Lutheraner am Kilimandscharo

Die Erben des Reformators in Tansania stehen vor großen Herausforderungen
Der Kilimandscharo ist mit 5.895 Metern das höchste Bergmassiv Afrikas. Im 19. Jahrhundert kamen europäische Missionare hierher und gründeten Kirchen. Eine davon ist heute die Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania.
Der Kilimandscharo ist mit 5.895 Metern das höchste Bergmassiv Afrikas. Im 19. Jahrhundert kamen europäische Missionare hierher und gründeten Kirchen. Eine davon ist heute die Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania.
Gut sechs Millionen Lutheraner leben in Tansania, damit ist die lutherische Kirche des Landes die zweitgrößte weltweit. Wie positioniert sie sich zwischen Muslimen, Pfingstlern und einer Regierung, die die Opposition und die Pressefreiheit unterdrückt? Welche Themen sind ihr wichtig? zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch war als Stipendiat des Evangelischen Presseverbandes für Bayern und Mission EineWelt im Norden Tansanias unterwegs.

Dieses Hemd ist der Hammer: Voller Farben, Muster und Schnitt harmonisch aufeinander abgestimmt, perfekter Sitz. Würde Rams Mosha es in der Berliner Kastanienallee ins Schaufenster hängen, da, wo die jungen Modedesigner ihre ersten Kollektionen präsentieren - es würde Gesprächsstoff werden. Aber die Macchiato-Mode-Szene des Prenzlauer Bergs ist weit weg. Rams Mosha trägt dieses Hemd selbst, während er seinen Schülern und Schülerinnen erklärt, wie man einen Rock schneidert. Er ist Lehrer am „Rehabilitation and Training Center“ in Usa River, einer kleinen Stadt im Norden Tansanias. Das Internat wird von der lutherischen Kirche des Landes getragen, hier erhalten knapp 70 Schüler eine berufliche Ausbildung, werden zum Beispiel Schlosser, Zimmerleute, Bäcker oder eben Schneider. Die besondere Herausforderung: Alle Schüler sind behindert, die meisten körperlich, einige auch geistig. In Tansania gilt das in vielen Familien noch immer als Fluch, als Makel, der auf der Familie lastet. Die Kinder wurden früher oft versteckt, und bis heute gibt es keine staatlichen Schulen, die sie ausbilden.

Dies übernehmen die Kirchen. Die Schule in Usa River wird unterstützt von Mission EineWelt und der Rummelsberger Diakonie, das erste Lehrerkollegium wurde vor 25 Jahren in Deutschland ausgebildet. Ein Diakon aus Rummelsberg hat die Schule vor Ort mitaufgebaut, sein Nachfolger lebt ebenfalls mit seiner Familie am Ort und sorgt mit dafür, dass die Schule läuft und weiter wächst. Eine weiterführende Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder entsteht gerade auf dem Campus. Das Gehalt des Diakons kommt aus Bayern. Doch ihren laufenden Betrieb muss die Schule zum größten Teil selbst erwirtschaften, durch Schulgeld, ein Gästehaus oder den Verkauf von Backwaren, die in unterschiedliche Kaffees und Hotels am Fuße des Kilimandscharos mittlerweile recht gefragt sind. Die Rezeptur stammt von einem Nürnberger Bäcker, der hier vor einigen Jahren als Freiwilliger gearbeitet hat. Doch im Zentrum der Arbeit steht die Ausbildung der Schüler und Schülerinnen. Etwa 400 Jugendliche haben hier bislang einen Abschluss gemacht und konnten sich damit eine eigene berufliche Existenz aufbauen.

Vertrauen lehren

Rams Mosha war einer von ihnen. Denn er leidet seit seiner Geburt an einer Knochenkrankheit, ist mit 49 Jahren nicht größer als ein Schulkind. Er wuchs auf in einem Dorf in der Region, gemeinsam mit acht Geschwistern, sein Vater war Bauer, baute Kaffee und Bananen an. Rams half seinen Eltern, die ihn zum Glück nicht versteckten, sondern ihm offenbar Selbstbewusstsein mitgaben. „Ich war etwas Besonderes“, beschreibt er den Umgang der anderen Dorfbewohner mit ihm. Aber diese Welt war zu klein, „Freiheit“ fühlte er erst, als er in die Ausbildungsstätte nach Usa River kam. Selbst dann, als es mit seinem Berufswunsch Schlosser nicht klappte und er das Schneiderhandwerk lernte.

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Später ging er auf weiterführende Schulen, entdeckte sein pädagogisches Interesse, und nach seiner Ausbildung zum Lehrer kehrte er zurück nach Usa River. Mosha lebt wie die anderen Lehrer in einem kleinen Haus mit zwei Zimmern auf dem Schulgelände gemeinsam mit seiner nicht behinderten Frau Margret, der Tochter Rachel und seinen zwei Söhnen Wolfgang und Oskar. „Ich liebe deutsche Namen“, lacht er, während er auf dem Sofa seine Geschichte erzählt. An der Wand hängen Bilder mit christlichen Motiven, mindestens so bunt gestaltet wie sein Hemd. Rams Mosha ist Lutheraner, geht regelmäßig in die Gottesdienste in der kleinen Kirche auf dem Schulgelände, singt im Chor. Sein sonorer Bass füllt leicht den ganzen Raum, trägt viel von seinem Charisma in sich. Er selbst lebt vor, was er seinen Schülerinnen und Schülern vor allem beibringen will: „Sie sollen nicht immer an ihre Behinderung denken, sondern daran, wie sie ihre Probleme lösen können. Sie sollen Vertrauen entwickeln, vor allem Selbstvertrauen.“

Rund 100 Kilometer weiter östlich, in Moshi, geht ein anderer Lehrer über einen grünen Campus am Hang des Kilimandscharos. Emanuel Kileo ist Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung am Stefano Moshi Universitäts-College in Moshi, das zur lutherischen Tumaini Universität gehört. 16 Professoren und 15 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bieten hier unterschiedliche Studiengänge an. Jede Religion, jede Ethnie ist willkommen, sowohl beim Personal als auch bei den Studierenden. Nur Vollverschleierung wird nicht geduldet, wie auch sonst ein für europäische Maßstäbe strenges Kleidungsregime gilt: keine kurzen Hosen, keine tiefen Ausschnitte, keine Muscle-Shirts. Schließlich sollen sich die jungen Leute ja auf das Studium konzentrieren. Ein Schwerpunkt liegt auf der pädagogischen Ausbildung, aber auch Abschlüsse in Verwaltungslehre, Tourismus, Journalismus sind hier möglich. 1.500 junge Männer und Frauen studieren an der Universität, doch ihre Zahl sinkt.

Grund ist ein neues Gesetz des Präsidenten John Magufuli, der seit 2015 im Amt ist. Er bekämpft die Korruption, erhebt konsequent Steuern, treibt die wirtschaftliche Entwicklung voran. Dazu will er die naturwissenschaftliche Ausbildung in den Schulen und Universitäten stärken. Das bedeutet: Jede weiterführende Schule muss über Labore verfügen, deren Größe und Ausstattung streng vorgegeben ist. Und um genügend Lehrer und Lehrerinnen dafür zu bekommen, gibt es staatliche Förderung nur noch für diejenigen, die naturwissenschaftliche Fächer studieren. Eine Herausforderung für die lutherische Universität, die anders, als etwa die katholischen Einrichtungen, traditionell eher sozialwissenschaftlich ausgerichtet ist. „Wir wollen die Naturwissenschaften stärken“, sagt Kileo. Ein neuer Campus mit Laboren soll für rund zwei Millionen Euro entstehen, der jetzige Campus wird geräumt und soll wieder zum Pfarrerseminar werden. „Entwicklung braucht Naturwissenschaft“, sagt Kileo und verweist auf die Fortschritte der vergangenen Jahre in Tansania. Die Zahl der Sekundarschulen habe sich in 20 Jahren vervierfacht, es wurden viele neue Universitäten gegründet, ein Krankenversicherungssystem wurde eingeführt, der Straßenbau sei vorangekommen, Nachhaltigkeit werde zunehmend ein Thema. „Das sind Zeichen, dass das Land vorankommt.“

Doch dem entgegen stehe eine Veränderung des politischen Klimas. Laut Amnesty International ist das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung in Tansania deutlich eingeschränkt. Präsident Magufuli verbot 2016 sämtliche politische Kundgebungen bis zum Jahr 2020. Oppositionsführer wurden verhaftet und wegen verschiedener Straftaten, unter anderem wegen Aufwiegelungen, angeklagt. Die Abgeordneten der Opposition stehen also unter Druck. Man hört, dass es früher mehr politische Diskussionen in der Bevölkerung gab. Eine fragwürdige Entwicklung für die Demokratie in dem Land.

Kollektensammlung im Gottesdienst.
Kollektensammlung im Gottesdienst.

Auch mit Blick auf die Pressefreiheit beklagt Amnesty International das Vorgehen des Staates. So wurden 2016 vier Medienunternehmen geschlossen, Journalisten festgenommen. Drei Journalisten wurden angeklagt, nachdem sie über die Wahlen in Sansibar und die darauf folgende politische Krise berichtet hatten. Zeitungen brauchen alle fünf Jahre eine Lizenz vom Staat, die dieser eben auch nicht erteilen kann. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass Philemon Fihavango, Chefredakteur des lutherischen Radiosenders „Stimme des Evangeliums“, eher vorsichtig über seine Arbeit spricht und zum Beispiel die regelmäßige Lizenzvergabe verteidigt: „Sie wollen, dass Zeitungen professionell gemacht werden.“

Gegen Beschneidung

Der Sender sitzt in der 150.000-Einwohner-Stadt Moshi und erreicht mit seinem Vollprogramm rund um die Uhr von dort aus etwa acht Millionen Menschen. Zu etwa 70 Prozent besteht das Programm aus Entwicklungsthemen, also Nachrichten und Bericht aus Landwirtschaft, Gesundheit, Tourismus, aber auch Frauen- und Familienthemen. Häufig greift der Sender staatliche Kampagnen aus den Bereichen aus und vertieft sie mit Diskussionen oder Berichten. Bis ins Massaigebiet hinein sendet die „Stimme des Evangeliums“, da wo die Angehörigen dieser Volksgruppe noch immer in traditionellen Rundhütten leben und in ihre roten Gewänder gekleidet ihr Vieh über die Steppe treiben. Bodenrecht, Landwirtschaft, aber auch die noch immer häufig praktizierte Beschneidung von jungen Mädchen sind immer wieder Themen, die nicht nur für die Massai ins Programm genommen werden. Der Sender positioniert sich deutlich gegen die Beschneidung, versucht andere Rituale für den Schritt vom Mädchen zur Frau zu propagieren.

30 Prozent der Sendezeit gehören der Religion. „Wir wollen das Evangelium weitertragen“, sagt Fihavango. „Wir wollen den Menschen sagen, dass sie nicht mehr von Dämonen oder Aberglauben gefangen sind.“ Während er das formuliert, sendet eine Etage höher ein angestellter Diakon eine Verkündigungssendung, in der Lutherchoräle mit einem neuen Text auf Kisuaheli ebenso zu hören sind wie afrikanische Melodien. Und er klärt darüber auf, dass eine Taufe nicht wirkungsvoller ist, wenn man mehr Wasser nimmt.

Trotz der klaren inhaltlichen Ausrichtung arbeiten bei dem Sender aber nicht nur Lutheraner, auch Katholiken und Muslime sind Teil des Teams aus 20 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Eine von ihnen ist Grace Munuo, eine Journalistin aus Leidenschaft: „Ich möchte Menschen helfen, ich möchte die Frauen stärken“, sagt sie. Der Journalismus sei ihr Leben, auch wenn man in Tansania nur schwer davon leben kann - wenn man nicht gerade bei einem Staatssender arbeitet. So bekommt der Korrespondent im Massai-Gebiet etwa einen Euro pro Beitrag, was selbst in Tansania nur für ein einfaches Mittagessen reicht. Deshalb hat es sich eingebürgert, dass die Veranstalter von Pressekonferenzen denen, die kommen, Geld bezahlen. Was eine kritische Berichterstattung nicht gerade erleichtert, ist für so manchen Journalisten ein überlebensnotwendiger Teil des Einkommens.

Gottesdienst in Moshi: Die Kirche ist noch im Bau, aber an diesem Sonntag brechend voll.
Gottesdienst in Moshi: Die Kirche ist noch im Bau, aber an diesem Sonntag brechend voll.

Der Sender hat ein Jahresbudget von etwa 345.000 Euro und muss sich vor allem über Werbung und gesponsorte Sendungen finanzieren. Eine weitere Einnahmequelle ist das Aufnahmestudio im Erdgeschoss, in dem Chöre CDs produzieren können. An der Studiowand lächelt Modern Talking vom Plattencover, daneben hängen andere deutsche Platten aus den Achtzigern. Doch auch der Bischof der Diözese, Fredrick Shoo, blickt, mit Mitra und Bischofstab ausgestattet, ehrwürdig aus dem Bilderrahmen auf die Redaktion.

In allen kirchlichen Gebäuden hängt sein Bild, manchmal auch nahe bei dem des Staatspräsidenten. Shoo ist derzeit auch leitender Bischof der gesamten lutherischen Kirche von Tansania und als solcher direkter Gesprächspartner des Präsidenten.

„Es gibt eine spannende Zusammenarbeit - so wie es sein sollte“, sagt Shoo im Gespräch mit deutschen Journalisten. Gesundheitsthemen, Bildung, der Umgang mit Behinderten, Armutsbekämpfung - in all diesen Bereichen ist die Kirche Kooperationspartner und „Augenöffner“ der Regierung. In allen diplomatischen Herausforderungen äußert sich die Kirche immer wieder auch kritisch, hat sich zum Beispiel 1994 in der Bagamoyo-Erklärung für die Einhaltung von Menschenrechte und mehr Meinungsfreiheit eingesetzt. Und auch aktuell kritisiert Shoo die Regierung: „Wir sehen zur Zeit, dass es eine stärkere Beschränkung der Meinungsfreiheit gibt.Wir würden uns mehr Pressefreiheit wünschen.“ Doch nicht nur die Beziehung zur Regierung ist eine Daueraufgabe der lutherischen Kirche in dem afrikanischen Land. Denn Tansania ist ein Staat, in dem es viele Religionsgemeinschaften gibt, meist ist der Umgang miteinander friedlich.

So sagt Shoo zum Verhältnis zwischen Christen und Muslime, die beide jeweils gut 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen: „Wir leben in einem Boot, man hilft sich gegenseitig.“ Interreligiöse Komitees in verschiedenen Regionen besprechen die Themen, die alle betreffen, meist Entwicklungsfragen. In der Kilimandscharo-Region sei die Zusammenarbeit besonders eng, es gibt etwa gemeinsame Kreditgesellschaften. Probleme machte der zunehmende Einfluss extremer Gruppen vor einigen Jahren, aber die Spannung nehme nicht mehr zu. „Der Mainstream gewinnt wieder an Bedeutung“, sagt Shoo.

Fragen nach Identität

Auch die Pfingstkirchen sind eine große Herausforderung. Die Inhalte der Verkündigung sieht Shoo kritisch, hält Vieles für nicht mit dem Evangelium vereinbar. Die Form regt ihn hingegen zur Selbstbefragung an. „Warum gehen die Menschen dorthin? Welche Themen werden dort angesprochen? Es gibt etwas zu lernen von den pfingstlerischen Gruppen.“

Am Ende des Gottesdienstes bekommt der Bischof eine Ziege geschenkt.
Am Ende des Gottesdienstes bekommt der Bischof eine Ziege geschenkt.

Gleichzeitig hat die lutherische Kirche von Tansania auch das Erbe des Reformators zu verwalten, hat gerade im abgelaufenen Jubiläumsjahr immer wieder danach gefragt, was es heißt, lutherisch zu sein. „Was sollte die Identität unserer Kirche in Tansania im heutigen Kontext sein?“, fragt Shoo und zieht den Bogen auch zu den Kirchen im Norden. Hier gibt es klar unterschiedliche Haltungen, zum Beispiel mit Blick auf den Umgang mit Homosexualität, aber auch gemeinsame Themen als „Weltbewohner“, an denen es zu arbeiten gilt, wie etwa den Klimawandel. Und für die Zukunft zeigt sich Shoo hoffnungsvoll: „Wenn man unsere Kirche als Weltkirche betrachtet, sollte man keine Angst haben. Vielleicht geht die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland oder Europa zurück, aber hier in Afrika wächst die Kirche - und es ist die eine Kirche, die wächst.“

Stephan Kosch (Text) / Harald Rumpf (Fotos)

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