Realitätssinn ist nun gefragt

Die Anerkennung der evangelischen Kirche durch die katholische ist fern
Papst Franziskus beim Weltkirchenrat (ÖRK) in Genf. Foto: epd
Papst Franziskus beim Weltkirchenrat (ÖRK) in Genf. Foto: epd
Der Abendmahlsstreit in der katholischen Kirche ist für die Ökumene sehr zwiespältig beendet worden: Nachdem Papst Franziskus zunächst selbst dazu beigetragen hat, dass die römische Zentralmacht in Frage gestellt wurde, hat er die Reißleine gezogen und genauso wie seine Vorgänger eine rote Linie markiert, wo es in lehramtlichen Fragen ans Eingemachte geht. Die Folgen eines innerkatholischen Streits für die protestantischen Kirchen analysiert der deutsch-österreichische evangelische Theologe Ulrich Körtner (Wien).

Im Jahr des Reformationsjubiläums 2017 wurden weltweit hohe ökumenische Erwartungen geweckt. Viele Hoffnungen richteten sich namentlich auf Papst Franziskus. Der aber hat den hoch gespannten Erwartungen kurz vor seiner „ökumenischen Pilgerreise“ zum Weltrat der Kirchen nach Genf gleich mehrere Dämpfer versetzt. Bei einer Audienz mit Vertretern des Lutherischen Weltbundes sprach er sich für ein langsameres Tempo in der Ökumene aus. Am selben Tag wurde der Brief an Kardinal Marx bekannt, mit dem eine einheitliche Lösung für die Zulassung evangelischer Ehepartner in konfessionsverschiedenen Ehen zur katholischen Kommunion vorerst vom Tisch ist. Dessen ungeachtet wurde der Papst von den Mitarbeitern des Ökumenischen Rates in Genf mit frenetischem Jubel begrüßt. Die wohlgesetzten Reden, die dann folgten, blieben freilich inhaltlich blass.

Im Dezember 2017 fand in Osnabrück ein ökumenischer Kongress zum Thema „Frauen in kirchlichen Ämtern – Reformbewegungen in der Ökumene“ statt, auf dem sieben Thesen verabschiedet wurden. Die erste lautet: „Das erklärte Ziel der ökumenischen Bewegung, die sichtbare Einheit der Kirchen, ist nicht zu erreichen ohne eine Verständigung über die Präsenz von Frauen in allen kirchlichen Ämtern.“ Doch nur wenige Tage, bevor der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz seine Post aus Rom bekam, erklärte der – von Franziskus berufene – Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Ladaria, die Debatte über Frauenordination ein für alle Mal für beendet. Ohne Anerkennung der Ordination von Frauen bleiben die Abendmahlsgemeinschaft von Katholiken und Protestanten und damit die vollwertige Anerkennung der evangelischen Kirchen in weiter Ferne.

Daran werden auch neue Gespräche über eine Gemeinsame Erklärung zu Amt und Ordination nichts ändern, die von allen Seiten gefordert wird. Auf einen deutschen Sonderweg, der in anderen Teilen er Weltkirche auf Unverständnis oder Ablehnung stößt, wollte sich Rom am Ende doch nicht einlassen.Er könnte übrigens auch Roms Ökumene mit den orthodoxen Kirchen belasten, wie der griechisch-orthodoxe Metropolit von Deutschland, Augoustinos, verlauten ließ. Der Zickzackkurs, den der Präfekt der Glaubenskongregation und der Papst in dieser Frage fahren, sorgt nicht nur in der katholischen Kirche für Verwirrung, sondern schadet auch der Ökumene. Sah es zunächst nach einem Gesichtsverlust für Kardinal Marx aus, so ist anschließend der Präfekt der Glaubenskongregation bloßgestellt worden. Das ist kein guter Führungsstil.

Auch zeigt sich Franziskus theologisch und kirchenrechtlich nicht besonders sattelfest. Zu den heiklen dogmatischen und kirchenrechtliche Fragen bezog er etwas hemdsärmelig per Interview Stellung und rechtfertigte das Chaos öffentlich damit, er sei anfangs nicht ausreichend informiert gewesen. Unter seinem Vorgänger wäre so etwas wohl nicht passiert. Anhänger des Papstes mögen seine Vorgangsweise als Kabinettsstück jesuitischer Taktik rühmen. Auf die Dauer kann dergleichen aber nicht gutgehen. Was soll man zum Beispiel von einer Enzyklika wie „Amoris laetitia“ halten, die das Problem der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen in einer Fußnote versteckt und alles im Ungefähren lässt? Ausgerechnet diesen Text und sein Konstrukt einer „schweren geistlichen Notlage“ nimmt sich die Orientierungshilfe der deutschen Bischöfe zum Vorbild.

Zwar hat sich die Mehrheit in der Deutschen Bischofskonferenz soweit durchsetzen können, dass die umstrittene Orientierungshilfe zur gemeinsamen Teilnahme konfessionsverbindender Ehen an der Eucharistie nach einigem Tauziehen doch noch veröffentlicht werden durfte, aber nicht als Dokument der Bischofskonferenz, sondern lediglich als Orientierungshilfe für die einzelnen Bischöfe. In ihrem Ermessen liegt es, in welchen Fällen sie evangelische Ehepartner ausnahmsweise zur Kommunion zulassen sollen. Andernfalls bekäme man nach Ansicht des Papstes auf der Ebene der Weltkirche ein Problem. Die Handreichung hat also keinerlei Verbindlichkeit. Im September soll weiterverhandelt werden.

In einer ersten Stellungnahme sprach die EKD von einem kleinen Schritt für die Ökumene, aber einem großen Schritt für die katholische Kirche. Doch so groß ist der vollzogene Schritt innerkatholisch gar nicht. Das vorläufige Ergebnis der Streitigkeiten ist ein Kompromiss, der substantiell nicht über das hinausgeht, was auf der Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils und des geltenden Kirchenrechts auch jetzt schon möglich ist. Kardinal Marx und die Mehrheit der Bischöfe können für sich als Erfolg verbuchen, dass ihre Linie von Rom toleriert wird.

Die Minderheit um Kardinal Woelki darf sich bestätigt sehen, dass eine generelle Regelung, wie sie die Orientierungshilfe vorsieht, keineswegs eine rein pastorale Angelegenheit wäre, sondern Fragen der kirchlichen Lehre auf Weltebene berührt. Am Grundsatz, dass Eucharistiegemeinschaft und Kirchengemeinschaft zusammengehören, soll nicht gerüttelt werden. Was das alles für die Praxis bedeutet, wird sich erweisen. Die Bischöfe können nun Partikularnormen erlassen, die aber erst von Rom abgesegnet werden müssen.

Jeder Bischof kann es halten, wie er es für richtig hält. Die Folge ist ein kirchenrechtlicher Flickenteppich. Ansonsten bleibt alles wie gehabt: In der Praxis scheren sich viele Gläubige, Priester und bisweilen auch Bischöfe nicht um die reine katholische Lehre – solange alles schön in der „pastoralen“ Grauzone bleibt und nichts schriftlich fixiert wird. Ökumenische Durchbrüche sehen anders aus. So hält die Orientierungshilfe fest, dass der katholische Ehepartner selbstverständlich auch in Zukunft „nicht zum evangelischen Abendmahl hinzutreten kann“ (!), die Einladung der evangelischen Kirchen also ablehnen muss, wenn der der Lehre seiner Kirche treu bleiben will. Der evangelische Ehepartner kann dagegen zur Kommunion zugelassen werden, wenn er „den eucharistischen Glauben der katholischen Kirche teilt“.

Im Klartext bedeutet das: Er muss die katholische Transsubstantiationslehre bejahen und folglich auch daran glauben, dass Christus auch außerhalb der Messe in den Elementen von Brot und Wein bleibend gegenwärtig ist und angebetet werden kann. Damit nicht genug, soll der evangelische Ehepartner ehrlichen Herzen das Amen zum eucharistischen Hochgebet sprechen können. Darin werden die Gottesmutter Maria und die Heiligen angerufen. Auch wird für „unseren Papst“ gebetet, der, wie es in der dogmatischen Konstitution des Zweiten Vatikanums „Lumen gentium“ heißt, „das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ ist.

Nun zitiert die Orientierungshilfe anhangsweise das Zweite Hochgebet der katholischen Kirche, in dem Maria und die Heiligen zwar genannt, aber nicht um ihre Fürsprache gebeten werden. Mit einer solchen Formulierung könnte man sich evangelischerseits vielleicht noch arrangieren. Das Zweite Hochgebet ist allerdings nur an Wochentagen vorgesehen. An Sonn- und Feiertagen wird das Erste oder das Dritte Hochgebet gesprochen, die beide ausdrücklich auf die Fürsprache der Gottesmutter und der Heiligen verweisen. Die EKD meint: Entschließe man sich, die Handreichung nicht auf solche strittigen Themen hin zu lesen, dann seien die Aussagen des Textes auch für ein evangelisches Abendmahlsverständnis weithin nachvollziehbar. Was aber soll das in der Praxis heißen? Wer das Hochgebet ernstnimmt, kann doch nicht wesentliche Teile beim Mitbeten gewissermaßen einklammern. Ich jedenfalls könnte das, offen gestanden, nicht. Was die EKD in ihrer ersten Reaktion auf die katholische Orientierungshilfe zum evangelischen Abendmahlsverständnis zu sagen weiß, bleibt merkwürdig blass und nimmt zur katholischen Abendmahlslehre eine unklare Haltung ein. Die Leuenberger Konkordie von 1973 eröffne die Möglichkeit, dogmatische Definitionen der Gegenwart Christi in den Elementen von Brot und Wein – also offenbar auch die Transsubstantiationslehre mit allem Drum und Dran – „nicht zu schnell abzuweisen“. Was heißt „nicht zu schnell“? Es würde mich nicht wundern, wenn uns schon bald ökumenische Kompromissformeln präsentiert werden, die uns auch noch das katholische Hochgebet als gut evangelisch verkaufen wollen.

Dass ein katholischer Ehepartner am evangelischen Abendmahl teilnehmen möchte, um eine für ihn bestehende „schwere geistliche Notlage“ zu beenden, gilt katholischerseits als ausgeschlossen. Und was ist mit den Evangelischen, die keinen katholischen Ehepartner haben und dennoch eine geistliche Notlage empfinden, wenn sie nicht zur katholischen Kommunion zugelassen werden? Das kanonische Recht ist hier weitherziger als die deutsche Orientierungshilfe, wenngleich es zugegebenermaßen wohl eher Situationen im Blick hat, wo Todesgefahr besteht und weit und breit kein evangelischer Pfarrer in der Nähe ist. Wer als evangelischer Christ unbedingt zur katholischen Kommunion gehen will, soll es meinetwegen tun. Aber dafür braucht man keine gewundenen Rechtfertigungsgründe wie eine „schwere geistliche Notlage“. Es ist kein ökumenischer Fortschritt, dass sich die EKD diese fragwürdige Argumentation zu eigen macht. Nachdem er zunächst selbst dazu beigetragen hat, dass die römische Zentralmacht in Frage gestellt wird, hat Franziskus die Reißleine gezogen und genauso wie seine Vorgänger eine rote Linie markiert, wo es in lehramtlichen Fragen ans Eingemachte geht. Besser spät als nie, werden die Konservativen im Vatikan sagen, auch wenn der von Franziskus geschasste ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation Gerhard Ludwig Müller moniert, Franziskus habe die Dinge zu lange laufen lassen.

Wie zwiespältig die ökumenischen Signale des Papstes sind, zeigt ein weiterer, in der Öffentlichkeit kaum bemerkter Vorgang. Mit der Einführung des Festes „Maria, Mutter der Kirche“ am Pfingstmontag setzte Franziskus einen neuen Akzent, den man schwerlich als ökumenisch bezeichnen kann. Die Betonung der Rolle Marias bei der Geburtsstunde der Kirche stärkt die katholische Identität und den Geltungsanspruch Roms, fördert aber nicht die Ökumene mit den Kirchen der Reformation.

Überhaupt ist Franziskus längst nicht so progressiv, wie viele glauben. Gleichgeschlechtliche Ehen, wie sie jetzt in Deutschland möglich sind, lehnt er entschieden ab. Sie dürften von den Ausnahmeregelungen bei der Kommunion ausgeschlossen bleiben, während die EKD die Ehe für alle begrüßt und damit dem katholischen Eheverständnis widerspricht, das in der Orientierungshilfe der Deutschen Bischofskonferenz eine tragende Rolle spielt. So verfängt man sich in Widersprüche. Vielleicht kehrt nach der anfänglichen Franziskus-Begeisterung, die es auch unter evangelischen Christen gab, endlich wieder die Nüchternheit ein, welche die Ökumene braucht.

Verbesserungen des ökumenischen Klimas sind Anlass zur Dankbarkeit und weiterer Anstrengungen wert. Sie dürfen aber nicht zu Lasten theologischer Klarheit gehen, an der es im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum bisweilen gefehlt hat. Mit Recht erklärte Wolfgang Huber kürzlich, wer die ökumenische Gemeinschaft stärken wolle, sei gut beraten, das einzubringen, was ihm selbst wichtig ist, anstatt es bis zur Unkenntlichkeit abzuschleifen. Es könnte eine befreiende Wirkung haben, auf evangelischer wie auf katholischer Seite zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht etwa nur der Reformwille, sondern die objektiven Reformmöglichkeiten der katholischen Kirche Grenzen haben, soll nicht am Ende das ganze römisch-katholische Lehrgebäude in sich zusammenbrechen. Nur wenn man das begreift, ist eine realistische Ökumene möglich, die gelassen mit den zwischen den Konfessionen bestehenden Grunddifferenzen umgehen kann. Sie betreffen nicht nur das Kirchenverständnis, sondern auch das Offenbarungsverständnis. Daran hat sich auch durch das Zweite Vatikanischen Konzil und die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre im

Kern nichts geändert. Nach wie vor gibt es keine gemeinsame Vorstellung, worin das Ziel der Ökumene bestehen soll, wie jüngst noch einmal Kardinal Kasper festgestellt hat. Zwar gebraucht inzwischen sogar der Papst die evangelische Formel von der Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Aber beide Seiten verstehen darunter ganz Unterschiedliches. Auch auf dem Gebiet der Ethik bestehen zum Teil erhebliche Differenzen. Man denke nur an die Bioethik oder die Bereiche von Sexualethik, Ehe und Familie. Das muss uns aber nicht an ökumenischer Zusammenarbeit und Wertschätzung hindern, die von der gemeinsamen Überzeugung getragen ist, das wir durch die eine Taufe im Glauben an Jesus Christus verbunden sind. Tatsächlich gibt es an der Basis viele Beispiele für gelebte Ökumene, nicht nur im Bereich des sozialen Engagements, sondern auch des gottesdienstlichen Lebens.

Ökumenische Gemeinschaft und die verschiedenen konfessionellen Profile schließen einander nicht aus, im Gegenteil, sie bereichern einander. So richtig es ist, dass uns in der Ökumene inzwischen längst mehr verbindet als trennt, können doch die verbleibenden Unterschiede wechselseitig als produktive Herausforderung angenommen werden und für den eigenen Glauben befruchtend wirken. Der Einspruch des anderen wird zum Anstoß für die beständige Selbstprüfung der eigenen Sicht des christlichen Glaubens. Wo man darüber im Gespräch bleibt, sind es gerade die Unterschiede, die verbinden statt zu trennen. Was der Verfassungsrechtler Günter Dürig einmal vom säkularen demokratischen Staat gesagt hat, gilt sinngemäß auch für die Ökumene: „Nicht Differenzen vernichten das Gemeinsame, es tötet die Indifferenz.“

Ulrich Körtner

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