Populärer Populismus

Wenn sich ein Problem als Lösung geriert
Foto: privat

Mit dem Populismus verhält es ähnlich wie mit dem Fundamentalismus: Er ist in aller Munde, obwohl er sich nur schwer definieren lässt. Man weiß nicht so genau, wo er beginnt und wo er endet, und vor allem sind es immer die anderen, denen er vorgeworfen wird. Er teilt mit dem Fundamentalismus die entmutigende Eigenschaft, dass er sich von Kritik kaum erreichen lässt. Er wird vor allem von der naiven Sehnsucht befeuert, all den Unsicherheiten, Unübersichtlichkeiten, Zweifeln und Bedrohungen unserer Zeit möglichst unversehrt zu entkommen.

Zwar ist der Populismus nicht tatsächlich irrationaler als manch andere Bereiche unseres Weltgeschehens, die sich etwa von paranoider Gewinnsucht beherrschen lassen, aber sein Irrationalismus präsentiert sich nicht als ein Problem, sondern als seine Lösung. Hemmungsloses selbstbezogenes Risikospiel geht mit unverantwortlichen Ausblendungen und manischen Fixierungen einher. Seinen Erfolg generiert der Populismus aus dem Ressentiment. Die Schlichtheit seiner Lösungsoptionen lebt von der eindeutigen Identifikation des Feindes beziehungsweise der Bedrohung. Seine meist nostalgischen Ziele werden als leicht erreichbar annonciert, aber sie werden von der breiten Koalition aus Illusionisten und realitätsfernen Politikromantikern perspektivenlos hintertrieben. Schamloser kann eine Selbstempfehlung kaum ausfallen.

Und der Erfolg ist erschreckend genug, weil es in der Demokratie so zu sein scheint, als gebe die Menge der Gefolgschaft einer Perspektive Recht. Es ist dem Populismus in einem unverhältnismäßigen Maße gelungen, die etablierten Parteien mit unablässigen und wirkungslosen Richtigstellungen in Atem zu halten und gleichsam vor sich herzutreiben. Noch erschreckender ist allerdings, dass er längst auch in nur wenig ermäßigter Gestalt unter den Politikern jenseits der AfD Fuß zu fassen begonnen hat. Der Populismus wird nicht nur den Populisten überlassen, sondern wird inzwischen als so populär eingeschätzt, dass er auch einzelne Vertreter des überkommenen demokratischen Parteienspektrums infiziert und diese damit mehr und mehr von den Aufgaben entfremdet hat, für die sie ins Parlament gewählt wurden. Es war nicht die AfD, die eine Debatte über die Gestalt des grundgesetzlich verankerten Asylrechts in Deutschland anzetteln wollte. Das absurde Sommertheater 2018 um die Flüchtlings- und Migrationspolitik hat gezeigt, in welch erschreckendem Ausmaß die Suggestionskraft des Populismus faktisch zu einer Lähmung der Regierungsarbeit führt.

Tatsächlich funktioniert der Populismus subkutan weit über die eigenen Reihen hinaus, indem sich Politiker auch nichtpopulistischer Parteien seiner demagogischen Methoden bedienen. Offenkundig führt das aber vor allem zu einer Selbstdemontage dieser Parteien und einer verantwortungslosen Stilllegung weiter Bereiche der politischen Arbeit. So ist der Sackgasse der Politikverdrossenheit nicht zu entkommen. Allein entschlossene politische Sacharbeit und spürbare zukunftsfeste Entscheidungen können das verlorengegangene Vertrauen wieder herstellen.

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Michael Weinrich ist Professor em. für Systematische Theologie in Bochum und Herausgeber von zeitzeichen.

Michael Weinrich

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