Kaisertreu, Distanz zum „Führer“

Die Verantwortlichen des Berliner Doms lavierten in der Nazizeit
Foto: Rolf Zöllner
Foto: Rolf Zöllner
In seiner Doktorarbeit untersucht Patrick Holschuh die Geschichte des Berliner Doms im „Dritten Reich“. Die Mitglieder des Domkirchenkollegiums verhielten sich wie die vielen deutschen Protestanten, die weder den nazistischen Deutschen Christen noch dem entschiedenen Flügel der Bekennenden Kirche angehörten.

Bei Leuten, die sich für den Berliner Dom im „Dritten Reich“ interessieren, dürften zwei Fotos hängen geblieben sein: Das eine zeigt Reichsbischof Ludwig Müller, den als „Reibi“ verspotteten „Vertrauensmann“ Hitlers für die evangelische Kirche, wie er am 23. September 1934 auf der Treppe des Doms eine Ansprache hält. Zuvor war er dort in sein Amt eingeführt worden. Auf dem anderen Foto sind Hermann Göring in Uniform und seine Frau Emmy im Brautkleid, die Hand zum Hitlergruß hebend, zu sehen. Sie standen am 11. April 1935 ebenfalls auf der Treppe des Doms, nachdem sie dort getraut worden waren. Es gab aber auch eine andere, außerhalb der medialen Inszenierung stehende Seite des Doms, die weitgehend vergessen ist.

Die Beschäftigung mit Geschichte hat mich schon immer begeistert. Einzutauchen in vergangene Welten und deren Werte und Ideen nachzuspüren, verschafft eine gewisse Distanz zur Gegenwart, die verhindert, dass man das, was man sieht und gewohnt ist, einfach unbesehen übernimmt. Bereits im Studium der evangelischen Theologie habe ich mich intensiv mit der Kirchengeschichte Preußens und dem Verhältnis von Politik und evangelischer Kirche beschäftigt. So lag es nicht fern, mich im Rahmen einer Doktorarbeit dem Berliner Dom im „Dritten Reich“ zu widmen – ein kirchlicher Ort, der wie kaum ein anderer einen Schnittpunkt zwischen Kirche, Staat und Gesellschaft darstellt. So schrieb ihm Kaiser Wilhelm II., der ihn als Gegenstück zum römisch-katholischen Dom in Köln errichten ließ, bei der Einweihung 1905 die doppelte Funktion zu: Nationaldenkmal für die Einigung Deutschlands und Mutterkirche des internationalen Protestantismus.

Besonders reizte mich an dem Thema, dass es hierzu fast noch keine Forschung gibt und der Aktenschatz gerade im Domarchiv nur in ganz geringem Umfang bisher untersucht worden ist. Meine Großmutter hätte wahrscheinlich nicht gedacht, dass sie einen Beitrag zu meiner Arbeit in den Archiven und zu meiner Doktorarbeit leisten würde, als sie mir während der Grundschulzeit beibrachte, Sütterlinschrift zu schreiben und zu entziffern.

Der Dom war wie erwähnt nie als reine Gemeindekirche gedacht, sondern stand seit Kaisertagen in enger Verbindung mit dem Hof und der obersten Kirchenleitung Preußens. Dies führte am Anfang des „Dritten Reiches“ bei der Neuordnung der evangelischen Kirche dazu, dass das Leitungsgremium des Doms, das Domkirchenkollegium, dem deutschchristlichen Reichsbischof Müller den Dom als seine Predigtkirche antrug und damit die Gewaltherrschaft des Reichsbischofs unterstützte. Besonders interessant ist das Spannungsverhältnis, in das das Kollegium sich damit begab. Denn eine Gleichschaltung der Kirche mit der NS-Weltanschauung, wie es die Deutschen Christen und auch Müller anstrebten, wollte am Dom niemand. Die Domprediger und Domkirchenräte standen theologisch der Bekennenden Kirche (BK) nahe oder gehörten ihr, wie Domprediger Richter, sogar an. Während sie auf der einen Seite mit der Kirchenleitung und dem Reichsbischof verhandelten und ihnen den Dom anboten, stellten sie auf der anderen Seite die Domkirche der BK für große Veranstaltungen zur Verfügung. Und Domprediger Wilhelm Richter verlas im Januar 1934 sogar eine Kanzelabkündigung der Kirchenopposition gegen den Reichsbischof.

Die Zugehörigkeit oder Nähe zur BK sagt zunächst nichts über die politische Einstellung des Domkirchenkollegiums zum Nationalsozialismus aus. Während der Weimarer Republik gehörten alle Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei an, einem Sammelbecken konservativer, der Republik zum Teil feindlich gegenüberstehender Kräfte. Das Ende der Republik und die Verwirklichung eines autoritären Staatsgedankens fand daher am Dom durchaus Zustimmung. Domprediger Richter begrüßte im Sommer 1933 die Rückkehr zur „Volksgemeinschaft“ und hoffte auf die große Chance, die entkirchlichten Massen wieder für die Kirche zu gewinnen. Das Verhalten des Domkirchenkollegiums in der NS-Zeit reichte von Mitgehen bis Widerstreben und Protest. Die Domkirche wurde für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt, die den Nationalsozialismus öffentlichkeitswirksam im Raum der Kirche inszenierten. Und mindestens ein Mitglied war von Hitlers staatsmännischen Fähigkeiten, besonders den außenpolitischen Erfolgen, begeistert. Die rassistische und auf einen Führerkult zugespitzte NS-Weltanschauung fand am Dom allerdings keine Zustimmung. Domkirchenrat Gottfried von Dryander, Sohn des letzten Oberhofpredigers, stimmte auf der brandenburgischen Provinzialsynode Ende August 1933 gegen die Ausgrenzung von „nichtarischen“ Pfarrern und Kirchenbeamten, was seine Versetzung im Oberlandesgericht zur Folge hatte, wo er als Jurist tätig war. Domprediger Richter taufte während der Dreißigerjahre zwei Juden und nahm sie damit in die Kirche auf. Und auch Anfang der Vierzigerjahre, als die deutschchristliche Kirchenleitung massiv „nichtarische“ Christen aus der Kirche hinausdrängen wollte, gab das Domkirchenkollegium die Weisung, den durch einen gelben Judenstern Gebrandmarkten den Zugang zur Domkirche nicht zu verwehren.

Eine besonders herausragende Gestalt am Dom war Domprediger Bruno Doehring. 1914 war er noch vom Kaiser persönlich berufen worden und war ihm seither treu ergeben. Einmal im Jahr fuhr er ins holländische Doorn, um Kaiser Wilhelm II. in seinem Exil zu besuchen. Und jeden Freitag gab Doehring einen Umschlag mit seiner Sonntagspredigt per Zug vom Anhalter Bahnhof auf, damit der Kaiser sie am Sonntag lesen konnte. Nicht zuletzt diese Treue zu Wilhelm II. machte ihn zu einem fanatischen Gegner der Weimarer Republik, führte aber auch zur Ablehnung Hitlers, dessen Rassismus er als materialistische Weltanschauung ablehnte und gegen dessen Führerkult er auf der Kanzel zu Felde zog. An Weihnachten 1936 stellte er Jesus Christus und Augustus, als Chiffre für Hitler, gegenüber. Und als Hitler nach dem Sieg über Frankreich auf der Höhe seines politischen Triumphs stand, hielt Doehring im Dom eine Bußpredigt. Bemerkenswerterweise war der Dom, wenn er predigte, schon eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn voll besetzt. Tausende hörten immer wieder die regimekritischen Predigten Doehrings, und zumindest für einige ist belegt, dass diese sie in ihrer inneren Distanz zum NS bestärkten. Überhaupt eröffnete das abseits der großen Inszenierungen gelegene Leben am Dom einen Freiraum für Kinder, Jugendliche und Erwachsene vor Indoktrination mit NS-Ideologie.

Mit meiner Arbeit möchte ich einen differenzierten Blick auf den Dom und damit auch auf die evangelische Kirche im „Dritten Reich“ eröffnen und eine vereinfachte Sicht der Personen und Ereignisse korrigieren. Denn meine untersuchten Quellen zeigen deutlich, dass das Verhältnis von evangelischer Kirche und Nationalsozialismus weder – wie es früher der Fall war – rein als Widerstand beschrieben werden kann, noch, wie es heute zunehmend in der Kirchengeschichtsforschung geschieht, mit begeisterter freiwilliger Gleichschaltung und Loyalität getroffen wird.

Aufgezeichnet von Jürgen Wandel

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Patrick Holschuh

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