Ross und Reiter

Warnung vor falschen Ratgebern
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Ein Amalgam aus stoischer Philosophie, positiver Psychologie und Milliardärsweisheiten.

Neben Krimis sind Ratgeber im Buchgeschäft Melkvieh zum Querfinanzieren hoher Literatur. Da sollte man nichts gegen sie haben. Kommen sie jedoch auf hohem Ross daher, darf man meutern, mitunter gar barren - den Autor, nicht das Pferd. Mit dem Amalgam aus stoischer Philosophie, positiver Psychologie und Milliardärsweisheiten mit sonorem Selbstbewusstsein ist der Herrenreiter Rolf Dobelli so ein Kandidat dafür. Erfolgreich liefen bereits "Die Kunst des klaren Denkens" beziehungsweise "... des klugen Handelns", nun legt er mit "Die Kunst des guten Lebens" einen drauf. „52 überraschende Wege zum Glück“, so der Untertitel, mithin Wochenlosungen, was mit der Kunst des guten Verkaufens zu tun hat: Neue Zürcher Zeitung und Handelsblatt brachten sie in wöchentlichen Vorabdrucken.

Unter der Maßgabe „Warum es sinnlos ist, in der Vergangenheit zu wühlen“ knüpft er sich etwa das Selbstmitleid vor. Zu Recht, findet man intuitiv, staunt dann jedoch, dass er auch so genanntes Aufarbeiten zu einem Akt des Selbstmitleids erklärt, gegen das er anschreiben zu müssen meint. Ein Trend? Erst unlängst klassifizierte der umstrittene Historiker Jörg Baberowski die „Aufarbeitung“ als ein „protestantisches Konzept“. Was er damit eigentlich andeuten wollte, führt uns indes auf ein Nebengleis. Dobelli zieht indes nach einer spottenden Anekdote von „Investor“ Charles Munger, dessen Ansichten er neben denen des Megamilliardärs Warren Buffett gern zitiert, vom Leder: „Da ist zum einen das gesellschaftliche Aufarbeiten, bei dem große Gruppen sich als Opfer von teilweise Hunderte von Jahren zurückliegenden Vorfällen fühlen.“

Trotz sachter Generosität gegenüber Schwarzen in den USA urteilt er hart: „Unproduktiv, ja geradezu toxisch, ist dieses Denken trotzdem.“ Vergangene Unbill und Widrigkeiten der Gegenwart gelte es zu bewältigen oder zu ertragen, kollektives Selbstmitleid sei so unergiebig wie individuelles - was er sich dann vorknöpft. Ruppig stößt er jene von „der Couch des Therapeuten“, die dort Verstehen suchen, indem er behauptet: „Wer noch mit vierzig die Eltern für seine Probleme verantwortlich macht, ist so verdammt unreif, dass er diese Probleme schon fast verdient hat.“

Als ob es etwa bei der Analyse darum ginge! Sei’s drum, er hat Untersuchungen in petto, die deren Unsinn belegen. Studien von „Think Positive“-Psychologen sind für einiges gut. Das Fallbeil: „Viel bestimmender als unsere Geschichte sind unsere Gene - und deren Verteilung ist reiner Zufall.“ Folge Unglücklichsein daraus, gelte es dies zu bewältigen oder zu ertragen. So funktioniert Stoizismus: Wohltemperierte emotionale Selbstbeherrschung. Mag sein, dass das manche aus dem Selbstmitleid rettet, der Geist, der daraus exemplarisch spricht, ist jedoch deutlich: Die Welt ist, wie sie ist, man sollte sich darin einrichten, so bequem es geht, sie nicht verbessern wollen, sondern den eignen Status optimieren und sich gut dabei fühlen. Zielgruppe sind deutlich Chef- oder Oberärzte auf dem Weg dorthin, nicht Krankenschwestern und Gesellen. Leute halt, die ein Milliardärskasino mit unverdientem Einkommen goutieren oder sich, so sie darauf stehen, Pferde halten. Hier führt ein hochgebildeter Reicher schreibbegabt die Feder. Dobelli (51) war vor deren Punktlandung schon sehr jung Boss diverser Swissair-Töchter, zudem einer der getAbstract-Mitbegründer, einem einträglichen Lieferanten von Buchzusammenfassungen.

Indem er die evolutionäre Zuchtwahl der Arten auf die Gesellschaft überträgt, reüssiert er als Säulenheiliger der Affirmation, dem die Leute in Scharen folgen, wie die Dauerpräsenz der „Kunst des“ auf den Bestsellerlisten belegt. Doch davor ist aus protestantischer Sicht zu warnen - denn ganz wie Luther schrieb: „Frösche brauchen Störche.“

Udo Feist

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