Zu verklärend

Über Mahatma Gandhi
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Arun Ghandi geht er bei seinem Großvater Mahatma in die Lehre, lebt bei ihm im Ashram und begleitet ihn auf Reisen.

Die meisten Menschen haben zwar von Mahatma Gandhi gehört, von seinem gewaltfreien Kampf für die Unabhängigkeit Indiens, und dass er 1948 ermordet wurde. Doch wie es mit der Gandhi-Bewegung danach weiterging und wer seine Nachkommen waren und wofür diese sich engagiert haben, davon ist hier niemandem etwas bekannt. Daher ist dieses Buch nur zu begrüßen, weil es zumindest teilweise die beiden letzten Fragen beantwortet. Und weil es zugleich einen sehr persönlichen Blick auf die Gandhi-Ikone wirft, ein Blick, der dieser Ikone menschlich nahbare Züge eines weisen und ein wenig verschmitzten Großväterchens verleiht.

Arun Gandhi ist der älteste lebende Enkel des Mahatma. 1934 in Südafrika geboren und aufgewachsen, erlebte er früh, was Apartheid bedeutete: „Ich wuchs als indisches Kind im rassistisch aufgeladenen Südafrika auf und wurde von den weißen Kindern attackiert, weil ich nicht weiß war, und von schwarzen Kindern, weil ich nicht schwarz genug war.“ Erfahrungen der Ausgrenzung machen den Jungen notorisch wütend und anfällig für Schlägereien, so dass seine Eltern den Zwölfjährigen nach Indien bringen. Dort geht er bei seinem Großvater in die Lehre, lebt bei ihm im Ashram und begleitet ihn auf Reisen.

Von dem, was der Jugendliche Arun in diesen beiden Jahren erlebte und lernte, sind viele kleine An ekdoten, Beobachtungen und Gespräche in diesem Buch festgehalten. Sie vermitteln ein anschauliches Bild vom Selbstverständnis, vom Lebensstil und den Überzeugungen Mahatma Gandhis. Vor allem aber führten die Lehrjahre dazu, dass Arun Gandhi später zum globalen Botschafter des Prinzips der Gewaltlosigkeit avancierte. Er ist bis heute, zusammen mit seiner jüngeren Schwester Ela in Südafrika, der wichtigste hinduistische Sozial- und Friedensaktivist.

Das Buch umfasst elf Lektionen. Eine bekannte Gandhi-Lektion taucht bereits im Vorwort auf. Gandhi-Schulen hierzulande verwenden sie gerne als ihr Schulmotto: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ Bereits die Titel der Lektionen sprechen für sich: „Wut ist ein Geschenk“, „Hab keine Angst, deine Stimme zu erheben“, „Lerne die Einsamkeit schätzen“, „Kenne deinen Wert“, „Verschwendung ist Gewalt“ oder „Erziehe deine Kinder ohne Gewalt“. Die neunte Lektion beschreibt die „fünf Säulen der Gewaltlosigkeit“, denen der Mahatma folgte und die auch sein Enkel ein Leben lang zu beherzigen versuchte: „Respekt, Verständnis, Akzeptanz, Wertschätzung, Mitgefühl“. Wer sie praktiziert, erfährt nicht nur persönlich Glück und Erfüllung, sondern trägt „auch allgemein zu einer größeren Harmonie in der Welt“ bei. Ein Beispiel: 1971 stolpern Arun und seine Frau Sunanda in Bombay über ein Bündel auf der Straße, in dem sich ein Neugeborenes befindet. Arun und Sunanda veranlasste dieser Fund dazu, in den folgenden Jahren 128 solcher Kinder an Adoptiv-Familien zu vermitteln. Über Jahrzehnte hielten sie Kontakt zu ihnen, so dass sie oft zu deren „Großeltern“ wurden. Alles in allem ist das Buch nett zu lesen, moralisch inspirierend, doch etwas zu verklärend.

Mit keinem Wort geht der Autor auf die aktuelle kritische Debatte um die Relevanz Gandhis für das heutige, noch immer vom Kastensystem geprägte Indien ein, die 2014 von der indischen Schriftstellerin und politischen Aktivistin Arundhati Roy ausgelöst wurde. Welche soziale und friedenspolitische Relevanz die Gestalt Gandhis annehmen wird, dürfte sich schon in nächster Zukunft erweisen. Denn vom 2. Oktober 2018 an wird in Indien ein Jahr lang Gandhis 150. Geburtstag gefeiert. Vielleicht tragen die Feierlichkeiten dazu bei, den erstarrten „Säulenheiligen“ nachhaltiger zum Leben zu erwecken. Dieses Buch ist ein Auftakt dazu.

Martin Bauschke

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