Freude und Lebenslust

Die aktuelle Tizian-Ausstellung im Frankfurter Städel
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Man begreift, wenn man diese Bilder anschaut, wieso die Renaissance als „Morgen der Welt“ bezeichnet wurde.

Wer Venedig besucht, ist von der besonderen Wirkung von Licht, Wasser, Himmel und Steinen fasziniert. Diese einmalige Mischung hat sich auch in der Renaissance-Malerei dieser Stadt niedergeschlagen. Ihre Gemälde bestechen durch einen enormen Farb- und Erfindungsreichtum, das zeigt die große Ausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ im Frankfurter Städel-Museum. Aus der statuarischen Schönheit der Madonnen-Bilder seines Lehrers Giovanni Bellini wird auf Tizians „Madonna mit dem Kaninchen“(aus dem Pariser Louvre) eine lebendige Szene vor einer schönen Natur-und Bergkulisse. Die heilige Katharina von Alexandrien reicht den kleinen Jesus ehrfürchtig seiner Mutter, diese hält ein weißes Kaninchen fest, das auf ihrem blauen Umhang sitzt; ein Korb mit Äpfeln ist einladend geöffnet, hinter ihnen nimmt ein Hirte (es ist zugleich der „gute Hirte“ und der Herzog Gonzaga von Mantua, der Auftraggeber) ein schwarzes Schaf in den Arm.

Man begreift, wenn man diese Bilder anschaut, wieso die Renaissance als „Morgen der Welt“(Roeck) bezeichnet wurde. Es geht ein Aufatmen durch diese Bilder, das sich im Anschauen auch noch dem heutigen Betrachter mitteilt. Freude und Lebenslust strahlen sie aus, etwa in Veroneses „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“, auf dem ein artistisch in der Palme hangelnder Engel einem andern die schmackhaften Datteln zuwirft und der Esel neugierig auf die das Kind stillende Maria schaut.

Die Ausstellung macht durch kluge Anordnung und Kommentare deutlich, dass das alles nicht vom Himmel gefallen ist. In Tizians „Bildnis des Farbenhändlers Alvise Gradignan dalla Scala“ porträtiert dieser einen elegant gekleideten Mann, der durch seine Tätigkeit, Farbenherstellung und deren Vertrieb, den Malern überhaupt erst die Farbenpracht ihrer Bilder ermöglicht. Auch düstere Themen wie die „Kreuzigung Christi“ von Jacopo Bassano profitieren davon – die Schwärze des Todesmoments stellt er dar, indem er auf eine teils unbemalte tiefschwarze Schiefertafel unter dem Kreuz die trauernden Frauen mit stark aufgehellten Farben setzt. Ähnlich eindrucksvoll mit Licht und Schatten arbeitet Tintoretto, der Konkurrent Tizians, in seiner Darstellung des heiligen Hieronymus. Am schönsten ist die neue Mal-Freiheit der venezianischen Renaissancekünstler in der „Poesia“ ihrer Themen zu erkennen. Geschichten aus Ovids Metamorphosen werden zu Bildvorlagen. Darstellungen Arkadiens, jener idyllischen antiken Hirten-Landschaft, die Jacopo Sannazaros in seinem gleichnamigen Schäferroman zuerst beschrieb, werden Mode. Auf dem Gemälde „Zwei ruhende Nymphen“ inszeniert Palma il Vecchios „ein Spiel von Enthüllen und Begehren“(Katalog). Über die Schulter blickt die eine ernst den vornehmlich männlichen Betrachter an und weist ihn in die Schranken, während die andere sehnsüchtig auf ihre Gefährtin schaut.

Die Freiheit dieser an Flüssen und Seen umherstreifenden Naturgeschöpfe hatten die Frauen Venedigs, die belle donne, noch nicht. Das zeigt unter anderem Tizians „Bildnis der Clarice Strozzi“. Die Zweijährige ist mit den entsprechenden Symbolen in ihrer Rolle als zukünftige Braut und tugendhafte Mutter dargestellt.

Eine in Frankfurt ausgestellte große Chrom-Fotografie des Gegenwartskünstlers Thomas Struth zeigt Menschen aus aller Welt vor dem großformatigen Bild Veroneses „Gastmahl im Hause des Levi“ in der Galleria dell’Accademia – es ist, als setzte sich das Motiv des Gemäldes, Gastfreundschaft und Diversität, in dem Saal fort. Momentan überschwemmen Besuchermassen die Stadt an der Lagune. Mit dem Besuch der Frankfurter Ausstellung könnte man einmal auf eine ökologisch fragwürdige Reise nach Venedig durchaus verzichten.

Tizian und die Renaissance in Venedig ist bis zum 26. Mai 2019 im Frankfurter Städel-Museum zu sehen.

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Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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