Nicht zu bändigen

Hamburger Kunsthalle: Über die entfesselte Natur
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Eine Ausstellung in Hamburg zeigt Gemälde von Naturkatastrophen.

Die Schöpfung ist nicht fertig. Was wir Naturkatastrophen nennen, ist der Natur selber unbekannt. Um diese Katastrophen erträglich zu machen, verband der Mensch sie mit göttlichen Interventionen in das Naturgeschehen. Die mythische Erzählung von der Sintflut, mit der Gott eine sündige Menschheit straft, stellt die Rettung Noahs und die der Tiere in der Arche in den Mittelpunkt, nicht das Leiden der in der Sintflut Untergegangenen. Genau darum aber geht es den Malern, die am Ende des 18.Jahrhunderts beginnen, in farblich expressiven Gemälden die Angst und Ausweglosigkeit der letzten um ihr Leben kämpfenden Menschen darzustellen.

Auf Jean-Baptiste Regnaults Sintflut-Bild von 1789 schreitet ein Mann voran, der einen Greis auf seinem Rücken trägt und den Blick auf seine Frau richtet. Diese liegt auf dem Rücken im Wasser, die Augen bereits geschlossen, und hält ihr Kind in die Höhe. Was soll der Mann tun, wen retten? Die ausweglose Situation nimmt den Betrachter gefangen. Die christliche Ikonografie ist ganz in den Hintergrund getreten. Und nicht von ungefähr tauchen in unserem Bildgedächtnis sogleich Fotos vom Überlebenskampf der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer auf, bis hin zu dem erschütternden Foto von dem Leichnam eines an der türkischen Küste angespülten Kleinkindes. Es könnte das vom Tod bedrohte Kind auf diesem Bild sein.

Das Gemälde Regnaults ist eines von zweihundert Exponaten in der großen Ausstellung „Entfesselte Natur. Das Bild der Katastrophe seit 1600“, die bis zum 14. Oktober in der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist. Sie zeigt: Mit dem Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 bahnt sich ein Wendepunkt in der Katastrophendarstellung an.

Die Auslöschung einer ganzen Stadt ist mit keiner göttlichen Strafpädagogik mehr zu vereinbaren, setzt aber auch ein Fragezeichen hinter den Fortschrittsoptimismus der Aufklärung. Doch die Ansichten von den zerstörten Häusern und Kirchen der Stadt bei Jacques Philipp Lebas unter dem Titel „Die schönsten Ruinen von Lissabon“ rückten etwas in der Katastrophendarstellung in den Vordergrund, was von nun an bestimmend wird - die Darstellung des Erhabenen in den Schrecken der Naturkatastrophen.

Dies zeigt sich besonders eindrucksvoll an den Darstellungen des Ausbruchs des Vesuv von 1771 und 1792. Kein malender Italienreisender, der sich diesen schönen Schrecken entgehen ließ. Besonders die doppelte nächtliche Beleuchtung, die leuchtend brennende Lava und das Mondlicht romantisierten die Eruptionen. Unter dem Titel „Erschütterungen“ werden die Folgen von Erdbeben und Bergstürzen gezeigt. Eindrücklich eine große Installation von Valerie Export - ein Foto mit trauernden Frauen, die die Toten eines Erdbebens in Indien beweinen, bricht sie in einzelne Teile auf. Diese Schmerzensmuttergeste zeigt die Hilflosigkeit des Menschen angesichts einer entfesselten Natur, zu der auch die tektonische Verschiebung von Erdplatten gehört, die Erdbeben und Tsunamis auslösen. Bilder von Feuersbrünsten dokumentieren die großen Stadtbrände der Neuzeit, darunter auch den Hamburger Brand von 1842 mit drei erhaltenen Daguerrotypien.

Schließlich „Untergänge“ - von dem Kampf mit den Gewalten des Wassers in der niederländischen Malerei über die dramatischen Schiffbruchbilder Claude Vernets bis zu dem „Schiffbruch des Dreimasters Emily“ von Eugène Isabey, auf dem die Schiffbrüchigen verzweifelt versuchen, sich auf den Schiffsrumpf zu retten, so vergeblich wie die letzten noch Lebenden in der Sintflut. Nach Caspar David Friedrichs wenig Hoffnung gebendem „Eismeer“ entlässt einen die Ausstellung mit John Martins Gemälde „Der letzte Mensch“, der von einem Felsen auf ein Leichenfeld blickt, mit einem Endzeitgefühl. Überall lauert das Restrisiko einer letztlich nicht zu bändigenden Natur.

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Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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