Vier Fäuste statt Halleluja

Wie rechte Christen im öffentlichen Diskurs agieren
Für manche ein Stein des Anstoßes: Die Delegation aus EKD und Deutscher Bischofskonferenz ohne Brustkreuze auf dem Jerusalemer Tempelberg, 2016. Foto: epd/ Harald Oppitz
Für manche ein Stein des Anstoßes: Die Delegation aus EKD und Deutscher Bischofskonferenz ohne Brustkreuze auf dem Jerusalemer Tempelberg, 2016. Foto: epd/ Harald Oppitz
Die Juristin und Publizistin Liane Bednarz beschäftigt sich seit Jahren mit der Schnittstelle von Christentum und Rechtspopulismus. Sie analysiert exemplarisch anhand von Kommentaren zu einem Zeitungsartikel aus diesem Jahr die vier wichtigsten Themen rechter Christen, die immer wieder für heftige Diskussionen sorgen.

Im Juli dieses Jahres publizierte der Redakteur Matthias Kamann in der Welt einen klugen Kommentar, in dem er ausführte, warum die CSU im Asylstreit mit den Kirchen im Lichte der Konkurrenz von Grünen und AfD nur verlieren könne. Widerspricht sie den Positionen der Kirchen, etwa in der Frage der privaten Seenotrettung von Flüchtlingen, so treibt sie Kamann zufolge „wohl noch mehr liberale Christen den Grünen zu“. Bewegt sie sich hingegen insoweit auf die Kirchen zu, dann steigt aus Sicht von Kamann das Risiko, als ‚Umfaller-Partei“ zu gelten, so dass Befürworter einer harten Abschottungspolitik sich verstärkt der AfD zuwenden könnten.

Damit hatte Kamann das strategische Dilemma einer CSU, die schon damals, drei Monate vor der bayerischen Landtagswahl, in den Umfragen unter die 40 Prozent-Marke gefallen war, exakt beschrieben. Man hätte somit annehmen, zumindest aber hoffen können, dass sich in den Lesekommentaren unter dem Text eine interessante Diskussion entwickeln würde. Weit gefehlt. Stattdessen ließen die Verfasser der meisten der insgesamt 698 Kommentare ihrer Wut auf die Kirchen freien Lauf. Und zwar einer solchen von rechts. Es passierte also genau das, was so gut wie immer passiert, wenn ein Artikel die Haltung der Kirchen in der Flüchtlingspolitik thematisiert. Dabei spielt keine Rolle, ob das Thema in eher linksliberalen oder liberal-konservativen Medien wie der „Welt“ platziert wird. Sofort fühlen sich Leute mit Rechtsdrall, darunter überwiegend Christen, offenbar angestachelt, die in ihren Milieus üblichen Tiraden gegen die als zu „linksgrün“ angesehenen Kirchen abzusondern.

So abstoßend Leserzuschriften dieser Art auch sein mögen, so sehr geben sie Aufschluss über die typischen Argumentationsmuster von rechtskonservativen Christen. Insofern sei nachfolgend am Beispiel der Kommentare unter dem erwähnten Text von Matthias Kamann dargestellt, wie diese Argumentationsmuster aussehen. Wer sie kennt, hat es in der Auseinandersetzung mit gen rechts gedrifteten Christen leichter. Insgesamt fallen vor allem vier Denkstränge auf, entlang derer die erwähnten Kommentare nachfolgend systematisiert werden.

Erstens: Kirchenfeindlichkeit bei gleichzeitig behaupteter Glaubenstreue. Am häufigsten findet sich der Vorwurf der „politischen Einmischung“ der Kirchen. Dabei handelt es sich um einen ganz beliebten Topos im rechtskonservativen christlichen Milieu, der immer dann erschallt, wenn Kirchenvertreter andere gesellschaftspolitische Positionen als jenes Milieu vertreten. Hingegen gibt es keinen Aufschrei, wenn Pfarrer und andere Geistliche mit rechten Haltungen auffallen, wie etwa der rheinländische Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels, der die AfD schon länger verteidigt und mittlerweile im Kuratorium der der Partei nahestehenden Desiderius-Erasmus-Stiftung sitzt.

Dementsprechend ist auch in den Kommentaren unter Kamanns Text von der „rot-grünen Politkirche von Marx und Bedford-Strohm“ die Rede oder davon, dass „die evangelischen Kirchen ja schon längere Zeit rot-grün“ seien. Überdies sei „Kardinal Marx durch gar nichts legitimiert, öffentlich Position zu politischen Fragen zu beziehen“. Ein anderer schreibt, dass sich die Kirchen „auf ihre eigenen Anliegen konzentrieren und nicht in die Politik einmischen“, sondern „wieder auf ihre Kompetenzen konzentrieren“ sollen, also „die Rettung der Seelen“, anstatt „den moralischen Zeigefinger auf die arbeitende Bevölkerung zu richten“. Ein anderer Leser greift gar zu einer Krankheitsmetapher und versteigt sich in eine Untergangsphantasie. Das klingt so: „Ganz Deutschland mit seinen Institutionen, inklusive der Kirchen und der Medien, ist linksliberal verseucht. Bin mal auf die unzähligen Wendehälse gespannt, wenn deren scheinheilige und auch undemokratische Welt zusammenbricht.“

Vom Untergangstremolo bis zu autoritären Fantasien ist der Weg oft nicht weit und dementsprechend stößt man auch in den Kommentaren auf Letztere, etwa hier: „Wenn die Kirchen nicht aufhören, sich in die Politik einzumischen, wird sich die Politik wohl eines Tages bei den Kirchen einmischen müssen. Ich bezweifle, ob das dann zur Zufriedenheit der Kirchen sein wird...“. Ein anderer schreibt: „Die Kirchen sollten sich nicht in die Politik einmischen. Sonst wird die Konsequenz sein, dass folgende Regierungen darüber nachdenken werden, die staatliche Unterstützung einzustellen.“

Noch radikaler sind diejenigen, die geschichtliche Parallelen ziehen, wie etwa diese Stimme: „Die ‚Kirchen‘ sollten sich aus der Politik heraushalten, sie haben genug Unheil angerichtet. Immer mehr mischen sie sich wieder ein, diese Entwicklung ist einfach nur fatal. Das hat die Geschichte gezeigt.“ Auch einen DDR-Vergleich gibt es: „Schade, dass die beiden Erichs (H. und M.) nicht mehr erleben, wie die beiden Kirchen auf linientreuen Kurs gebracht werden.“ Manche bringen sogar die NS-Zeit ins Spiel, wie etwa dieser Leserbriefverfasser: „Was war political correct und Staatsmeinung von 33-45? Wie haben sich da die Kirchen positioniert? Bevor sie jetzt wieder massiv politisch auf ihre sie bezahlenden Mitglieder einwirken, sollten sie demütig ihr Handeln und Reden überdenken.“

Ähnlich wie viele Rechtskonservative die Abschaffung der allgemeinen Gebühr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordern, weil dieser nicht „neutral“ genug (meint: nicht nett genug zu der AfD und dem rechten Rand der Unionsparteien) beziehungsweise zu links sei, klingen auch Kommentatoren, die sich über die Kirchensteuer ereifern. Das sei an diesem Beispiel illustriert: „Ich freue mich auf den Tag, an dem die Rundfunkzwangsgebühr und Kirchensteuer abgeschafft werden.“ Außerdem ist jemand mit dabei, der sich noch immer darüber ärgert, dass der Kölner Dom verdunkelt wurde, als Anfang 2015 der lokale Pegida-Ableger vorbeizog: „Für mich hat sich das Thema Kirche mit dem Lichtabschalten am Kölner Dom erledigt gehabt. Ich bin ausgetreten und fühle mich auch nicht schlechter dabei.“

Zweitens: Marx und Bedford-Strohm und die „Kreuzabnahme am Tempelberg“. Besonders ausgeprägt in den Kommentaren ist auch das Ressentiment gegenüber dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx. Beide stehen aus Sicht eines Kommentators für „Beliebigkeit und charakterlose Anbiederung an den Zeitgeist und die unsägliche politische Korrektheit“. All das sei „für diese Herren wichtiger als die Vermittlung von Glaubensinhalten, ihrem eigentlichen Job“. Dazu muss man wissen, dass der „Zeitgeist“ und die „politische Korrektheit“ in rechtskonservativen Milieus als vielseitig einsetzbare Generalfeindbilder dienen.

Seit der sogenannten „Kreuzabnahme am Tempelberg“ hat sich der Zorn auf Marx und Bedford-Strohm weiter verstärkt. Beide hatten bei einem gemeinsamen Besuch der Moschee auf dem Tempelberg (wie später auch bei ihrem Besuch der Klagemauer) im Rahmen einer gemeinsamen Reise ins Heilige Land im Oktober 2016 auf Anraten ihrer religiösen Berater ihre Brustkreuze abgelegt. Umgehend war in Deutschland von „Unterwerfung“ gegenüber dem Islam die Rede. Bis heute wird das Thema immer wieder als Beleg für eine vermeintliche „Islamisierung“ hervorgeholt. Warum es genau dafür jedoch nicht taugt, hatte Lucas Wiegelmann bereits im November 2016 in der Welt aufgezeigt. Er schrieb: „Die deutschen Bischöfe stehen im Shitstorm, weil sie auf dem Jerusalemer Tempelberg ihre Brustkreuze abnahmen. Damit ist unsere Debattenkultur auf Salafistenniveau angekommen.“

„Welch eine Schande“

Wiegelmann wies zutreffend darauf hin, dass die Reise ins Heilige Land als Friedensreise angelegt war und die Führung von Bedford-Strohm und Marx durch den Felsendom und die Al-Aqua-Moschee als Zeichen des Wohlwollens zu sehen sei, da beide muslimischen Heiligtümer sonst für Nicht-Muslime tabu sind. Zutreffend fragte Wiegelmann weiter, ob es deshalb nicht besser gewesen sei, dass Marx und Bedford-Strohm, und sei es „widerwillig oder kopfschüttelnd“, die Kreuze als „Geste des guten Willens“ abnahmen, statt auf den Austausch und das Gespräch zu verzichten.

Die Leserbriefverfasser unter Kamanns Text haben für solch differenzierte Gedanken, wenig überraschend, nichts übrig. Man findet dort etwa diesen Vorwurf: „Dieser Bischof hat selbst schon das Kreuz auf dem Tempelberg verleugnet und unzählige Gläubige verschreckt.“ Sowie diese Äußerung: „Bedford-Strohm und Marx haben aus ihren Kirchen eine Außenstelle der Grünen Partei gemacht. Anstatt über Gott, sprechen sie lieber über Politik und vor den Vertretern der Moslems legten sie auf dem Tempelberg in Jerusalem ihre Kreuze ab. Welche eine Schande! Sie sind wie Judas, der seinen Herrn verraten hat. Zeit, diese als Gottesdiener getarnten Marxisten wieder durch fromme Christen zu ersetzen.“

Drittens: Islamfeindlichkeit. Auffällig ist des weiteren das strikte Schwarz-Weiß-Denken gegenüber dem Islam. Dieser wird in toto als feindlich gegenüber dem Christentum empfunden. Offenbar ist keinem Kommentarschreiber die „Nostra Acetate“-Erklärung der Katholischen Kirche (1965) oder der EKD-Grundlagentext „Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive“ (2015) bekannt. Beide Schreiben betonen die Eigenständigkeit des christlichen Glaubens, treten aber zugleich für einen respektvollen Umgang mit dem Islam und Muslimen ein.

In den Kommentaren herrscht hingegen der Eindruck vor, dass sich die Kirchen naiv und vollkommen einseitig an den Islam und muslimische Migranten anbiedern. So schreibt ein Leser: „Die Kirche wettert gegen Kreuze, es wird immer lustiger. Bin schon gespannt, wann sie vor lauter Anbiederung zum Gottesdienst den Koran bereit legen.“ Ein weiterer behauptetet: „Die Kirchen können sich ihre Scheinheiligkeit sparen. Sie plädieren hier dafür, eine große Anzahl Anhänger einer Religion zu importieren, die unsere völlig ablehnt. Besser kann man nicht am eigenen Ast sägen.“

Ein anderer Kommentar klingt wie die typisch neurechte Rhetorik von der „Selbstzerstörung Deutschlands“: „Wenn sich christliche Politik noch dazu dadurch definiert, dass offensichtlich bevorzugt Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis aufgenommen werden sollen, dann lassen sich daraus fast schon masochistische, selbstzerstörerische Tendenzen der Kirchen erkennen.“

Ähnlich wie diverse AfD-Vertreter sprechen auch manche Leserbriefschreiber dem Islam ab, eine Religion zu sein und diffamieren ihn stattdessen als „Ideologie“. Auch die angebliche „Islamisierung“ treibt einen Leser um: „Mit zunehmender Islamisierung Deutschlands wird das Thema Kirche eines Tages ohnehin erledigt sein.“

Viertens: Interpretation des Begriffs Nächstenliebe. Ganz zentral in der Flüchtlingsdebatte ist bekanntlich das Thema „Nächstenliebe“. Die Kommentatoren und Kommentatorinnen sprechen dieses für Christen zentrale Thema zwar an, biegen sich das Konzept der „Nächstenliebe“ jedoch so zurecht, dass es der eigenen migrationskritischen, teilweise auch deutlich fremdenfeindlichen Haltung nicht entgegensteht.

Deutlich radikaler

Wie oft im Netz zu sehen, fordern auch hier manche „Nächstenliebe“ vor allem für das eigene Volk. Das liest sich dann so: „Also Liebe nicht nur den ausländischen Nächsten, sondern besonders auch dem eigenem Volk gegenüber.“ In dieselbe Richtung geht der folgende Kommentator, der überdies Flüchtlinge in rassistischem Jargon auf ihre Hautfarbe reduziert: „EKD-Ratschef Bedford-Strohm warnt vor Empathie-Verlust. Herr Bedford-Strohm, wie wäre es denn mit ein bisschen Empathie für die Ängste und Belange der eigenen Bevölkerung? Sind ihnen die ‚weißen Schäfchen‘ Ihrer Gemeinde nicht mehr gut genug, dass sie sich dermaßen für ‚pigmentierte Schäfchen‘ einsetzen und dafür sogar die Politiker Söder und Seehofer angreifen, obwohl sie nur Recht und Gesetz durchsetzen wollen?“

Ganz generell neigen rechtsgerichtete christliche Milieus dazu, den Begriff des „Nächsten“ örtlich zu interpretieren. Gleich konzentrischen Kreisen werden Hierarchiegruppen von Nächsten gebildet. Zum Inner Circle gehören Familie und Freunde, dann kommen Nachbarn, irgendwann Deutsche und vielleicht noch Europäer. Flüchtlinge aus dem Nahen Osten werden hingegen als „Fernste“ angesehen. Dazu passt dieser Leserkommentar: „Es scheint mir ziemlich vulgär, eine Weltreligion wie die christliche auf Fernstenliebe und alle Menschen sind gleich zu reduzieren.“

Nochmals deutlich radikaler und im Jargon menschenverachtend ist die Haltung dieses Lesers: „Der Begriff ‚Flüchtling‘ wird von den Klerikal-Moralisten pauschal okkupiert für ein Migranten-Gemisch, in dem der international verbindlich definierte Begriff überhaupt keine Rolle spielt.“

Ganz besonders häufig taucht der Vorwurf auf, dass die Kirchen ein Interesse an möglichst vielen Flüchtlingen hätten, weil sie mit diesen angeblich ein Geschäft betreiben. Diese Vorstellung ist seit Jahren in rechten wie rechtskonservativen Milieus weit verbreitet. Exemplarisch dafür steht dieser Kommentar: „Glaubt da wirklich irgendjemand, dass die Kirche ein Interesse daran hat, dass die Migranten-Zahlen begrenzt werden und ihre Gelddruckmaschine damit zum Erliegen kommt?“ Oder dieser: „Die Kirchen sind Teil der Asyl-Industrie. So drastisch muss man dies leider sagen. Dies war für mich ein einer der Gründe, um aus der Kirche auszutreten.“

Schließlich gibt es noch den Vorwurf des Ablasshandels: „Zu unseren Kirchenführern, die auch nicht unbedingt die Meinung ihrer Kirchenmitglieder vertreten, ist zu sagen: Wenn das Christsein sich ausschließlich an den Aufnahmezahlen von Flüchtlingen bemisst, dann haben sie ihren Glauben anscheinend nicht verstanden. Es erinnert ein wenig an den Ablasshandel vor der Reformation. Das Tor ins Paradies kann durch geldwerte Leistungen erkauft werden. Tetzel lässt grüßen.“

Fazit: Die 698 Kommentare unter dem Artikel von Matthias Kamann zeigen „live und in Farbe“, wie stark das Denken in Feindbildern unter gen rechts gedrifteten Christen ausgeprägt ist. Von Nächstenliebe und Barmherzigkeit gegenüber Flüchtlingen ist nichts zu sehen. Das Christentum wird stattdessen instrumentalisiert, um gegen den Islam Stellung zu beziehen. Kirchenvertreter, die der eigenen politischen Linie nicht folgen, werden verächtlich gemacht, was einmal mehr den antipluralistischen und politreligiösen Grundimpuls von Christen mit Rechtsdrall zeigt.

Literatur

Liane Bednarz, Die Angstprediger - Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern, Verlager Droemer HC, München, 256 Seiten, Euro 16,99.

Liane Bednarz

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