt eine Ausbildung im dualen System. Die anderen gehen an Fachhochschulen und Universitäten, wo sie zunächst keinen direkten Bezug zur Arbeitswelt haben. Zudem gibt es einen Wertewandel in der Gesellschaft, der natürlich auch ein Stück weit geprägt ist durch die neoliberale Politik der letzten Jahre.

Solidarität hat an Bedeutung verloren?

REINER HOFFMANN: Zumindest als gesellschaftliches Leitbild. Solidarität ist nichts Statisches, sie muss immer wieder neu geschaffen werden. Aber die kulturellen Milieus haben sich verändert. Wir können nicht mehr von einem homogenen Klasseninteresse ausgehen. Im Durchschnitt stehen nur noch 56 Prozent der Beschäftigten unter den Schutz von Tarifverträgen. Es ist doch ein Unding, dass wir in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland den größten Niedriglohnsektor in Europa nach Litauen haben. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor gespalten. Um das zu überwinden, brauchen wir handlungsfähige, starke Gewerkschaften.

Aber wie können Gewerkschaften denn in einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft noch so viele Menschen an sich binden, dass sie auch in Zukunft noch Relevanz besitzen?

REINER HOFFMANN: Wir müssen kollektives Handeln auf der Basis von Differenz organisieren und viel intensiver auf unterschiedliche Interessens- und Lebenslagen eingehen. Das ist uns ja gelungen beim Thema Teilzeitarbeit. In den Siebzigerjahren war sie bei uns verpönt, unsere Arbeitszeitpolitik war relativ statisch. Jetzt wissen wir: Wenn Menschen in bestimmten Lebensphasen Teilzeit arbeiten wollen, muss das auch von uns mitgestaltet werden. Außerdem haben junge Menschen heute ganz andere Ansprüche an Beteiligung und Partizipation. Wir müssen ihnen völlig neue Räume eröffnen, in denen sie sich engagieren können.

Im Moment geht die Jugend jeden Freitag für den Klimaschutz auf die Straße. Und die Gewerkschaften gelten bei dem Thema nicht gerade als Vorreiter…

REINER HOFFMANN: Die Fridays-for-Future-Aktivitäten sind zunächst einmal deutliches Zeichen dafür, dass junge Menschen gesellschaftspolitische Interessen haben. Sie sind auch nicht fern von einem gewerkschaftlichen oder christlichen Solidaritätsverständnis. Und natürlich haben wir als Gewerkschaften das gleiche Interesse an einer gesunden Umwelt. Aber zugleich müssen wir gute Arbeit generieren. Ich habe vor kurzem eine Vereinbarung zur Tarifbindung mit den Grünen unterzeichnet. Beide Seiten halten es für nicht akzeptabel, dass in den Betrieben der regenerativen Energiewirtschaft oder im Biolebensmittelhandel so wenig Tarifbindung besteht. Es kann doch nicht sein, dass sich Bioketten wie ‚Alnatura‘ oder ‚Denns‘ dagegen wehren, Betriebsräte einzurichten.

Die Jugendlichen fordern mehr Klimaschutz, Sie mehr Tarifverträge in der Green Economy. Wo ist da der Ansatz für ein kollektives Handeln?

REINER HOFFMANN: Egal ob bei Umweltthemen oder Fragen der sozialen Gerechtigkeit: Man braucht eine solidarische gemeinsame Vertretung von Interessen, um sie überhaupt durchzusetzen. Fridays-for-Future ist auch so eine Form von Zusammenschluss. Die Jugendlichen machen die Erfahrung, dass es Aktions- und Organisationsformen benötigt, um überhaupt politische Themen zu besetzen, auf sich aufmerksam zu machen, um die Verhältnisse zu einem Besseren zu wenden. Und es ist gut, dass sie sich nicht von Parteien oder Gewerkschaften oder anderen Gruppen vereinnahmen lassen wollen. Aber: Monothematische Bewegungen werden auf Dauer keinen Bestand haben. Langfristig erfolgreicher ist es, in Kontexten zu arbeiten und sich an gemeinsamen Punkten zu vernetzen. Am besten in Gewerkschaften.

Aber Gewerkschaften sind doch ebenso wie Kirchen und Parteien Teil eines relativ festgefügten Establishments, das nach Ansicht der Jugendlichen, die freitags demonstrieren, beim Klimaschutz versagt hat. Sie werden da als relativ traditionelle Vereine wahrgenommen.

REINER HOFFMANN: Gewerkschaften sind traditionelle Organisationen. Daran ist nichts Schlimmes. Denn wer seine Geschichte nicht kennt, hat Schwierigkeiten, die Zukunft zu gestalten. Aber vielleicht haben wir in der Gewerkschaftsarbeit in den vergangenen Jahren nicht mehr genügend Wert auf politische Bildungsarbeit gelegt. Das war in meiner Jugend noch anders, da hatte politische Bildung bei den Gewerkschaften noch einen großen Stellenwert. Und es hat Spaß gemacht, sich zu streiten, über Kapitalismusanalysen, über Akkumulation oder Unterkonsumtionstheorien.

Also das ganze Marx’sche Vokabular… damit wollen sie junge Leute begeistern?

REINER HOFFMANN: Selbstverständlich. Sie haben auch ein feines Gespür für wirtschaftliche und politische Zusammenhänge. Ich bekomme große Zustimmung, wenn wir sagen, dass jede Lohnerhöhung, die durch steigende Mieten aufgefressen wird, nicht wirklich sinnvoll ist. Dann sagen die jungen Menschen, wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und dann sind wir mitten drin in einer politischen Diskussion, die sie selber betrifft.

Aber was haben Gewerkschaften zum Thema Wohnungsbau zu sagen? Die „Neue Heimat“ des DGB, die hunderttausende Wohnungen besaß, gibt es nicht mehr?

REINER HOFFMANN: Der Umgang mit dem Unternehmen war ohne Frage eines der größten Versäumnisse der Deutschen Gewerkschaftsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber er ist nicht die Ursache dafür, dass wir heute nicht genügend bezahlbaren Wohnraum haben. Das Problem ist, dass Wohnungen zum Spekulationsobjekt geworden sind. Und das trifft gerade junge Menschen, die in ihren ersten Berufsjahren immer wieder nur befristet angestellt werden. Die sind sofort dabei, wenn ich sage, dass mit diesen sachgrundlosen Befristungen und Kettenarbeitsverträgen Schluss sein muss, übrigens auch im kirchlichen Bereich. Damit junge Menschen eine Perspektive haben und planen können. Sie haben ein großes Interesse an beruflicher Sicherheit.

Aber selbst wenn sie dann einer Gewerkschaft beitreten wollen, ist ja noch lange nicht ausgemacht, dass die Mitgliederzahl des DGB deshalb wächst. Es gibt zahlreiche kleinere Vertretungen, wie zum Beispiel den Marburger Bund für die Ärzte oder Cockpit für Piloten. Die machen Ihnen zunehmend Konkurrenz, oder?

REINER HOFFMANN: Wir haben - in begrenztem Umfang - heute Spartengewerkschaften, die Partikularinteressen vertreten, und zwar gegen die Gesamtinteressen der Belegschaften. Nehmen wir den Marburger Bund. Er ist tarifvertragsfähig geworden, nachdem Ver.di solidarische Tarifpolitik gemacht hat und die Ärzte meinten, sie hätten mehr verdient. Nehmen wir die GDL, die die Lokführer vertritt. Die haben vor einigen Jahren gestreikt wie die Weltmeister und draußen im Lande dachte man, das ist eine DGB-Gewerkschaft. Das ist sie nicht, und was die machen, ist eine partikulare Vertretung von Interessen für eine einzige Berufsgruppe gegen die Gesamtbelegschaften.

Aber die Abschlüsse, die diese kleinen Gewerkschaften erreichen, sind schon sehr eindrucksvoll.

REINER HOFFMANN: Die GDL-Lokführer haben nicht einen Cent mehr als die bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Nicht einen Cent mehr.

Nur das öffentliche Auftreten ist eindrucksvoller?

REINER HOFFMANN: Ein Zug kann auch ohne die Kollegen und Kolleginnen fahren, die Fahrscheine kontrollieren oder Kaffee verkaufen. Aber nicht ohne Lokführer. Deshalb haben die GDL-Mitglieder eben eine ganz besondere Kampfkraft, ebenso wie Cockpit oder der Marburger Bund. Sie setzen in der Tat Abschlüsse durch, in denen das Ergebnis für einzelne Berufsgruppen möglicherweise besser ist. Aber das geht zu Lasten der breiten Arbeitnehmerschicht in den Unternehmen, weil der Verteilungsspielraum ja nicht größer wird. Das können wir nicht überall verhindern, aber die acht DGB-Gewerkschaften sind nach wie vor die Gewerkschaften, die in diesem Lande die Tarifpolitik bestimmen.

Dabei hilft ihnen das Tarifeinheitsgesetz, wonach nur die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb Tarifabschlüsse verhandeln darf. Der deutsche Beamtenbund hat nun wiederholt Verfassungsklage dagegen eingereicht.

REINER HOFFMANN: Ich blicke der Entscheidung gelassen entgegen. Ich habe auch keine Angst vor Vielfalt in den Gewerkschaften. Aber wir haben genau vor siebzig Jahren eine Einheitsgewerkschaft gegründet, weil die Erfahrungen der Weimarer Republik gezeigt haben, dass Richtungsgewerkschaften nie dazu geeignet waren, Gesamtinteressen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vertreten. Sie traten in Konkurrenz zueinander, und der Feind war nicht mehr der Arbeitgeber, sondern die andere Gewerkschaft. Mit diesem Unfug haben wir 1949 aufgehört. Der Sozialdemokrat und Gewerkschafter Wilhelm Leuschner hat einen Tag vor seiner Hinrichtung durch die Nazis hier in Berlin gesagt: „Morgen werde ich gehängt, schafft die Einheit.“ Das ist ein Satz, der sitzt sehr tief im Bewusstsein der Gewerkschaften.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die „Christlichen Gewerkschaften“?

REINER HOFFMANN: Das sind für mich keine Gewerkschaften. Was haben sie gemacht? Dumpingtarifverträge im Metallbereich. Damit sind sie für uns keine Kooperationspartner mehr. Wir haben Einheitsgewerkschaften jenseits von Konfessionen und jenseits von parteipolitischer Orientierung. Ich bin mit jeder Partei in diesem Lande gesprächsfähig. Selbst mit der FDP, deren Europaparteitag ich besucht habe, obwohl ich viele Ansichten, die dort geäußert wurden, überhaupt nicht teile. Aber sie ist eine demokratische Partei. Und in Zeiten von möglichen Jamaika-Koalitionen muss ich nach Schnittmengen suchen. Die sind klein, aber es gibt sie.

Würden Sie auch zu einem AfD-Europaparteitag gehen?

REINER HOFFMANN: Dazu habe ich überhaupt keinen Grund. Das ist keine demokratische Partei. Die AfD ist zutiefst gewerkschaftsfeindlich, das muss auch so deutlich gemacht werden. Hier sind Grenzziehungen dringend notwendig. Mit einer solchen rechten Mischpoke will ich überhaupt gar keine Berührungen oder Schnittmengen haben. Null.

Sie müssen sich aber mit ihnen auseinandersetzen. Es gibt mittlerweile auch Betriebsräte, in denen AfD-Mitglieder sitzen…

REINER HOFFMANN: Das waren Schlagzeilen, die mich sehr geärgert haben. Die ganze bundesrepublikanische Presse hat so getan, als würden die Betriebsratswahlen von den Rechten unterwandert.

Ist das nicht so?

REINER HOFFMANN: Wir haben in Deutschland 180.000 Betriebsräte in 25.000 Betrieben. Die sind alle von März bis Mai letzten Jahres gewählt worden. In wie viele Betriebe sind da die Rechten eingezogen?

Sagen Sie es uns!

REINER HOFFMANN: In ganze drei Betriebe mit elf Mandaten. Von 180.000 insgesamt.

Also keine Gefahr von rechts?

REINER HOFFMANN: Doch, natürlich sehe ich Gefahren. Ich bin ja nicht blind. Aber ich ärgere mich über den Hype in der öffentlichen Berichterstattung. Das Problem ist in der Tat, dass Gewerkschaftsmitglieder leicht überproportional AfD gewählt haben, der Anteil liegt bei rund 15 Prozent. Die Gründe dafür sind vielschichtig, aber mit Sicherheit sind das nicht alles überzeugte Rechtsnationalisten. Eher Protestwähler. Wir haben dann eine Studie in Auftrag gegeben, weil wir es genauer wissen wollten. Das Ergebnis: In Betrieben mit Tarifverträgen und Betriebsrat ist die Zustimmung zur AfD unterproportional. Warum? Weil die Menschen dort soziale Haltepunkte haben. Die Angst vor dem Kontrollverlust ist deutlich geringer, denn es gibt noch geordnete Verhältnisse, ein stabiles Einkommen und einen Betriebsrat, zu dem ich gehen kann, wenn es ein Problem gibt.

Was bedeutet das für den Kampf gegen die AfD?

REINER HOFFMANN: Wir dürfen eben nicht auf die rechte Mischpoke reinfallen, sondern müssen uns ernsthaft mit den Abstiegsängsten der Menschen beschäftigen. Die betreffen gar nicht mal so häufig die eigene Person, sondern eher die Kinder und die kommenden Generationen. Das Wohlfahrtsversprechen, dass es den Kindern besser gehen soll als den Eltern, scheint nicht mehr zu gelten. Globalisierung, Digitalisierung - welche Auswirkungen hat das auf meinen Arbeitsplatz? Werde ich überflüssig? Diese Sorge muss man ernst nehmen und gleichzeitig Perspektiven aufzeigen. Da schließt sich der Kreis. Wenn ich solidarische Interessenvertretung betreibe, bekomme ich auch komplizierte Transformationsprozesse hin, ohne dass die Leute abstürzen oder den rechten Menschenfängern ins Netz gehen.

Die öko-soziale Transformation der Wirtschaft war auch mal ein Thema eines großen Kongresses, zu dem die evangelische Kirche, der Deutsche Gewerkschaftsbund und Naturschutzverbände 2012 eingeladen hatten. Von dem damals beschworenen gemeinsamen Aufbruch ist nicht viel übrig geblieben, oder?

REINER HOFFMANN: Falsch. Die Arbeit findet nicht nur auf der großen Bühne statt. Wir organisieren zurzeit einen Zukunftsdialog in unseren 344 Kreis- und Stadtverbänden. Dort existieren viele lokale Bündnisse, in denen Kirchen, Sozialverbände und Umweltverbände zusammenarbeiten. Die konkrete Arbeit findet im Kleinen statt. Wir haben das bei der Flüchtlingsdebatte gesehen, in der Kirchen und Gewerkschaften sich gemeinsam gegen jegliche Form von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit positioniert und bestens zusammengearbeitet haben. Es gibt seit vielen, vielen Jahren eine ganz enge Zusammenarbeit mit den Kirchen. Und wir werden sie jetzt im Rahmen des Zukunftsdialoges weiter ausbauen.

Also geht es gar nicht um gemeinsame Papiere und öffentliche Auftritte mit den obersten Kirchenvertretern?

REINER HOFFMANN: Die brauchen wir immer wieder, damit auch Journalisten die gemeinsame Arbeit wahrnehmen. Bei den gesellschaftspolitischen Themen haben wir eine sehr gute Kooperationsbeziehung zu den Kirchen. Ich habe mit Kardinal Marx und dem Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm ein gemeinsames Interesse daran, dass wir den digitalen Wandel der Arbeitswelt gestaltet bekommen, dass Menschen nicht durchs Rost fallen. Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass Europa wieder auf den richtigen Pfad gebracht wird. Das sind alles Themen, die uns wahnsinnig verbinden. Aber das alleine reicht nicht, vor Ort muss die konkrete Zusammenarbeit stattfinden. Und da sind wir, glaube ich, ziemlich gut aufgestellt.

Nur beim kirchlichen Arbeitsrecht finden sie nicht zusammen. Der „Dritte Weg“, der kirchliche Unternehmen als Dienstgemeinschaften versteht und deshalb keine Betriebsräte und kein Streikrecht vorsieht, sorgt immer wieder für Streit zwischen den Kirchen und Gewerkschaften.

REINER HOFFMANN: Es gibt strukturelle Differenzen, die man nicht schönreden kann. Der ‚Dritte Weg‘ ist für mich keiner und die Frage der Tendenzbetriebe ist für mich keine Frage, die von den Konfessionen abhängig ist. Dass ein Chefarzt eines katholischen Krankenhauses, der sich hat scheiden lassen und wieder geheiratet hat, gekündigt wurde, ist doch rückständig ohne Ende. Und natürlich müssen auch Kirchen, kirchliche Träger und kirchliche Wohlfahrtsverbände in die Tarifbindung hinein. Nur weil ich das Herz auf der richtigen Seite habe, kann ich die Menschen doch nicht schlechter bezahlen und sie zum Ausgleich ein bisschen länger arbeiten lassen.

In der Regel werden doch aber die Tarife des öffentlichen Dienstes in den kirchlichen Einrichtungen übernommen.

REINER HOFFMANN: Aber eben nicht überall und nicht flächendeckend. Verbindliche Tarifnormen gibt es nur mit Tarifverträgen.

Das zweite große Streitthema ist die Frage der Diskriminierung von Nicht-Kirchenmitgliedern bei der Besetzung von Stellen in kirchlichen Institutionen. Ist es denn nicht nachvollziehbar, dass eine Institution in ihren Reihen lieber Mitarbeiter hat, die auch Mitglieder sind? Das ist doch bei den Gewerkschaften auch nicht anders, oder?

REINER HOFFMANN: Die Frage der Nichtdiskriminierung hat einen sehr hohen Stellenwert. Es kann nicht sein, dass die relativ partikularen Interessen von kirchlichen Arbeitgebern über verbrieften Grundrechten stehen. Das geht nicht. Verbriefte Grundrechte sind universal und gelten für alle. Und ich habe selber in meiner Eigenschaft als Arbeitgeber häufig junge Menschen eingestellt, die noch kein Gewerkschaftsbuch hatten.

In der DGB-Zentrale arbeiten also Leute ohne Gewerkschaftsbuch?

REINER HOFFMANN: Nein. Sie haben ja einen Vorsitzenden und Arbeitgeber, der so charmant ist, dass er keine Stunde braucht, um sie für eine Mitgliedschaft zu gewinnen.

Das Gespräch führten Philipp Gessler und Stephan Kosch am 19.März in Berlin.

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Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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