Anstöße für den Dialog der Religionen

Almut Bockisch untersucht, wie sich jüdische und christliche Theologen beeinflusst haben
Foto: Rolf Zöllner
Foto: Rolf Zöllner
Almut Bockisch ist in der evangelisch-theologischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Antikes Christentum. Die 27-Jährige geht in ihrer Doktorarbeit der Frage nach, ob und wie sich jüdische und christliche Ausleger des Hohelieds beeinflusst haben.

Im vergangenen April habe ich bei der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz das Erste Theologische Examen abgelegt. Später möchte ich auch das Vikariat absolvieren und das Zweite Theologische Examen ablegen. Aber zunächst, ich rechne mit drei Jahren, möchte ich forschen und eine Doktorarbeit schreiben.

Während meines Theologiestudiums in Berlin entwickelte ich ein großes Interesse am Judentum. Daher wollte ich im Rahmen des von der EKD geförderten Programms „Studium in Israel“ ein Jahr an der Hebräischen Universität Jerusalem studieren. Dort besuchte ich Seminare zu Talmud und Midrasch. Dafür musste ich neben Hebräisch auch Aramäisch lernen. In Jerusalem hat sich auch mein Interesse an der Frage herausgebildet, wie sich das Judentum seit der Antike verändert hat und welche Wechselwirkungen es dabei zwischen ihm und dem Christentum gegeben hat.

Im September machte ich mir erste Gedanken über eine Doktorarbeit. Ich wollte einen exegetischen Midrasch, also die Auslegung eines biblischen Buches im rabbinischen Judentum, erforschen. Ich entschied mich für die Auslegung des Hohelieds, den „Midrasch Shir HaShirim Rabba“. Diesen wollte ich in einer crosscultural departmental analysis mit einem antiken christlichen Kommentar in Beziehung setzen und wählte Origenes’ Hoheliedkommentar aus.

Mein vorläufiges Thema lautet nun: „Wissenstransfer zwischen der Hoheliedauslegung des Origenes und dem Midrasch Shir HaShirim Rabba“. Dieser Arbeitstitel mag ungewöhnlich klingen, aber ich verstehe Wissenstransfer als Austausch von theologischem, exegetischem Wissen zwischen Judentum und Christentum in der Antike. Dabei möchte ich untersuchen, an welchen Stellen der Hoheliedauslegung Origenes und der rabbinische Midrasch das Hohelied ähnlich auslegen und an welchen sie sich voneinander unterscheiden.

Wer diesen Midrasch zum Hohelied verfasste, vom wem diese jüdische Auslegung des Hohelieds stammt, ist unbekannt. Entstanden ist er wohl in Palästina, denn die Sprache des Midrasch ist eine Mischung aus Hebräisch und Aramäisch. Umstritten ist der Zeitpunkt seiner Entstehung. Die Wissenschaftler divergieren bei ihren Datierungsversuchen zwischen dem sechsten und neunten Jahrhundert. Ich neige zu einer frühen Datierung. In meiner Doktorarbeit möchte ich klären, welche Beziehungen es zwischen dem Midrasch des Hohelieds und Origenes’ Kommentar aus dem dritten Jahrhundert gibt. Vom Midrasch Shir HaShirim Rabba existieren verschiedene Handschriften, vier vollständige und sechs fragmentarische Haupthandschriften, die in unterschiedlichen Bibliotheken liegen, zum Beispiel im Vatikan und in Oxford. Von diesen Haupthandschriften liegt eine digitale Synopse vor. Ich benutze sie und arbeite am Bildschirm mit den fotografierten Originalen.

Ich möchte der Frage nachgehen, ob und wie die Auslegung des Hohelieds durch Origenes den später entstandenen Midrasch Shir HaShirim Rabba beeinflusst hat, an welcher Stelle dieser Impulse von Origenes aufnimmt und an welcher er sich anders oder auch bewusst gegen eine christliche Sicht entscheidet.

Origenes deutet den Bräutigam, von dem das Hohelied spricht, als Jesus Christus und seine Braut als die Kirche. Für den Midrasch steht der Bräutigam dagegen für Gott und die Braut für Israel.

Interessanterweise sind beide Auslegungen in Palästina entstanden. Nur klafft zwischen Origenes und dem Midrasch ein zeitlicher Abstand von mindestens dreihundert Jahren, je nach Datierung. Ich möchte herausfinden, wie in dieser Zeit exegetisches Wissen zwischen Christentum und Judentum transferiert wurde.

Origenes geht davon aus, dass der Leser durch die Lektüre des Hohelieds zu einer tieferen oder höheren Gotteserkenntnis gelangen kann. Dabei bezieht er sich explizit auf das Judentum. Seiner Auffassung nach war das (besonders heilige) Hohelied im Judentum denen vorbehalten, die in der Lektüre biblischer Schriften schon fortgeschritten waren.

Ich will klären, ob sich Origenes’ Auffassung durch jüdische Quellen belegen lässt und gleichzeitig prüfen, ob sich die Überzeugung des Origenes, dass der Leser oder Hörer des Hohelieds durch seine Lektüre zu einer tieferen Gotteserkenntnis kommt, auch im Midrasch Shir HaShirim Rabba findet. Schon bei meinen bisherigen Studien hat mich überrascht, dass der Midrasch eine Reihe griechischer und lateinischer Lehnwörter enthält, die mit aramäischen Buchstaben wiedergegeben werden. Ich möchte diese Begriffe näher untersuchen, um festzustellen, ob die jüdischen Ausleger einige der Lehnworte aus Origenes’ Theologie übernommen haben oder ob diese sich aus anderen christlichen, jüdischen oder paganen Quellen ableiten lassen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jüdische und christliche Theologen der Antike die Erkenntnisse anderer Ausleger der Hebräischen Bibel oder des Alten Testamentes nicht zur Kenntnis genommen haben. So möchte ich auch untersuchen, inwiefern christliche Theologen durch den Midrasch Shir HaShirim Rabba beeinflusst wurden. Mein Untersuchungszeitraum reicht dabei bis ins sogenannte Frühmittelalter.

Mancher mag den Gegenstand meiner Doktorarbeit für ein „Orchideenthema“ halten. Aber das trifft nicht zu. Ich möchte zeigen, wie Juden und Christen sich innerhalb der Antike ausgetauscht haben und welche Ergebnisse sich in ihren exegetischen Kommentaren niedergeschlagen haben. Und damit berührt meine Doktorarbeit durchaus Probleme der Gegenwart. Die Frage, wie Christen und Juden die Hebräische Bibel oder das Alte Testament rezipieren und interpretieren und welche Bedeutung diese für sie hat, ist auch heute im jüdisch-christlichen Gespräch nicht immer eindeutig. Ich bin überzeugt, dass die Kenntnis von Quellen anderer Religionen zu deren Verständnis beitragen kann. Mit meiner Promotion möchte ich das interreligiöse Gespräch um Erfahrungen der Kommunikation zwischen Religionen in der Antike bereichern, die Anstöße für den modernen interreligiösen Dialog bieten können.

Almut Bockisch

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