Die zweite Halbzeit hat begonnen

Papst Franziskus muss weiterhin seinen Reformkurs gegen harten Widerstand durchsetzen
Papst Franziskus muss einiges schultern. Foto: dpa/ Giuseppe Ciccia
Papst Franziskus muss einiges schultern. Foto: dpa/ Giuseppe Ciccia
Am 13. März steht Papst Franziskus seit fünf Jahren an der Spitze der katholischen Weltkirche mit ihren rund 1,2 Milliarden Mitgliedern. Jorge Mario Bergoglio hat viele Reformen angestoßen, nicht zuletzt in der Kurie und bei den Finanzen des Vatikans. Gleichzeitig aber stößt sein Kurs weiterhin auf harten Widerstand, sowohl in Rom wie auf Weltebene in den verschiedenen Regionen. Was ist dem 81-Jährigen auf dem Papstthron geglückt, wo ist er bisher stecken geblieben? Eine Analyse des italienischen Vatikanexperten und Autoren Marco Politi.

Die Reise von Papst Franziskus nach Chile hat wie bei einem Wetterleuchten einige Konturen der jetzigen Phase seines Pontifikats grell erleuchtet. Es gab Brandanschläge auf Kirchengebäude. Ein wütender Zuschauer warf ihm eine gefaltete Zeitung wie ein Wurfgeschoss an den Kopf, als er durch die Straßen Santiagos fuhr. Es gab Plakate mit der Aufschrift „Pontifi-Che“. Darauf war das Gesicht von Jorge Mario Bergoglio, so der bürgerliche Name des Papstes, zu sehen, mit der Mütze der Revolutionsikone Che Guevara. Dies alles sind Zeichen einer Aggressivität, die vor der Autorität und dem Prestige des Papstes nicht Halt macht.

Ob extreme Rechte oder extreme Linke (zum Beispiel Splittergruppen der indigenen Mapuche-Bewegung) – sie eint ein Hass gegenüber dem Papst, ein Eifer, der sich mit gewalttätigen Symbolhandlungen Ausdruck verschafft. Und das, obwohl – oder gerade weil – Papst Franziskus seit Jahren auf internationaler und interkonfessioneller Ebene auf eine große Zustimmung stößt

Großes Unbehagen und erbitterte Polemik gegenüber dem Papst machten sich zuletzt an einer Entscheidung von 2015 fest, Monsignore Juan Barros zum Bischof von Osorno in Südchile zu ernennen. Er war beschuldigt worden, Zeuge von Missbrauchstaten des Priesters Fernando Karadima gewesen zu sein. Zwar hat Barros dies immer geleugnet. Dennoch stellt auch dieser Fall Bergoglios Pontifikat vor die Verantwortung, in jedem Land des katholischen Imperiums die verkündete Null-Toleranz-Strategie gegenüber Missbrauchstätern auf allen Ebenen streng durchzusetzen – bis hin zur Selbstverpflichtung des Vatikans, Bischöfe, die ihrer Pflicht zur Aufklärung nicht nachkommen, ohne Rücksicht auf ihr hohes Amt zu bestrafen.

Gleichzeitig hat Franziskus in Chile und Peru wieder einmal sein prophetisches Gesicht gezeigt – vor allem, indem er die soziale Todsünde des globalen Zeitalters angeprangert hat: die Herzlosigkeit derer, die auf den „Hilferuf der Armen” nicht hören. Sie würden, kritisiert der Papst, die Augen verschließen vor den „Situationen der Ungerechtigkeit“ und vor den „neuen Formen der Ausbeutung“. Dazu zählt er auch die „Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse” und die ungerechte Behandlung vieler Migranten.

Im Dezember hat Franziskus seinen 81. Geburtstag gefeiert. Mit 85 Jahren war Benedikt xvi. zurückgetreten, und Bergoglio hat oft gesagt, er würde die gleiche Entscheidung treffen, wenn er fühlen sollte, nicht mehr die volle physische Kraft zu besitzen. Es ist klar: Nun hat die zweite Halbzeit seines Pontifikats begonnen.

Die ersten fünf Jahre wirkte der argentinische Pontifex wie ein Eisbrecher. Die römisch-katholische Kirche, die in der Ratzinger-Ära in Traditionalismus und wiederholten Skandalen erstarrt schien, wurde mit der Wucht der Worte und der Gesten Bergoglios auf einen Kurs der Umgestaltung getrieben. Statt eines päpstlichen Monarchismus und eines kaiserlichen Pomps hat Franziskus das Bild eines Bischofs von Rom gezeigt, eines einfachen Priesters, noch mehr: eines Menschen unter Menschen. Gewiss, der Mensch Bergoglio fühlt sich zutiefst als ein Jünger Jesu. Und so geht er durch die Straßen des heutigen Galiläa, die globalisierte säkularisierte und multikonfessionelle Welt.

Kirche als Feldlazarett

Statt einer Kirche, die vor allem als Organisation angesehen wird und in der die römische Kurie seit Jahrhunderten als eine Art „Oberkommando des Heeres” agiert hat, soll die Kirche nach dem Willen von Franziskus „synodal” werden – so dass sie sogar in gewissen Fällen dezentralisiert werden kann. Franziskus will eine Kirche, in der die Bischöfe weder Renaissancefürsten noch Bürokraten sind. In der Priester nicht dem Narzissmus verfallen, sondern einer Gemeinschaft dienen, in der dem Volk mehr Platz eingeräumt wird und auch Frauen in Positionen kommen, wo „Entscheidungen getroffen werden”, wie der Papst sagt.

Franziskus hat sich in diesen Jahren vor allem bemüht, die katholische Kirche der Menschheit näherzubringen: nicht als Zollstation oder Richtstuhl, sondern als Ort der Barmherzigkeit, als Feldlazarett für verwundete Frauen und Männer, Alte und Jugendliche in einer zerrissenen und zersplitterten Welt.

Besonders für den säkularen Beobachter ist es interessant zu sehen, wie Franziskus ganz gezielt die „frohe und barmherzige Botschaft” des Evangeliums an alle Menschen richtet. In diesem Sinn ist die Kirche nicht nur für die Gläubigen da, sondern für alle. Denn alle – sei es in dem vom ISIS-Terror geplagten Nahen Osten oder in den Slums der Entwicklungsländer – sind letztlich „Kinder Gottes”.

Doch wo hat Franziskus in seiner ersten Halbzeit im Sinne dieses Programms schon klare Zeichen gesetzt und konkrete Änderungen durchgesetzt?

Bergoglio hat mit einfachen Worten und Gesten die römisch-katholische Kirche von ihrer Jahrhunderte langen Besessenheit von sexuellen Themen befreit. Nicht durch gedruckte Anweisungen, sondern durch Zeichen, manchmal mit einem Kommentar vor Reportern während einer Papstreise („Wer bin ich, über einen Homosexuellen, der Gott sucht, ein Urteil zu fällen?”). Ähnlich stark war das Zeichen der Einladung eines spanischen Transsexuellen in den Vatikan. Die Pille, Homopartnerschaften, das Zusammenleben vor der Ehe, Kommunion für geschiedene Wiederverheiratete – das sind alles für die katholische Kirche nicht mehr die großen Probleme wie zu Zeiten seiner Vorgänger.

Bergoglio hat energisch die Sanierung der Vatikanbank vorangetrieben, die in den vergangenen Jahrzehnten als Kanal für Geldwäsche der Mafia oder Schmiergelder für italienische Parteien benutzt wurde. Tausende von Konten sind geschlossen worden, Verträge mit verschiedenen Staaten helfen heute, die Finanzkriminalität zu bekämpfen. Im Vatikan ist ein Komitee gegen Geldwäsche eingerichtet worden, und der Heilige Stuhl ist dem uno-Abkommen gegen Korruption beigetreten.

Bergoglio hat strengere Vorschriften gegen den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in das kanonische Gesetzbuch eingefügt. Er hat einen Nuntius in Santo Domingo, der Jugendliche missbraucht hatte, in Rom einem kirchlichen Prozess unterworfen. Der Geistliche ist in den Laienstand versetzt worden. Daraufhin hat der Papst einen Strafprozess gegen ihn angeordnet, um über ihn auch öffentlich ein Urteil fällen zu lassen. Der Beschuldigte ist aber vor dem Ende des Verfahrens an einem Herzinfarkt gestorben. Der Papst hat eine internationale Kommission für den Schutz von Minderjährigen eingerichtet, in der zum ersten Mal auch zwei Missbrauchsopfer saßen.

Abgemagerte Kurie

Papst Franziskus hat die Kurie zu einer Abmagerungskur gezwungen. Zwei Dikasterien, in etwa: Ministerien, und zwar für Laien und für die menschliche Entwicklung, fassen jetzt sechs ehemalige päpstliche Räte zusammen. Das bedeutet: weniger Purpurträger im Vatikan. Und einige Frauen – immer noch zu wenig – sind in höhere Positionen der Kurie befördert worden: in den Dikasterien und den Aufsichtsrat der Vatikanbank. Die Vorsitzende der päpstlichen Akademie für soziale Wissenschaften ist die Engländerin Margaret Archer.

Doch der breit angelegte Reformkurs des Papstes stößt auf harten Widerstand, sowohl in der Kurie wie auf Weltebene in den verschiedenen Regionen. Schon dreimal hat Franziskus im Vatikan am Vorabend der Weihnachtsfeiern den Prälaten und Kardinälen in Rom die Leviten gelesen. 2014 stellte er die „Krankheiten” der Kurie bloß: Hartherzigkeit, Karrierismus, „geistiges Alzheimer“. 2016 verurteilte Franziskus den „verborgenen Widerstand, der aus verängstigten oder versteinerten Herzen hervorgeht”, und den „böswilligen Widerstand, der in verdrehten Mentalitäten aufkeimt … oft als Lämmer verkleidet”.

Letzten Dezember prangerte Franziskus die „verwerfliche Mentalität von Verschwörungen und kleinen Zirkeln” sowie das „Krebsgeschwür der Selbstbezogenheit” in der Kurie an. Schlimmer noch, fügte er hinzu, sei der Verrat derjenigen, die dazu ernannt worden seien, die Reformen umzusetzen – und statt dessen das „Vertrauen missbrauchen … (oder) sich von (eigenen) Ambitionen oder Eitelkeiten korrumpieren lassen”.

Die Auftritte des Papstes zeigen ein Problem. Grob gesagt: Wenn ein Manager im dritten Jahr seinen Missmut gegenüber den Kadern des Unternehmens freien Lauf lässt, funktioniert etwas nicht in seinem Verhältnis zu seiner Organisation. Längst kursiert in den Korridoren des Vatikans eine Statistik, die, über den Daumen gepeilt, dies aussagt: 20 Prozent der Kurie seien total auf Seiten des Papstes, 10 Prozent offen gegen ihn und 70 Prozent warteten auf seinen Nachfolger.

Anderseits hat es sich in vergangenen Jahren erwiesen, dass auch in der Weltkirche eine große Masse der Bischöfe aus der Zeit von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. auf einen Umbruch geistig nicht vorbereitet ist. Man hat es sehr deutlich in den zwei Bischofssynoden in Rom gesehen, die 2014 und 2015 dem Thema Familie gewidmet waren. Klare Mehrheiten für die Reformthesen von Kardinal Walter Kasper (und der deutschen Bischofskonferenz) in Bezug auf die Kommunion für geschiedene Wiederverheiratete oder den positiven Wert einer homosexuellen Beziehung kamen nicht zu Stande.

Statt dessen hat sich in den vergangenen zwei Jahren eine sehr aggressive Anti-Franziskus-Bewegung entwickelt. Hunderttausende von konservativen Gläubigen haben polemische Bittschriften zum „Schutz der Tradition” an den Papst gerichtet. Höhnische Plakate gegen Bergoglio wurden im Zentrum Roms aufgehängt. Im Internet kursierte sogar ein falscher Osservatore Romano (das ist die Tageszeitung des Vatikans) mit manipulierten Aussagen des Papstes, die ihn lächerlich machen sollten.

Eine prophetische Stimme

Vier Kardinäle, darunter zwei deutsche, Walter Brandmüller und der inzwischen verstorbene Joachim Meisner haben das Lehramt des Papstes öffentlich angezweifelt. Eine Gruppe von Theologen und anderen katholischen Persönlichkeiten, darunter der ehemalige Vorsitzende der Vatikanbank Ettore Gotti Tedeschi, hat Franziskus der Häresie bezichtigt. Und in obskuren Websites tobt die Wut gegen den argentinischen Papst von Seiten derjenigen, die ihn anklagen, Gottes Gesetze zu vergessen und die Sakralität des Papsttums zu vermindern.

Dennoch ist die moralische Autorität des Papstes international sehr hoch. Seine klarsichtigen Worte über die „Neue Sklaverei”, die Millionen von Zeitgenossen im Griff hatte, über die unerträgliche Kluft zwischen den Super-Reichen und der steigenden Mehrheit der Armen (inklusive des verarmten Mittelstandes), über die Integration der Migranten, den Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und sozialem Verschleiß und den „Dritten Weltkrieg in Stücken”, haben Franziskus zu einer prophetischen Stimme gemacht.

Die zweite Halbzeit des Pontifikats wird nicht leicht werden. Franziskus müsste, sagen seine Anhänger, die Kurie völlig umgestalten und ein breites Team, reformeifriger Persönlichkeiten bilden. Bis jetzt hat er nur seinen Erzkritiker, Kardinal Ludwig Müller, entlassen.

In der Zwischenzeit haben sich zudem Risse in seiner Reformstrategie gezeigt. Der australische Kardinal George Pell, Chef des Wirtschaftssekretariats, das die Budgets der einzelnen Verwaltungen der Kurie kontrollieren soll, musste Rom vorigen Juni hastig verlassen. Denn in seiner Heimat muss er sich einem Prozess wegen einer alten Missbrauchsgeschichte stellen. Seitdem hat niemand seine Rolle, wenigstens provisorisch, übernommen.

Im selben Monat hat der Vatikan den ersten Finanzgeneralrevisor in der Geschichte des päpstlichen Staates, Libero Milone, fristlos entlassen. In einem Kommuniqué wurde ihm vorgeworfen, Persönlichkeiten des Vatikan ausspioniert zu haben. Milone, hoch geachtet in der internationalen Geschäftswelt, gab man nicht einmal die Möglichkeit einer offenen Verteidigung. Seit mehr als einem halben Jahr fehlt auch hier ein Nachfolger. Hinzu kam der plötzliche Rücktritt des Vizedirektors der Vatikanbank. Das alles sind unbehagliche Geschehnisse im Sanierungsprozess des vatikanischen Finanzsystems.

Auch die Arbeit der Kommission für den Schutz von Minderjährigen scheint ins Stocken geraten zu sein. Ihre zwei außerordentlichen Mitglieder, Peter Saunders und Marie Collins, beides Missbrauchsopfer, sind zurückgetreten: aus Protest wegen der Sabotage effektiver Maßnahmen durch kuriale Kreise. Ein Rückschlag.

Um den Vatikan, die Kurie und die katholische Kirche zu reformieren, braucht es Zeit. Ein Eisbrecher allein genügt nicht. Aber Papst Franziskus öffnet neue Wege. Nicht zuletzt im Bereich der Ökumene. Dieser Papst, der sich am ersten Abend nach seiner Wahl nur als „Bischof von Rom” vorstellte, der sich vom ökumenischen Patriarchen Bartholomaios den Segen erbat, der beim feierlichen Reformationsgedenken in Lund zusammen mit dem Lutherischen Weltbund öffentlich seine Dankbarkeit „für die geistlichen und theologischen Gaben” der Reformation ausgedrückt hat – dieser Papst glaubt zutiefst an die Möglichkeit einer versöhnten pluralistischen Einheit der Christen. Und dies wäre etwas mehr als eine versöhnte Verschiedenheit.

Information

Marco Politi ist einer der bekanntesten Vatikan-Korrespondenten und Buchautor („Franziskus unter Wölfen”, Herder Verlag, Freiburg). Er hat fast 20 Jahre für die italienische Tageszeitung La Repubblica geschrieben.

Marco Politi

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