Im Frieden von Münster

Fünf Ausstellungen widmen sich dem Thema Frieden in Europa von der Antike bis heute
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400 Jahre nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges und 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges präsentieren fünf Museen in Münster in vier Häusern Ausstellungen zum Frieden in Europa von der Antike bis heute. Ein Rundgang durch die westfälische Bischofsstadt.

Gleich am Eingang im Stadtmuseum an der Salzstraße: das Flugblatt mit dem Friedensreiter aus Münster. Er zieht durch die Lande und verkündet die Friedensbotschaft von der katholischen Bischofsstadt aus über ganz Europa. Zwar war der Frieden im Oktober 1648 noch nicht ratifiziert, aber die Kämpfe endeten. So wurde der Reiter zum Symbol des Westfälischen Friedens und der Druck zu einem der bekanntesten Flugblätter dieser Zeit.

Daneben als wichtigstes Signet: eine auf den ersten Blick kleine unscheinbare goldene Medaille. Sie zeigt auf ihrer Vorderseite die Stadt Münster und das Prägejahr 1648. Oben drüber: hinc toti pax insonat orbi, zu Deutsch: Von hier aus schallt der Friede in alle Welt. Über der Stadt schweben zwei Putti. Die Rückseite: ein Handschlag, Ölzweig sowie zwei Füllhörner; darunter ruhen Waffen. Die Insignien des Friedens werden sinnbildlich verbreitet.

100 Jahre später sah das schon ganz anders aus, wie die Ausstellung „Ein Grund zum Feiern?“ zeigt, die sich der Rezeptionsgeschichte des Westfälischen Friedens widmet. In Augsburg, Dinkelsbühl und Schwäbisch-Hall ließ man Festmedaillen prägen, Massenmedien zu dieser Zeit. „Alle evangelischen Städte feiern“, sagt Barbara Rommé, Leiterin des Münsteraner Stadtmuseums. Und die Katholiken? „Die schweigen“, sagt die promovierte Kunsthistorikerin. Sie hat der Westfälische Frieden nicht in große Feierlaune versetzt. Das ändert sich auch 1848 und 1898 kaum.

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Man lernt, dass das bikonfessionelle Augsburg seit 1651 jedes Jahr den Westfälischen Frieden feierte. Für die Evangelische Schuljugend legte man Jahr für Jahr so genannte Friedensgemälde auf, allesamt Kupferstiche mit vielen Details.

Feiernde Protestanten

Und 1948? Für die Nationalsozialisten, erzählt Barbara Rommé, war der Westfälische Frieden Grundlage, um gegen den Erbfeind Frankreich Stimmung machen zu können. Die Partei plante eine große Propagandaausstellung, über die großformatige Ölgemälde informieren.

Doch es kam anders. Ein Wochenschaubericht von 1948 zeigt, wie drei junge Männer die Friedensbotschaft in die Niederlande bringen. Nachdem die Deutschen sämtliche Nachbarvölker überfallen haben, wird der historische Friedensschluss erstmals zur Völkerfreundschaft genutzt.

Was lernt die Besucherin? Der Westfälische Friede wird zu jeder Zeit und von jeder Gruppe anders bewertet. Selten kann man so eindrucksvoll den Wandel der Einschätzung von Geschichte erleben und sehen, wie abhängig diese von der aktuellen Gegenwart bestimmt wurde.

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Ortswechsel. Die westfälische Bischofsstadt prunkt mit ihrem St.-Paulus-Dom. Am Domplatz im Fürstenberghaus liegt im Erdgeschoss das Archäologische Museum der Universität Münster. Hier präsentieren die Archäologen um Kustos Helge Nieswandt als erstes Museum überhaupt eine Schau zum „Frieden in der Antike“. Heraus ragt der älteste erhaltene Friedensvertrag der Welt, geschlossen zwischen dem Hethiter-Reich und Ägypten (1259 v. Chr.). Der Vertrag, in akkadischer und ägyptischer Sprache verfasst, fixiert unter anderem ein gegenseitiges Nichtangriffsversprechen und auch die Pflicht zum Beistand gegen Feinde.

Kostbare bemalte Gefäße, ein marmornes Urkundenrelief aus Athen, auf dem die Stadtgöttinnen von Athen und Samos einen Bündnisschluss besiegeln, und die berühmte Statue der Friedensgöttin Eirene legen in einer Zeit Zeugnis von Friedensideen und -schlüssen ab, in der die Allgegenwart von Krieg das Leben der Menschen bestimmte. „Bilder von Kriegen gibt es in der Antike zuhauf; explizite schriftliche und bildliche Äußerungen zum Frieden hingegen muss man suchen“, liest man im Katalog.

Imposant ist die eigens für die Ausstellung geschaffene Rekonstruktion der Friedensgöttin Eirene, die um 375 v. Chr. auf dem Staatsmarkt von Athen aufgestellt wurde, geschaffen vom Künstler Kephisodot. Sie steht als prächtige Skulptur für neue Wege zum Frieden nach dem verheerenden Peloponnesischen Krieg.

Auch der Gipsabguss einer Bronzestatuette aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. fällt dem Besucher ins Auge: Ein unbekleideter junger Mann trägt einen Widder auf den Schultern. Das Motiv existiert seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland, erzählt Helge Nieswandt, Experte für Griechen und Römer. Die Opfertiere waren zumeist Schafe oder Kälber. In der römischen Kunst setzt sich das fort, wird jedoch im Frühchristentum als „guter Hirte“ umgedeutet. Nun dominiert der friedfertige Charakter des sorgenden Hirten, das Opfertier tritt zurück. Nieswandt erklärt: Das Frühchristentum schafft es, das antike Motiv völlig neu zu deuten.

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Und die Taube? Hat sie schon von hier aus ihren Siegesflug als Friedenstaube angetreten? In der Antike ist die Taube kein ausgeprägtes Friedenssymbol, sagt der Wissenschaftler, sie gehört vielmehr als Attribut zur Liebesgöttin Aphrodite.

Die Ausstellung „Frieden in der Antike“ lässt begreifen, dass Frieden kein modernes Phänomen ist, sondern dass sich bereits im gesamten griechisch-römischen Altertum Symbole und Motive dafür finden, die nahezu ikonografisch Frieden darstellen: der Kuss, die Umarmung, das Füllhorn, der Botenstab, der Zweig und Bildnisse von Tieridyllen.

Viele dieser Motive antiker und christlicher Friedensvorstellungen finden sich in den Gemälden und Skulpturen im benachbarten LWL-Museum für Kunst und Kultur wieder, nur wenige Fußminuten entfernt in der Ausstellung „Wege zum Frieden“, in der diese Ideen in vielfältiger Weise künstlerisch visualisiert werden.

Zum Beispiel durch Otto Pienes mit „Pax“ betitelte - Regenbögen darstellende - Siebdrucke aus den Jahren 1969/70. Oder der auf den alttestamentlichen Propheten Jesaja zurückgehende Tierfrieden, zu sehen auf dem Gemälde „Pax“ (1544) von Battista Dossi, wo Lamm und Wolf einträchtig zu Füßen der Pax liegen. Und der Kuss von Gerechtigkeit und Frieden, auf den Gemälden von Jacopo Palma il Giovane und Theodor van Thulden, die allesamt Psalm 85, 11 illustrieren.

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In einem Raum hängen Rubens, Dix und Kollwitz einander gegenüber. „Künstler für den Frieden“ möchte man ihn nennen. Peter Paul Rubens (1577-1640) war als Unterhändler bei den Friedensverhandlungen während des Dreißigjährigen Krieges tätig, nahm als Hofmaler aktiven Anteil an Friedensbemühungen. Otto Dix verarbeitete seine persönlichen Erfahrungen als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg mit seinem Gemälde „Flandern“. Traurig stimmen die erschöpften Soldaten und Trümmer, die mit der apokalyptischen Landschaft verschmelzen. Grauen und Schmerz auch auf den sieben Holzstichen von Käthe Kollwitz, die das Elend des Krieges festhalten. Die Zeiten der „utopischen Vorstellungen einer Friedenszeit“ sind vorbei; die Bildwelt dominieren die Gräuel des Krieges.

Tiefpunkt der Toleranz

Auf der Sonderausstellungsfläche im LWL-Haus zeigt das Bistum Münster seine Schau „Frieden. Wie im Himmel so auf Erden“? „Es ist keine apologetische Ausstellung“, sagt Projektleiter Thomas Flammer beim Rundgang. Während der Eingangsbereich den christlichen Idealen wie den Seligpreisungen, der Bergpredigt, den Zehn Geboten und den Vorstellungen vom guten Hirten gewidmet ist, geht es in den anderen Teilen der Ausstellung um die Realitäten und auch um das Scheitern der Christen an den eigenen Ansprüchen. Zunächst die biblischen Friedenszeichen wie der Regenbogen, den Gott als Zeichen des Bundes in der Arche Noah-Geschichte in den Himmel setzt, geschaffen 1972 von Otto Piene. Und die Friedenstaube (2007), die der britische Street Art-Künstler Bansky mit einer schusssicheren Weste versehen in Bethlehem an eine Hauswand versprüht.

Weiter auf dem Friedensweg. Die Personifizierung des Friedens führt im Christentum zu Jesus Christus, der als guter Hirte dargestellt wird, und zur Bildpostkarte nach William Strutt von 1896. Sie zeigt einen Frieden, wie er vom Propheten Jesaja in der Bibel beschrieben wird, ein kleines Kind hütet wilde Tiere und Nutztiere.

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Eines der schönsten Exponate ist die Patene aus dem 6. Jahrhundert, gefunden nahe Aleppo. Sie dokumentiert, dass das gemeinsame Mahl der Christen in einer antiken Tradition stand und erinnert an das Sättigungsmahl.

Im nächsten Raum erklingt leise „Von guten Mächten treu und still umgeben.“ Er ist dem Märtyrertum gewidmet und lässt den Blick auf den „Weihnachtsgruß“ vom 19. Dezember 1944 von Dietrich Bonhoeffer an seine Verlobte werfen. Ein besonderes Zeitdokument, das erstmals für eine Schau in Deutschland aus Boston ausgeliehen wurde.

Überhaupt fällt auf, es wird dunkler in den farblich gestalteten Räumen. Der Besucher ist in der Realität angekommen. „Gott mit uns“ steht auf dem Koppelschloss (1936-45), eine Fahne mit dem aufgesticktem „Herz Jesu“ (1914-1918) und eine Postkarte, auf der aus dem Matthäusevangelium zitiert wird (1915), das alles zeigt die enge Verbindung von Kirche und Nation. George Grosz, Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Barlach und Otto Pankok bringen mit ihren Bildern ihre Kritik an der Rolle der Kirchen im Kriegstreiben zum Ausdruck. Obrigkeitsgehorsam oder Gewissen? Das Dilemma zeichnet ein ausgestellter Brief von Bischof Clemens August von Galen aus dem Jahr 1941 nach.

Schreiendes Schaf

Und wie gingen Christen mit Nichtchristen um? Da verweist Flammer, der das Institut für Bistumsgeschichte leitet, auf sein Lieblingsobjekt, den Kupferstich „Triumph des heiligsten Rosenkranzes“ aus dem Jahr 1634. „Dieses Blatt zeigt den unglaublichen Tiefpunkt in der Geschichte des Christentums und des Umgangs mit Toleranz und Mit- und Gegeneinander“, sagt der katholische Theologe. Damals hatte eine christliche Flotte gegen das Osmanische Reich gesiegt. Zu sehen ist darauf Maria, die auf einem getöteten Krieger steht, das Christuskind hält den abgeschlagenen Kopf des Muslim in die Höhe. Das sollte uns eine Mahnung sein, sagt er.

Die fünfte Ausstellung befindet sich in Deutschlands einzigem Picasso Museum. Es nimmt den roten Faden unter dem Motto „Picasso - von den Schrecken des Krieges zur Friedenstaube“ auf. Seine Meisterwerke „Guernica“ und die „Friedenstaube“ sind in unser kollektives Bildgedächtnis eingegangen. Und: „Sie entwickelten sich zu Ikonen der Moderne, die bei Friedensdemonstrationen bis heute Verwendung finden“, erläutert Museumsleiter Markus Müller. Fotos von Picassos Lebensgefährtin Dora Maar dokumentieren die Entstehung von „Guernica“. Auch wenn Deutungsversuche ganze Bibliotheken füllen, ist das Bild eine „Gesinnungsdevotionalie“ geworden, heißt es im Katalog. Auf Plakaten gegen den Vietnamkrieg, gegen den ersten Golfkrieg sowie gegen Waffenexporte aus westlichen Industrienationen fand es Verwendung. In Münster ist raumfüllend eine „Guernica-Paraphrase“ von Tatjana Doll zu sehen: „RIP_Im Westen nichts Neues II“ heißt ihr Monumentalwerk aus dem Jahr 2009.

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Eine überlebensgroße Bronzestatue namens „Mann mit Schaf“ erregt Aufmerksamkeit. Sie erinnert an griechische und römische Skulpturen, die in der Regel das Tier über der Schulter tragen. Picasso schöpft 1943 vermeintlich aus alten Bildtraditionen. Assoziationen an den „guten Hirten“ stellen sich ein. Und doch gibt es eine Irritation, denn der Mann hält dem schreienden Schaf die Füße zusammen. Picasso schuf diese Statue nach dem 1. Juni 1942, als auch die in Frankreich lebenden Juden ab dem sechsten Lebensjahr den gelben Stern auf der Brust tragen mussten, und die ersten Deportationen begannen.

Wie die Taube schließlich ihren Siegesflug als Symbol für den Frieden um die Welt antrat, erfährt der Besucher in einem weiteren Schwerpunkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf Picasso sie als Plakatmotiv für einen Friedenskongress. Nach seinem Eintritt in die Kommunistische Partei Frankreichs entstehen weitere Versionen; aus dem schwarz-weißen Motiv wird eine farbige Grafik, deren Untergrund ein Regenbogen ist. Picasso schöpft also unverkennbar in christlicher Motivwelt und Symbolik. All das wird sinnfällig in Zitaten, Plakaten, (Farb-)Lithografien und Bleistiftzeichnungen; sie zeigen in diesen Räumen das Paradox der Geschichte: Die kommunistischen Parteigenossen rühmten Picasso für seine Friedenstaube, die ihre Motivik und Symbolik maßgeblich dem Christentum verdankt.

Fünf Friedensausstellungen in vier Museen: Der Gang durch die Geschichte zeigt, wie fragil der Frieden ist, fast marginal. Und bei fast 200 bewaffneten Konflikten auf dieser Welt fällt es schwer, die Hoffnung nicht zu verlieren.

Information

Die fünf Ausstellungen „Frieden - Von der Antike bis heute“ sind bis zum 2. September in Münster zu sehen. Ein umfangreiches Führungsprogramm und fünf Kataloge begleiten die Ausstellungen.

weiter zur Friedensausstellung Münster
weiter zum Kunstmuseum Picasso
Informationen der Stadt Münster
Zum Archäologischen Institut der Uni Münster
Zum westfälischen Landesmuseum in Münster

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Kathrin Jütte (Text) / Hans-Jürgen Krackher (Fotos)

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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