Die Chancen nutzen

Die Atomare Abrüstung ist keine Sache von gestern - und nur vereint hat die EU eine Chance
Foto: privat

Selten ist ein amerikanisch-russisches Gipfeltreffen in Deutschland so negativ kommentiert worden wie das zwischen den Präsidenten Wladimir Putin und Donald Trump vor einigen Wochen in Helsinki. Zu der schon sattsam bekannten Pathologisierung des US-Präsidenten („vulgär, „wahnsinnig“, „explosiver Narzissmus“) trat diesmal noch die Charakterisierung von Trump als willfährigem Büttel Russlands - „Kumpanei mit dem Kreml“, „Roter Teppich für Putin“. Dies ist umso erstaunlicher, als sich normalerweise deutsche und europäische Politikerinnen und Politiker viel auf ihre Entspannungstradition und Gesprächsbereitschaft gegenüber Moskau zu Gute halten und häufig den Mangel daran in Washington beklagen.

Diesmal war es umgekehrt: Eine von US-Präsident Donald Trump angetriebene aktivistische US-Politik hat die Europäer überholt, die in den vergangenen anderthalb Jahren nicht viel an gesamteuropäischer Stabilisierungspolitik auf die Beine gestellt haben, sondern vor allem mit innenpolitischen und EU-Krisen beschäftigt waren.

Zugegeben: Es irritiert schon, wenn zwei autoritäre Führer - ein Noch-Demokrat und ein Nicht-Demokrat - freundlicher miteinander sprechen als der amerikanische Präsident mit seinen und vor allem über seine europäischen Bündnispartner(n). Dazu kommt die bohrende Ungewissheit, worüber die beiden in Helsinki denn nun wirklich gesprochen haben.

Aber an diese neue Normalität wird man sich gewöhnen müssen, wenn man europäische Politikfähigkeit aufrechterhalten will. Das ist schon deshalb von zentraler Bedeutung, weil sich die amerikanische und die russische Regierung (und nicht nur Trump und Putin) bei allen Differenzen in einem Ziel einig sind, nämlich die Europäische Union zu spalten und zu schwächen, um mit ihren Einzelstaaten umso besser Schlitten fahren zu können.

Deswegen ist es erforderlich auszuloten, welche Chancen aus dem Gipfeltreffen von Helsinki resultieren, um darauf aufbauend eigene Initiativen zu starten. Geschieht dies nicht, brauchen wir uns nicht mehr darüber zu erregen, dass andere über unsere Köpfe entscheiden.

Von großer Bedeutung wäre, wenn sich die amerikanische und die russische Regierung auf eine baldige Verlängerung des new-start-Abkommens zur Beschränkung der strategischen Nuklearwaffen einigen könnten, das 2021 ausläuft. Dies würde den Willen der beiden größten Nuklearmächte zu einer Stabilisierung der globalstrategischen Lage unterstreichen. Dies hätte auch Auswirkungen auf Europa. Denn ein solcher Schritt würde die Chancen zur Aufrechterhaltung des INF-Vertrages (Intermediate Nuclear Forces) verbessern, bei dem sich die USA und Russland derzeit wechselseitig mit schweren Vorwürfen von Vertragsverletzungen überziehen.

Der 1987 von US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow unterzeichnete INF -Vertrag legt die Beseitigung aller amerikanischen und russischen landgestützten Atomwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.000 Kilometern fest. Sein drohender Zusammenbruch würde die Tür zu einem neuen atomaren Wettrüsten in Europa öffnen. Seitens der europäischen Staaten muss die Aufrechterhaltung des INF -Vertrags viel stärker eingefordert werden, bisher war davon (zumindest öffentlich) wenig zu hören.

Wünschenswert sind ferner neue Abmachungen zur Verhinderung militärischer Zwischenfälle. Darüber kann im Forum für Sicherheitskooperation der OSZE gesprochen werden, aber auch im NATO-Russland-Rat.

Die westliche Lahmlegung des Rates nach der Annektierung der Krim und der russischen Intervention in der Ostukraine ist kontraproduktiv, ein derartiges Gremium muss sich gerade in Krisen bewähren. Vordringlich ist insbesondere eine Wiederaufnahme und Verdichtung des Dialogs zwischen den Militärs.

In einem solchen Umfeld sollte es möglich sein, bei der Umsetzung der Minsker Abkommen zur Ostukraine Fortschritte zu erzielen. Hier ist es auch an der Bundesregierung, im Rahmen des Normandie-Formats (Ukraine, Russland, Deutschland, Frankreich) Initiativen zu ergreifen. Dass in den anderthalb Jahren vor dem vergangenen Normandie-Außenministertreffen im Juni 2018 kein solches stattgefunden hatte, zeigt, dass es noch Spielraum nach oben gibt.

Die neuerdings wieder viel beschworene „Selbstbehauptung Europas“, ein Begriff des SPD-Politikers Horst Ehmke aus dem Jahre 1984, lässt sich nur durch Handeln erreichen, nicht durch Lamentieren. Vorzugsweise sollte dies im EU-Format geschehen oder, wenn dies nicht möglich ist, in Coalitions of the Willing von möglichst vielen EU-Staaten.

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Dr. Wolfgang Zellner ist Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

Wolfgang Zellner

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