Wandel ohne Apokalypse

Neue Verantwortungskultur in Solidarität und Kooperation

„Nichts ist beständiger als der Wandel“ – das klingt heute wie eine Binsenweisheit. Und als solche ist sie in ihrer Allgemeinheit oder sollte man sagen: Gleichgültigkeit geradezu eine Provokation angesichts der rasanten Veränderungen in unserer Zeit. Unser „Klima“ macht den „Wandel“ wieder prominent. Seine verheerenden Auswirkungen werden immer deutlicher sichtbar und spürbar. Wer wollte angesichts abgesoffener Landstriche in der Größe Luxemburgs und der vielen Menschen, die auf Wellblechdächern oder Bäumen wie unlängst in Mosambik auf Hilfe warten, noch sachlich-nüchtern von „Beständigkeit“ reden?

Noch immer gibt es sie, die Leugner, die alles für halb so schlimm erklären. Die Apokalyptiker gibt es auch, die gleich den Untergang an die Wand malen. Beides ist wenig hilfreich, wenn einen das Gefühl beschleicht, die Welt laufe komplett aus dem Ruder. In seinem letzten posthum erschienenen Buch hält der Risikoforscher und Soziologe Ulrich Beck den Begriff des Wandels für zu schwach, um die Turbulenzen der Welt angemessen zu beschreiben. Wir haben es nach seiner Ansicht mit einer viel tiefer greifenden Veränderung zu tun, die er eine „Metamorphose der Welt“ nennt. Der Klimawandel sei eine ihrer wesentlichen Triebkräfte, die „die Welt auf grundstürzende Weise“ verändern.

Becks Blick ist nicht apokalyptisch, sondern richtet sich auf die Chance, die dieser Veränderungsprozess birgt: Insofern die Klimafrage nicht lokal, national oder kontinental, sondern allein global zu stellen und zu beantworten ist, formt sie eine Weltgemeinschaft Gleicher unter Gleichen mit einem gemeinsamen Lebensinteresse. Hier könne eine neue Form „der Verantwortungskultur, der Solidarität und Kooperation“ im Interesse der Zukunft des Lebens wachsen.

Unter dem Motto „Fridays for Future“ gehen seit einigen Monaten Schülerinnen und Schüler in Europa und weltweit auf die Straßen statt in die Schule, um für Klimagerechtigkeit zu demonstrieren. Mit ihrem Protest nehmen sie uns Ältere in eine ebenso unbequeme wie heilsame Pflicht. Ich halte das für eine legitime Regelverletzung angesichts dessen, was auf dem Spiel steht. In dieser Bewegung zeigt sich etwas von jener transnationalen, zivilen und solidarischen Verantwortungskultur, die wir für die Wandlungsprozesse unserer Welt und den Schutz des Lebens so dringend brauchen.

Im Juni treffen sich Zehntausende auf dem Kirchentag in Dortmund – einer Stadt, die in den vergangenen Jahrzehnten umwälzende wirtschaftliche und soziale Veränderungen erlebt und bewältigt hat. In einer Stadt, die Wandel „kann“, werden wir nach den Herausforderungen unserer Zeit fragen. Dort wird sie ebenfalls deutlich zu hören sein, die Stimme der solidarischen Verantwortung für das Leben. Und wir werden weiter fragen nach den Kräften, die Bestand haben und Kontinuität bieten – nach den Kräften unseres Glaubens. Denn vor allem dies haben unsere bewegten Zeiten bitter nötig: Vertrauen, dass unsere Welt nicht dem Zufall überlassen ist, dass unser Leben letztlich und immer schon in guten Händen liegt. Was für ein Vertrauen!

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Annette Kurschus ist Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und Herausgeberin von zeitzeichen.

Annette Kurschus

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