Der barmherzige Skeptiker

Wie Theodor Fontane es mit der Religion hielt
Theodor Fontane: Das Denkmal zeigt ihn in seiner Geburtsstadt Neuruppin. Foto: akg-images
Theodor Fontane: Das Denkmal zeigt ihn in seiner Geburtsstadt Neuruppin. Foto: akg-images
Die bekanntesten Romane von Theodor Fontane wie „Effi Briest“ oder „Der Stechlin“ berühren immer wieder religiöse Themen. Der Frage, wie es Fontane mit der Religion hielt, geht Wilhelm Hüffmeier, Theologe und Fontaneexperte, nach. Er schaut zum 200. Geburtstag auf seine Theaterkritiken und seine brieflichen „Bekenntnisse“.

"Vor allem Fontane“ heißen die geistvollen Glossen des Philosophen Hans Blumenberg „zu einem Klassiker“. Wann, wenn nicht zu dessen 200. Geburtstag passt ein solches Bekenntnis. Der Geburtstag selber fällt zwar erst auf den 30. Dezember, aber schon seit Jahresbeginn befindet sich das Land Brandenburg in einem Fontane Hype, ähnlich wie Berlin im Blick auf den 250. Geburtstag Alexander von Humboldts. Öffentlich und privat wird kreuz und quer im Land Brandenburg und Berlin aus den Wanderungen durch die Mark und den Romanen, den Briefen und Gedichten, den Autobiographien, Balladen und Theaterkritiken gelesen. Dem Lesen geht das Wandern auf Fontanes Spuren voran oder folgt ihm.

Ende März wurde die große Ausstellung „fontane.200/Autor“ im Museum seiner Geburtsstadt Neuruppin mit dem Fokus auf den Sprachschöpfer und Textfabrikanten eröffnet. Anfang Juni startet der „Bilder und Geschichten“ betitelte opulente Beitrag des Potsdamer Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu „fontane.200“. Doch wie weit reicht der Fontane Hype, für den eine Potsdamer Zeitung die Parole „Fontane für immer“ geprägt hat?

Theodor Heuss hatte einst bemerkt, „nirgends so schlechte Erfahrungen“ gemacht zu haben, „als wenn man Fontane empfiehlt, zumal in Süddeutschland“. Dagegen signalisierte die Präsenz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Neuruppin: Hier hat nicht nur Brandenburg und Berlin Grund zum Aufmerken und Hinschauen, sondern ganz Deutschland. Das „unbedingt Zauberhafte“ um Fontanes „Stil“, „dies instinktmäßige Entzücken“, „diese unmittelbare Erheiterung, Erwärmung, Befriedigung“, die Thomas Mann „jedem Vers, jeder Briefzeile, jedem Dialogfetzen von ihm“ nachrühmte, ist offenbar geblieben. Weit über die Region Brandenburg und Berlin hinaus.

Die Frage nach Fontane und der Religion, speziell nach seinem persönlichen Bekenntnis, spielt indessen bei den Feier-lichkeiten kaum eine Rolle. Typisch für den areligiösen Zeitgeist der Region? Oder liegt der Grund dieses Defizits beim Meister selbst? Für den großen Skeptiker waren „Personen, denen irgendetwas absolut feststeht, … keine Genossen“ (an Georg Friedlaender). Er sei „lebendiger in der Hoffnung als im Glauben“, dem „siegesgewissen Glauben“, bekannte er im Jahr 1860 nach einem Besuch der Gräber der Brüder Humboldt in Tegel. Jedenfalls berühren nicht nur die bekanntesten Romane Effi Briest und Der Stechlin immer wieder religiöse Themen. Effis verzweifelter Gebetsschrei nach der trostlosen Begegnung mit der vom Vater entfremdeten Tochter hat den Rang eines biblischen Klagepsalms. Und die Gespräche, die Dubslav von Stechlin mit Pastor Lorenzen und anderen führt, gelten immer wieder Fragen wie Auferstehung und Unsterblichkeit, Gottesdienst und Bekenntnis, Wort und Trost, bis hin zur Frage der Zukunft des Christentums.

Aber der Autor selbst, wie stand er zur Religion? Henriette von Merckel, eine langjährige enge Freundin der Familie, notierte in ihren „Erinnerungen“: „Fontane sowie seine Frau haben ihr Bekenntnis nicht auf den Lippen, wohl aber im Herzen; ich halte ihn für tief religiös, obwohl er fast nie in die Kirche geht.“ Nie in die Kirche gegangen, das stimmt zwar nicht, aber ein un- und abständiger Kirchgänger war Fontane, auch darin ganz Märker und Berliner. Normalerweise suchte er Kirchen aus kulturhistorischem Interesse auf. Aber in einer seiner Theaterkritiken erzählt er, „die Angewohnheit“ zu haben, „dann und wann um sechs Uhr abends in eine der alten gotischen Kirchen unserer Stadt zu gehen“. Seltsam, gerade in diesen Kritiken, die ihm den Titel „das Scheusal“ eintrugen, finden sich hier und da religiöse Bekenntnisse, in denen Fontane sich „zum Anwalt einer christlichen Weltanschauung“ (Elisabeth Moltmann-Wendel) macht.

Vorzugsweise waren es nachmittägliche Gottesdienste, die Fontane ab und zu besuchte. Sein Sonntagvormittag galt über lange Jahre dem literarischen Verein „Tunnel über der Spree“. Im Gottesdienst schätzte er die durchdachte, klar gegliederte und seelsorgerlich geprägte Predigt, während er die religiöse Phrase für die schlimmste aller Phrasen hielt, Übertreibungen und „falsches Echauffement“ geißelte und mythische Vorstellungen vom Himmel und ewigen Leben ebenso ablehnte wie allzu auffällig an Einzelpersonen gerichtete Predigten. Er selber sei in einem Fall auch „mal an der Reihe“ gewesen.

Atheist, wie Hans-Heinrich Reuter, renommierter Fontaneforscher der DDR, einst behauptete, war Fontane jedenfalls nicht. Den Christusglauben des apostolischen Glaubensbekenntnisses teilte er aber auch nicht. Beim ersten Besuch in London hatte der 24-jährige Fontane sich zum Wohlgefallen seiner englischen Gastfamilie als Theist geoutet. 1853 schreibt er an seinen Freund Bernhard von Lepel über den kirchlichen Glauben: „Ich kann mir nicht helfen, die ganze Geschichte ist antiquirt und das Leiden ist, daß das Neue fehlt. Die Anstrengungen der Orthodoxen … sind grenzenlos und dennoch schweben sie in der Luft, das Volk hat nun mal den Christusglauben nicht mehr.“

Die „Kritik der Christuslegende“ von David Friedrich Strauß hatte auch für Fontane „etwas machtvoll Überzeugendes“. Neue Wege für den Glauben bahnen, sah er Strauß freilich auch nicht.

Für Fontanes eigenes Gottesverständnis und Gottesverhältnis sind neben den Theaterkritiken seine brieflichen „Bekenntnisse“ in den schweren Krisen seines Lebens erhellend. Gegenüber seiner mütterlichen Freundin Mathilde von Rohr schreibt er angesichts der desolaten finanziellen Situation der Familie im März 1872: „Ich werde nach wie vor auf die beiden Hauptfaktoren unseres Daseins angewiesen sein: auf Gott und das eigene Tun. Man fährt dabei schließlich auch wirklich am besten.“

Besonders nah wusste er sich dem „Hauptfaktor“ Gott, als er im Herbst 1870 in französische Gefangenschaft geraten war und ihm die Todesstrafe drohte. In dieser Situation erfährt Fontane nicht nur die heilsame Wirkung eines Gesangbuchverses wie „Befiehl du deine Wege“ von Paul Gerhardt, sondern auch die beruhigende Kraft und den Trost des Gebets. In der kleinen Schrift Kriegsgefangen (1871) erzählt er, wie er Gott gebeten habe, „mich bei Kraft zu erhalten und mich nicht klein und verächtlich sterben zu lassen“.

Seine Befreiung verdankte der Journalist Fontane übrigens Moritz Lazarus, einem Mitglied und Freund jenes literarischen Sonntagsvereins „Tunnel über der Spree“. Der jüdische Professor für Philosophie und Geschichte verfügte über gute Beziehungen zum französischen Justizminister Adolphe Crémieux, dem Lazarus sich für die Unschuld des als Spion Verhafteten verbürgte. Solche und andere positive Erfahrungen mit jüdischen Mitbürgern haben Fontane allerdings nicht immun gegen zeittypische antisemitische Äußerungen gemacht. Aber in einem Brief an seine Tochter Mete bekannte er 1890: „Unter Tränen wachse ich immer mehr aus meinem Antisemitismus heraus“, fügt jedoch hinzu: „nicht weil ich will, sondern weil ich muss“. Briefliche Äußerungen nach 1890 beweisen indessen, dass ihm das Herauswachsen keineswegs durchgehend gelang, er vielmehr immer wieder rückfällig wurde.

Zum Entsetzen seiner Frau schied Fontane Mitte 1876 schon nach zwei Monaten wieder aus der finanziell gesicherten Stellung des Ständigen Sekretärs der Preußischen Akademie der Künste mit Geheimratsaussicht aus. Nun entfaltet er in zwei Briefen an Emilie, wie die beiden Hauptfaktoren seines Daseins mit den Gedanken der doppelten göttlichen Prädestination menschlichen Lebens und der gnädigen Führung durch Gott verwoben sind. Zum Hauptfaktor „Tun“ führt er aus, dass die Familie „durch die bescheidenen Erträge meines Fleißes und meines Talents in anständigen Verhältnissen weiterleben“ könnten. Dann fährt er fort: „Kommt es doch anders, nun so geschieht es, weil es nach ewigen Ratschlüssen so kommen soll, weil wir - um ein schönes Wort der Schrift zu citiren - ‚verworfen‘ wurden. An wem Gott ein solches Gericht vollstrecken will, der ist verloren, er mag anfangen was er will und auch dem ‚ersten Ständigen‘ (sc. dem Akademiesekretär) würde der Unbestand menschlicher Dinge bald klar gemacht werden. Sieht man aber von solchen Gerichten ab, denen es nichts anderes giebt als Unterwerfung, so bleibt der Satz bestehn: ‚wer für sein Brot arbeitet, der findet es auch‘.“ Drei Tage nach jenem Brief erinnert er Emilie in einem weiteren Schreiben an die schwierigen Zeiten, die er als Jüngling durchgemacht hat, um dann zu bekennen: „Wie gnädig hat Gott einen geführt, daß man aus dieser Misere heraus ist.“ Dabei dürfte er auch an die schwere Kindheit Emilies gedacht haben. Gnädige Führung - das stimmt überein mit Fontanes Überzeugung, dass es sowohl in der Bibel als auch im Leben und in der Natur einen Vorrang und eine Vorherrschaft der „Gnade“ gibt, die immer wieder „der Vernichtung in den Arm fällt“. Diese Einsicht schließt Gerichte ein, zugleich aber endgültige Verwerfungen aus.

Zehn Jahre davor hatte Fontane an Emilie geschrieben: „Je älter ich werde, je tiefer empfinde ich, alles ist Glück und Gnade, das Kleine so gut wie das Große, und der verdrehte Pastor Bernardi hatte recht, wenn er betete: ‚Gott, laß heute die Sonne scheinen, meine Frau hängt die Wäsche auf‘.“ Natürlich sei „es frech und kindisch, den lieben Gott mit solchem Gebet zu inkommodiren“, doch „richtig“ sei, „daß wir nichts in unserer Hand haben und daß wir von Minute zu Minute von einer Räthselmacht abhängig sind, die uns streichelt und schlägt“. Daher sei „das Vorsehungspielenwollen so vieler Leute“ das „ihm innerlich Wiederstrebenste und Aengstigendste … Gott läßt sich nicht hineinpfuschen“.

Fontane hat den, wie er meinte, von Calvin als „einen Fundamentalsatz“ aus der Antike „in das christliche Bekenntnis“ übernommenen Prädestinationsglauben ganz diesseitig interpretiert. Es geht nicht mehr um die Vorherbestimmung zu ewigem Heil oder Unheil, sondern um das menschliche Leben in der Dialektik von Gesetz und Gnade. Durch beides erhält der rätselhafte Gott die Welt. Beide helfen, den Glauben „an diese Welt trotz dieser Welt“ zu bewahren. Man hat dies Fontanes „Weltfrömmigkeit“ (Gustav Radbruch) genannt.

Gegenüber dem fatalistischen Naturalismus eines Henrik Ibsen beharrt Fontane auf die für den Erhalt der Gesellschaft notwendigen Ordnungen. An die „Stelle der alten, nur scheinbar prosaischen Ordnungsmächte die freien Herzensmächte zu setzen“, das „wäre der Anfang vom Ende. Denn so groß und stark das menschliche Herz ist, eines ist noch größer: seine Gebrechlichkeit und wetterwendische Schwäche“. Dieser Schwäche gelten beide: Gesetz und Gnade. In diesem Dual steckt auch Fontanes schriftstellerisches Credo. In seinen Romanen und Balladen geht es um moralische Grundlagen und Ordnungen menschlichen Lebens, um Gebote, ihre Übertretungen, um Schuld und Sühne, aber zugleich auch um Gnade, Erbarmen und Versöhnung, wenngleich nicht immer, wie in der Ballade Archibald Douglas, „Gnadenlicht“ von eines Königs, eines Menschen oder Gottes Gesicht leuchtet.

Sein Leben lang blieb Fontane zwar Skeptiker im Bereich von Kirche, Moral und Religion. Die Skepsis betraf aber nicht die Dialektik von Gesetz und Gnade als Inbegriff von Gottes Weltfürsorge. Mögen auch Fontanes Briefe Züge einer „unbarmherzigen Skepsis“ (Ernst Bertram) tragen, insgesamt ist sein Stil und seine Prosa Ausdruck „gnädiger, barmherziger Skepsis“.

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