Freude mit Grund

Die Pointe von Ostern weist in die Zukunft
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Die neutestamentlichen Berichte vom Ostergeschehen wollen nicht zum Nachsinnen über das leere Grab einladen.

Von orthodoxen Kolleginnen und Kollegen erhalte ich mittlerweile seit vielen Jahren an Ostern eine kurze Email, manchmal auch eine elektronische Postkarte mit dem Ostergruß: „Christus ist auferstanden!“ Diese Nachrichten sind mir eine doppelte Freude. Sie zeigen mir, wie die in ökumenischen Gremien gewachsenen Verbindungen über diese hinausreichen. Man denkt aneinander. Und damit verbunden lassen sie mich teilhaben an der Freude über die Auferstehung, die in der orthodoxen Liturgie und Frömmigkeit feste Orte und Formen hat. Vor allem natürlich in der Feier der Osternacht, in der die Gemeinde mit brennenden Kerzen um die dunkle Kirche zieht, bevor der Priester dreimal an die verschlossene Kirchentür klopft, die sich sodann für den Einzug der Gemeinde öffnet. Dabei wird der österliche Gesang angestimmt: „Christus ist auferstanden von den Toten, er hat den Tod durch den Tod besiegt und denen in den Gräbern das Leben geschenkt.“ Diese rituelle Freude atmet alte, tief verwurzelte Tradition und verweist doch ganz auf die Zukunft als Grund der Freude, die Zukunft in der Herrlichkeit Gottes.

Die christliche Zukunftshoffnung hat im Zuge der Aufklärung und Säkularisierung ganz erheblich an Resonanz eingebüßt. Zwar gab es gegenüber ihrer Verdiesseitigung neue, zukunftsorientierte Ansätze wie insbesondere in der Theologie der Hoffnung von Jürgen Moltmann. Doch gleichzeitig fanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensive theologische Debatten statt über die Frage, ob die Auferstehung Jesu ein historisches Ereignis sei. War das Grab wirklich leer? Und wie kann man in der aufgeklärten Kirchenöffentlichkeit von der Auferstehung predigen? Die Fragen kehren wieder – mindestens einmal im Jahr – und sie haben ihr Recht. Man will nicht „anglauben“ müssen gegen das, was im Lichte naturwissenschaftlich geprägter Weltsicht nicht plausibel erscheint. Man möchte glauben und verstehen.

Doch zum Verstehen gehört auch, die Pointe und Ausrichtung der Osterbotschaft wahrzunehmen. Sie weist nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Die neutestamentlichen Berichte vom Ostergeschehen wollen nicht zum Nachsinnen über das leere Grab einladen. Sie handeln von neuem Leben, neuer Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen, sie verheißen ein zukünftiges Leben in Versöhnung, Gerechtigkeit, Frieden. Darauf richtet sich die Freude im Ostergruß. Die Hoffnung auf eine solche Zukunft erscheint vielen utopisch. Sie ist gemessen an der Weltwirklichkeit gewissermaßen zu schön, um wahr zu sein. Und so nagen Fragen an der Osterfreude. Aber: Wissen wir, was bei Gott möglich ist? Ein solcher Anspruch käme der Theologie der Herrlichkeit gleich, die Martin Luther in seiner Heidelberger Disputation vor 500 Jahren kritisiert hat, weil sie sich allzu selbstbewusst auf die Kräfte der Vernunft verlässt und darin Gottes Gottheit verkennt.

Der Ostergruß verbindet Christen weltweit in der Hoffnung auf Gottes Geist, „der Herr ist und lebendig macht“, wie es im Nizänischen Glaubensbekenntnis heißt. Die Freude und Gewissheit, die er ausstrahlt, ist allen Fragen zum Trotz ansteckend.

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Friederike Nüssel ist Professorin für Systematische Theologie in Heidelberg und Herausgeberin von zeitzeichen.

Friederike Nüssel

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Friederike Nüssel ist Professorin für Systematische Theologie in Heidelberg und Herausgeberin von zeitzeichen.


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