Klärungsbedarf

Religionsunterricht: Neue Studie
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Kirche und Theologie sind gefordert, plausibel zu beschreiben, was konfessioneller Religionsunterricht heute (noch) bedeuten kann.

Der Religionsunterricht bleibt umstritten. Wie seine Zukunft angesichts zunehmender religiöser Vielfalt aussehen soll, ist immer wieder Thema heißer Diskussionen. Motiviert wurde die vorliegende Studie aus Schleswig- Holstein durch den Koalitionsvertrag der letzten Landesregierung, der auf eine Umwandlung des „konfessionsgebundenen“ zu einem „konfessionsübergreifenden Religionsunterricht“ abzielte. Im Hintergrund steht auch der Hamburger Weg eines „Religionsunterrichts für alle“.

Berichtet wird über eine Befragung von 1 283 Lehrkräften sowie über vertiefende Interviews. mehrheitlich wird dort von religiös vielfältigen Lerngruppen im Religionsunterricht berichtet, von Angehörigen anderer Konfessionen und nichtchristlicher Religionen sowie Konfessionslosen. Das Miteinander der Schülerinnen und Schüler sei weithin konfliktfrei. Die Vielfalt sei für diese – mehr im Blick auf andere Religionen als auf andere Konfessionen – interessant.

Eine wesentliche Herausforderung liege darin, dass kaum mehr eine religiöse Sozialisation sowie Grundkenntnisse der eigenen Religion vorausgesetzt werden könnten. Den Lehrerinnen und Lehrern liegt daran, auf die unterschiedlichen religiösen Überzeugungen in den Lerngruppen aktiv einzugehen, mitunter durch die Zurücknahme eines eigenen evangelischen Profils, zumeist durch die gleichberechtigte Thematisierung unterschiedlicher Religionen. Der Umgang mit religiösen Differenzen (Pluralitätsfähigkeit) soll eingeübt, eine bewusste Auseinandersetzung mit dem jeweils Eigenen ermöglicht werden.

Im Blick auf die Zukunft wünschen sich knapp drei Viertel aller Lehrerinnen und Lehrer in Schleswig-Holstein einen Unterricht im Klassenverband, unabhängig von der jeweiligen Religionszugehörigkeit. Die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts würde daher nicht begrüßt. Die Konfessionalität des Unterrichts verstehen die Lehrkräfte dabei durchaus fließend. Fast die Hälfte der Befragten sieht den eigenen Unterricht als nichtkonfessionell an – mehr Lehrkräfte verstehen ihn allerdings als „evangelisch“. Der als konfessioneller Unterricht verfasste Religionsunterricht ist also faktisch weithin ein „Religionsunterricht für alle“. Die Lehrerinnen und Lehrer wollen sich darauf gezielt einstellen, wobei allerdings noch erheblicher Klärungsbedarf besteht, wie dies didaktisch umzusetzen ist. Zumeist werden der Hamburger „Religionsunterricht für alle“ ebenso wie eine allein vom Staat verantwortete Religionskunde abgelehnt. Am ehesten tendieren die Lehrkräfte zu einer Öffnung des evangelischen Religionsunterrichts, wobei ihnen der spannungsvolle Charakter einer solchen Lösung offenbar nicht vor Augen steht – nämlich wie ein alle Schülerinnen und Schüler umfassender Unterricht zugleich noch in der Verantwortung nur einer Konfession stehen soll.

Dass dies auf Dauer kaum funktionieren wird, zeigen die aktuellen Entwicklungen in Hamburg, bei denen die herkömmliche evangelische Verantwortung nun durch andere, noch nicht klar zu erkennende interreligiöse Formen abgelöst werden soll. Die Lehrerinnen und Lehrer selbst denken offenbar nicht in Modelldichotomien dieser Art. In der Praxis werden die Dinge so genommen, „wie sie halt sind“ – und daraus machen die Lehrkräfte eben „das Beste“. Dass sich daraus auch dauerhaft tragfähige Modelle ergeben, ist damit aber noch nicht gesagt. Nicht zuletzt sind Kirche und Theologie gefordert, plausibel zu beschreiben, was konfessioneller Religionsunterricht heute (noch) bedeuten kann.

Friedrich Schweitzer

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Foto: Jörg Winter

Friedrich Schweitzer

Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Tübingen.


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