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Fontane und die Frauen
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Das Buch macht Lust, wieder Fontane zu lesen.

In fast allen Romanen und Erzählungen Theodor Fontanes (1819-1898) stehen eine oder mehrere Frauen im Mittelpunkt und bestimmen maßgeblich die Handlung. An ihrem oft tragischen Schicksal zeigt Fontane exemplarisch die gesellschaftlichen Widersprüche seiner Zeit.

Viele der Frauen sind Halb- oder Vollwaisen oder wachsen aus einem anderen Grund nicht bei der Mutter auf. Sie sind verwitwet oder geschieden und haben ein oder zwei uneheliche Kinder. Sie geraten in Konflikte mit den moralischen und gesetzlichen Bestimmungen. Zwar werden sie Opfer dieser Bestimmungen, aber Fontane zeichnet sie als autonome Wesen, die allein deshalb in Konflikt mit der Gesellschaft geraten, weil sie selbstbewusst und selbstbestimmt gehandelt haben.

Weiblichkeit wird nie in Begriffen der Passivität definiert. Oft gesteht Fontane seinen Frauenfiguren mehr Intelligenz und größere Begabungen zu als Männern. Kämpferinnen aber sind sie alle nicht. Das unterschied Fontanes Einstellung von der zeitgenössischen Frauenbewegung, die er vor allem in England kennengelernt hatte. Ihre Vertreterinnen verstanden sich als Kämpferinnen und wollten ein Frauenbild, wie es Fontane gestaltete, nicht mehr gelten lassen.

In ihrem neuen Buch erzählt Christine von Brühl, woher Fontanes grundsätzlich wertschätzende Herangehensweise bei der Darstellung weiblicher Figuren sowie die intimen Kenntnisse ihrer Psyche, ihrer Verhaltensweisen stammen. Es ist ein großer Vorzug des Buches, dass die Autorin tatsächlich erzählt, auch dann, wenn sie eher Theoretisches, Erklärendes schreibt. Sie erzählt, wie der Dichter mit einer ersten männlichen Bezugsperson aufwuchs, die schwach war, der Frau unterlegen und die Familie oft im Stich ließ: mit seinem Vater.

Fontane erfuhr, wie kompliziert das Leben einer verheirateten Frau sein konnte. Und er nahm aus seinem Elternhaus die Erfahrung mit, dass eine Frau ihren Mann sehr wohl verlassen konnte und seine Unzulänglichkeiten nicht bis ans Lebensende ertragen musste. Neben der deutlichen Dominanz der Mutter erlebte er zugleich deren Zerrissenheit.

1850 heiratete Fontane. Seine Frau Emilie, die gemeinsame Tochter Martha, seine Schwester Jenny und eben die 1869 gestorbene Mutter prägten sein Verständnis weiblicher Verhaltensweisen. Daneben unterhielt er vertrauensvolle, freundschaftliche Beziehungen zu einigen Frauen, von denen die Autorin besonders die Diakonisse Emmy Danckwerts, die Stiftsdame Mathilde von Rohr und die Witwe eines Kollegen, Henriette von Merckel, vorstellt. Jede von ihnen wurde auf eigene Weise bedeutsam für Fontanes Leben und Schreiben.

Vielleicht war die Freundschaft zu Mathilde von Rohr überhaupt die vertrauensvollste Beziehung, die der Dichter zu einer Person außerhalb der Familie pflegte. Sie recherchierte nicht nur für ihn, sondern er wandte sich auch in schriftstellerischen und persönlichen Sorgen bis hin zu Eheproblemen an sie. Dabei stellte er seine Frau nie bloß. Zwischen den Eheleuten herrschte ein respektvoller, liebevoller Ton; sie lebten ein sehr offenes und ehrliches Verhältnis. Die Gesprächskultur zwischen den Eltern und der Tochter Martha findet überall in Fontanes Werken Niederschlag.

Von den Frauenfiguren der Romane und Erzählungen behandelt Christine von Brühl besonders diejenigen, die auf reale Personen zurückgehen. Am eindrücklichsten gelingt ihr das, wenn sie das Schicksal des historischen Vorbilds einer Brandstifterin mit der literarischen Gestalt Grete Minde vergleicht.

Das Buch macht Lust, wieder Fontane zu lesen. Das ist wohl das größte Lob für Christine von Brühls informative, unterhaltsame und anregende Darstellung.

Jürgen Israel

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