Brauchen wir die Orgel im Gottesdienst?

Pro und Contra
foto: privat
Über viele Jahrhunderte war die Orgel unangefochtenes Instrument zur musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes. Doch viele Gemeinden fremdeln mittlerweile mit ihrem Klang und setzen auf andere Instrumente zur Begleitung des Gesangs. Brauchen wir die Orgel noch im Gottesdienst? Ja, sagt Konrad Klek, Professor für Kirchenmusik an der Universität Erlangen. zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch hält dagegen.

Mehr als notwendig

Wer an Kirche denkt, hört die Orgel

Keine Frage - Christen können Gottesdienst feiern ohne Orgel. Auch speziell der evangelische Gottesdienst „braucht“ das nicht. Über Jahrhunderte war die Orgel ein rares Luxusgut. Erst hundert Jahre nach Luther kam die Idee auf, dass man mit der Orgel den Gemeindegesang führen könne. Zur Standardausstattung jeder Dorfkirche wurde sie erst im 19. Jahrhundert. Parallel dazu wurden Lehrer, die früher mit den Schulknaben den Gesang anzuführen hatten, nun zu Organisten ausgebildet. Das Leitbild „Choral“ setzte sich durch - von erhabenen Orgelklängen getragener, feierlich würdevoller Volksgesang. Die Orgel wurde so quasi Repräsentant evangelischer „Sakralität“. Wer an Kirche denkt, hört sozusagen Orgel. Aber: In Frage gestellt wurde die Orgel immer schon. Bereits bei Luther kann man fündig werden, später, seit dem 17. Jahrhundert, gab es Polemik in pietistischer Stoßrichtung, was hehre Legitimationsleistungen auf Seiten der Theologen evozierte. Es gab sogar die eigene Gattung Orgelpredigt, gefragt bei jeder Orgeleinweihung. Die doxologische Dimension von Orgelmusik wurde betont, nicht ihr liturgiepraktischer Nutzen, etwa in Verbindung mit Gemeindegesang. „Lutherisch“ konnte die Orgel sogarals „Prinzipalstück“ fungieren in der Trias Altar, darüber Kanzel und Orgel. Auch die „Singbewegung“ im 20. Jahrhundert und in ihrer Folge die „Kirchenmusikalische Erneuerung“ setzte bei allem Reformeifer für urtümliches, lebensechtes Singen weiter auf die Orgel, kreierte sogar den Kirchenmusiker-Berufsstand als Kantor und immer zugleich Organist. „Der Choral“ im Gottesdienst galt als Fokus allen Musizierens in der Kirche und die Orgel als das Instrument schlechthin, um dem Choral zu dienen - mit Bearbeitungen, Vorspielen und möglichst textorientierter Begleitung des Gemeindegesangs.Nun hat „der Choral“ seit dem „Danke-Schlager“ (1961) kräftigen Gegenwind bekommen und damit auch die Orgel. Viele Kirchenmusiker haben sich lange Zeit stur gestellt und „kirchenmusikalische Orthodoxie“ kultiviert. Inzwischen wird auf der Orgel aber gejazzt und geswingt, was das Zeug hält, so dass bei Manchen die Sehnsucht nach „echter“ Orgelmusik wächst. Auch gibt es weiterhin, in letzter Zeit wohl sogar verstärkt, viele Menschen, die mit ihrer Freigebigkeit dafür sorgen, dass ambitionierte Orgelprojekte in Millionen-Größenordnung verwirklicht werden. Dass Orgeln in den evangelischen Kirchen nicht aus Etatmitteln finanziert werden können, bestätigt amtlich deren „nicht notwendig“-Status. Aber für viele scheint unzweifelhaft zu sein, dass zur (schönen) Kirche eine (gute) Orgel gehört. Auch Kirchen sind ja eigentlich „nicht notwendig“ für den christlichen Gottesdienst.Angelehnt an Eberhard Jüngels Diktum „Gott ist mehr als notwendig“, könnte man sagen: Kirchengebäude und Orgel sind mehr als notwendig. Diese kulturelle Tradition funktional zu legitimieren, würde nie den Kern der Sache treffen. Die Orgel als Kirchen-Interieur repräsentiert diesen Raum als Klangraum, eine allerdings „evangelische“ Bestimmung, denn es geht hier um die „viva vox evangelii“, was ohne Klang-Leib nicht vorstellbar ist.Musikalisch „Stimmung in die Bude“ bringen, kann man gewiss auch mit anderen „Sound“-Mustern als dem von Orgelpfeifen. Und Gemeindegesang begleiten und führen lässt sich auf vielfältige Weise. Leider trifft zu, dass viele der Orgelspielenden das gemeinsame Singen nicht gerade unterstützen. „Choralbücher“ bieten dafür oft kontraproduktive Sätze. Aber auch den Leuten am Mischpult, die Band und Vorsänger groß aufdrehen, scheint in der Regel völlig egal zu sein, ob sonst noch jemand mitsingt. Gekonnt eingesetzt, ist die Orgel jedenfalls ziemlich gut „brauchbar“ für Lieder unterschiedlicher Stilistik. Das kann hier nicht im Einzelnen entfaltet werden. Pointiert gesagt: Zur Führung der Gemeinde beim Singen ist die Orgel stets die bessere Band. Und rationell ist das auch: der Personalaufwand mit nur einer Person ist nicht zu toppen! - Es sei denn, man will sich mit Tönen aus der Konserve begnügen. Aber das wäre wieder ein anderes Thema.

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Konrad Klek

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