Ich hasse Frühsteher

Punktum

Von meinen Kindern lerne ich immer wieder gerne. Besonders auf dem Gebiet der Sprache kommen die lieben längst nicht mehr so Kleinen mit immer neuen Kreationen um die Ecke. Häufig sind es Anglizismen, zum Beispiel: „Das habe ich ganz random gefunden“ - damit meinen sie, wie mir auf Nachfrage augenrollend erklärt wird, dass etwas zufällig gefunden wurde. Klar, das englische Wort random heißt „zufällig“, und zufällig werden unsere Kinder damit häufig konfrontiert, weil es bei ihren Playlists die random-Funktion gibt, die dann die Musiktitel in beliebiger Reihenfolge spielen. Also genau die Funktion, die ich immer verzweifelt versuche auszuschalten. Okay, das mag ein First World Problem sein . oh, wieder so ein Anglizismus, den seit einiger Zeit meine Kinder einschleppen. Sie kennen das nicht?

Nun, als First World Problem, so steht es Wikipedia, „wird in abwertender Form eine Problemstellung bezeichnet, die keine wesentlichen und grundsätzlichen Dinge behandelt“. Also Probleme, „die im Vergleich zu viel grundlegenderen Problemen der Existenzsicherung von Menschen in weniger entwickelten Staaten (.) unwichtig bis lächerlich erscheinen“.

Um ein solches Problem handelt es fraglos beim so genannten Frühsteherproblem, das immer wieder in den Fernzügen der Deutschen Bahn und meiner Wahrnehmung nach besonders auf der Strecke Hannover - Berlin und zurück auftritt. Gemeint ist die lästige Angewohnheit vieler Mitreisender, gefühlt eine Viertelstunde (!) vor Ankunft mit Sack und Pack aufzustehen und dann bräsig und deutlich zu früh den schmalen Gang zuzustellen. Vor begehrten Aussteigebahnhöfen wie Berlin oder Hannover ist diese Frühsteherei epidemisch.

Das ist nicht lustig! Meinetwegen können alle vor mir aussteigen, ich habe es meist nicht so eilig, dass ich als erstes den Bahnsteig entern muss. Das Problem liegt woanders: Wenn neben Ihnen der Gang vollsteht, dann geraten Sie in Zugzwang, wenn Sie geschmeidig beim Einrollen in den Bahnhof Ihren Laptop, das Tablet, das ein oder andere Buch und die abgelegte Jacke, wahlweise den abgelegten Pullunder wieder anlegen wollen, denn es fehlt schlicht der Bewegungsspielraum. Da hat man sich schon extra und mit Bedacht an den Gang gesetzt, aber der Vorteil der freien Fläche ist dahin, jedenfalls wenn neben Ihnen am Fenster noch jemand sitzt, der im schlimmsten Falle auch aussteigen will! Beherzt heraustreten, sodass für beide ein guter Aufbruch just in time möglich wird, kann man jedenfalls vergessen, wenn die Frühstehermafia wieder zugeschlagen hat.

Dabei wäre alles doch so einfach: Jeder und jede packt, wann immer er oder sie will, sittsam die sieben Sachen zusammen, aber verlässt den Platz erst, wenn der Zug steht. Glauben Sie mir, das wäre so viel schöner. „Papa, First World Problems .!“ Ja, Kind, ich weiß, aber ich hasse Frühsteher .

Reinhard Mawick

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