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Barmen: Kompakte Einführung
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Wer rasche Informationen über das protestantische Jahrhundertdokument sucht, dem kann diese populär gehaltene Übersicht durchaus empfohlen werden.

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ie Barmer Theologische Erklärung (BTE), verabschiedet am 31. Mai 1934 auf der 1. Reichsbekenntnissynode in Wuppertal-Barmen, wird weithin als die Magna Charta der Kirchenopposition im „Dritten Reich“ angesehen. Sie gilt, sicher zu Recht, als das anspruchsvollste Statement der Bekennenden Kirche (BK) in ihrem Abwehrkampf gegen den Vormarsch der NS-nahen Deutschen Christen (DC). Zielsetzung der DC war, die evangelischen Landeskirchen zu einer von völkisch-antisemitischer Theologie geprägten Reichskirche umzuwandeln, die von Berlin aus nach dem „Führerprinzip“ regiert werden sollte.

Wer rasche Informationen über dieses protestantische Jahrhundertdokument sucht, über seine historischen Kontexte, über seine theologische Aussage und kirchenpolitische Bedeutung sowie über die enorm breite Rezeptionsgeschichte dieses Statements seit 1945, dem kann diese populär gehaltene Übersicht durchaus empfohlen werden. Besonders ausführlich wird die Rezeption der BTE dargestellt, deren erstaunliche Vielfalt deutlich macht, dass diverse politische Richtungen und kirchliche Kreise von der Linken bis hin zu evangelikal-konservativen Gruppen meinten, sich bei ihren aktuellen Anliegen auf die Tradition und Intention der BTE berufen zu können.

Nahezu alle Parteien und Gruppierungen erklärten irgendwann nach 1945 einmal, der gute „Geist von Barmen“ gehöre eigentlich ihnen und werde durch ihr Wirken fortentwickelt. Ein umfangreicher Dokumententeil belegt die unterschiedlichen Inanspruchnahmen des Dokuments von marxistischen DDR-Theologen über westdeutsche Linksprotestanten bis hin zur CDU und zu Evangelikalen. Bemerkenswert ist aus heutiger Sicht, dass die, während der Kirchenkampfzeit gegenüber der BTE eher abstinent-kritischen, lutherischen Kirchen – sie witterten zu viel reformierten Geist in dieser überwiegend von Karl Barth formulierten Erklärung – nach sehr langer Bedenkzeit ab 2012 (zuerst seitens der neu gegründeten Nordkirche) begonnen haben, sich auch explizit auf die theologischen und kirchenpolitischen Traditionen von Barmen zu berufen.

Nicht zu übersehen ist in dieser Darstellung des Koblenz-Landauer Kirchenhistorikers der auffallend wohlwollende Umgang mit den regimeangepassten lutherischen Kirchen, die von Anfang an dem Barmen-Projekt skeptisch bis ablehnend gegenüber standen. Hier erscheint aus heutiger Sicht eine kirchenhistorisch kritischere Bewertung sehr wohl angebracht. Auch sollte eine aktuelle Kirchenhistorie sich von zeitgenössisch geprägten Begriffen des Kirchenkampfes wie „intakten“ und „zerstörten“ Kirchen verabschieden. Für die drei großen lutherischen Landeskirchen mit ihrer sehr weit gehenden Regimeanpassung sollte auf die Kennzeichnung „intakt“ doch eher verzichtet werden. Und für gespaltene Landeskirchen wie die große Kirche der altpreußischen Union wäre es angemessener, von „Selbstzerstörung“ zu sprechen. Der Verfasser geht zwar vergleichend auf das „Altonaer Bekenntnis“ (1932) ein, behandelt aber die Denkschrift der 2. VKL von 1936 an Hitler oder die Denkschriften von Margarete Meusel (1935) und Elisabeth Schmitz (1935/36) zugunsten der evangelischen „Nichtarier“ und der verfolgten Juden zu knapp oder überhaupt nicht. Ein vergleichendes Kapitel unter Einbeziehung dieser und anderer wichtiger Manifestationen der Kirchenkampfzeit wäre hier sehr wohl angebracht gewesen.

Gleichwohl sei resümierend festgehalten, dass diese einschränkenden Anmerkungen den hohen Gebrauchswert dieser kompakten Einführung in das wohl bedeutendste evangelische Kirchendokument deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht wesentlich mindern.

Manfred Gailus

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