Luthers Glück

Randnotizen zur Säkularisierung
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Die Zusammenstellung ist gelungen und kann allen am Thema Interessierten empfohlen werden.

Luther war ein Mann des Mittelalters. Eher legendär ist, er habe mit Hammerschlägen an die Pforte der Schlosskirche zu Wittenberg das Tor zur Neuzeit aufgeschlagen. Soweit braucht man von Sloterdijks entsprechenden Ausführungen in seinem Aufsatz „Ist die Welt bejahbar?“ nicht überrascht zu sein, das lehrte etwa schon Bernhard Lohse, der 1997 gestorben ist.

Doch Sloterdijk geht weiter: „Luther hatte geistesgeschichtlich wie in psychohistorischer Hinsicht Glück, weil sein von sich her überwiegend dunkles Erbe, religionspsychologisch dubios, theologisch unoriginell, philosophisch regressiv, vom 17. Jahrhundert an durch immer neue Schichten von Aufklärung, Aufheiterung und Zivilisierung überformt wurde“ – will heißen, sein Glaubensfuror wurde ab- und aufgeklärt, bis man ihm gar das „Etikett“ eines „religiösen Vorläufers der Aufklärung“ anhängen konnte. – Nun ja, es hat Glückspilze in puncto Nachruhm gegeben, viel hängt eben von den Zeitläuften und der Rezeption durch die Nachwelt ab. Und in der traten, so Sloterdijk, nicht wenige Größen auf, die ihren Luther, schon im Banne der Aufklärung, fast mutwillig missverstanden und aus dem doch einigermaßen verschatteten Erbe des Reformators allen möglichen Anlass zur Aufheiterung gezogen hätten. Sloterdijk nennt Bach, Klopstock, Lessing, Herder, Hegel – „um von dem Olympier in Weimar nicht zu reden“. Und auch das Schuldbekenntnis von 1945 zählt er noch zu den Luthers Nachruhm dienenden Glücksfällen.

Denn im Grunde gehöre Luther in eine Geschichte der geistesgeschichtlichen Verdüsterung, die schon um 800 vor Christi ihren Anfang genommen, in der „Achsenzeit“ Karl Jaspers’, und die im frühen Mittelalter einen Höhepunkt erreicht habe, nämlich in der Schrift Vom Elend des menschlichen Daseins von 1189 des Lotario de Segni, des nachmaligen Papstes Innozenz III. „Besinnliche Bücher schreiben – und die Welt nicht verachten … das war bis zum Beginn der Moderne nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.“

Luther sei noch ganz der Erbe dieser Geistesströmung, erkennbar daran, dass er so unmittelbar an die Zerknirschungen des Augustinus anknüpfte, als sei der erst gestern und nicht fast 1?100 Jahre vorher zu seinen Vätern versammelt worden.

Aber auf Faustformeln lassen sich Sloterdijks Ausführungen nicht bringen. Ihr Reiz liegt im subtilen Detail. Manches mag den einen oder die andere ärgern, langweilig wird es nie. Und so ist es auch eine Sache des Standpunkts, ob man die Einordnung des Reformators in einen – wie bei Sloterdijk gewohnt großen – Überblick goutiert, oder gar sein nicht gerade freundliches Lutherbild, das an das berühmt berüchtigte des katholischen Kirchenhistoriker Heinrich Denifle (Luther und Luthertum in der ersten Entwicklung, 1909) gemahnt.

Freilich: In diesem Buch ist nur „Ist die Welt bejahbar?“ neu. Bei dem Rest handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen, Vortragsmanuskripten und Ausblendungen aus seinen schon veröffentlichten Büchern. Dass dies diskret verschwiegen wird oder doch wenigstens bis zur editorischen Notiz am Ende, ist nicht ganz die feine Verlags-Art. Doch die Zusammenstellung ist gelungen und kann allen am Thema Interessierten empfohlen werden – vorausgesetzt, sie sind auf eine pointenreiche, aber elaborierte Sprache gefasst. Sloterdijk darf man zu den inspirierendsten Denkern deutscher Sprache der Gegenwart rechnen.

Helmut Kremers

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