Swingende Sache

David Murrays „Blues for Memo“
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Alles passt, ist warm, vital, vielfältig. Jazz at its best, Genuss für Connaisseure.

Mächtigen muss man auf die Finger schauen, auf die Musikvorlieben aber auch. Für Gerhard Schröder waren das die Scorpions. Ein Kommentar erübrigt sich. Bei Donald Trump darf man rätseln. Das David Murray-Album „Blues for Memo“ ist sicher nicht darunter. Denn das ist Jazz, und Neugier ohne Kalkül, und Jazz ist Trumps Gegenteil, denn statt um Dominanz geht es um freies Spiel, in dem Gewinn spürbar statt zählbar ist, um Aufmerksamkeit, Begegnung, Offenheit, gemeinsame Suche nach Dynamik im Augenblick, Kreativität.

Holzbläser David Murray (Tenorsaxophon; Bassklarinette) samt Mitmusikern zeigen auf „Blues for Memo“ viel davon - gewidmet ist die CD dem verstorbenen Mehmet Ulu, genannt „Memo”, der mit seinem Bruder in den 90ern in Istanbul den Club Babylon eröffnete und so Leuten wie Murray, Butch Morris, Sun Ra oder Pharoah Sanders eine Bühne schuf, die indes Trumps Seelencousin Erdogan gar nicht gefällt. Eingespielt haben sie das swingende Album denn auch in Istanbul. Der ebenfalls 2013 verstorbene Kornettist Butch Morris, langjähriger Weggefährte Murrays, unterrichtete dort ein paar Jahre. Auch an ihn erinnert das Album. Zu Morris Komposition „Obe“ steuert Poetry-Slammer Saul Williams hier seine Lyrik bei. Kennen- und schätzen lernten er und Murray sich bei der Beerdigung des Dichters Amiri Baraka. Sie verabredeten ein Album.

Williams ist an sechs der zwölf Stücke mit seiner spoken poetry beteiligt, etwa am eindringlichen „Mirror of Youth“. Viel Gedenken und Tod, aber eben auch herrlich viel Feier des Lebens mit einer tollen Besetzung (neben Murray und Williams sind das Orrin Evans/Piano; Nasheet Waits/Schlagzeug; Jaribu Shahid/Bass; Jason Moran/Fender Rhodes; Mingus Murray/Gitarre; Craig Harris/Posaune). Pervis Evans singt zu drei Stücken und findet etwa in „Deep in Me (there is an answer, there is a joy)“ mit starkem Latin-Groove eine Balance zu Williams‘ Rezitation, die einen umhaut, und „Red Summer“ ist ein engagierter #BlackLivesMatter-Beitrag. Im Titelsong, einem echten Blues, nur eben nicht erdig, gospel-verklärt, rock’n’rollend oder Soul-transponiert, sondern mit voller Jazzwucht bis in jeden Seelenwinkel ausgeforscht, spielt Aytac Dogan die türkische Kastenzither Kanun. Alles passt, ist warm, vital, vielfältig. Jazz at its best, Genuss für Connaisseure und ein Erlebnis für jene, die sich endlich drauf einlassen möchten. „Blues for Memo“ ist ein grandioses Album. Besonders fesseln die Saxophon- und Posaune-Soli in „Enlightenment“, einem Stück des Space-Afrofuturisten Sun Ra, dessen Zeilen im Innencover Lebende und Tote aus dem Jenseits grüßen: „I’ll build a world of abstract dreams/And wait for you“. Spiritualität, wie wir sie mögen! Besides: Who the fuck are Trump & Co.?

Udo Feist

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