Kaffee schmeckt nur im Sitzen

Kulturgenuss zwischen Koffein und Zeitschriften
Foto: pixelio/Dietmar Meinert

"Treffen wir uns auf einen Kaffee!" – dass dabei nicht der Kaffee, sondern das Plaudern und die Geselligkeit im Vordergrund stehen, ist jedem bewusst. Der Niedergang dieser Kultur scheint mit dem Coffee to go nur folgerichtig. Doch halt! Genau genommen hat es damit angefangen: mit Kaffee auf der Straße. Ein Litauer namens Franz Kolschitzky fungiert bei der Belagerung Wiens durch die Türken als Dolmetscher und Spion für die Österreicher. Und als pfiffiger Kaufmann hatte er dabei gleich etliche Säcke Kaffeebohnen okkupiert.

Seinen ersten Mokka verkauft er vor der Tür, bis er mit dem kaiserlichen Privileg des Kaffeeausschanks mit seinem Café „Zu der blauen Flaschen“ im Schlossgasserl den Grundstein zur Wiener Kaffeehausszene legen kann. Lange ist Kaffeetrinken ebenso schick wie teuer, was sich nur Adel und reiches Bürgertum leisten können.

„Kaffee ist das schwarze Öl, das allein diese phantastische Arbeitsmaschine immer wieder in Gang bringt“, schreibt der Schriftsteller Honoré de Balzac. Bourbon, Martinique, Mokka – zu dieser eigenhändig gebrauten Mischung greift der Schaffer der Comédie Humaine jede Nacht. Fünfzig Tassen trinkt er, um sich beim Schreiben wach zu halten, zwanzig Jahre lang. Trotz gesundheitlicher Schäden an Herz und Magen inspiriert er spätere Autoren zur Nachahmung – der Kaffee gilt bald als Getränk der Literaten. Balzac hat nicht mehr erlebt, wie in der Mitte des 19. Jahrhunderts all die Wiener Kaffeehäuser eröffnen, die mit einem heutigen Café nichts gemein haben. Intellektuelle Gäste bilden hier mit einem Mix aus Geist und Kultur die Grundlage des typischen Kaffeehauses.

Ihr erster Treffpunkt ist das Café Griensteidl, wo fünfzig Jahre lang Geschichte und Kulturgeschichte gemacht, literarische und politische Ideen diskutiert werden. Zu den frühen Gästen gehören unter anderem Ludwig Anzengruber, Franz Grillparzer, Arthur Schnitzler oder Hugo von Hofmannsthal. Als das Café Griensteidl zerstört ist, gelten das Café Central, später das Hawelka als Treffpunkt der Denker und der jüdischen Elite.

Sozialstudien, Gelegenheitsliteratur, flüchtige Eindrücke und Gespräche, die „Extrakte des Lebens“ findet hier auch der Flaneur Peter Altenberg. Konsumzwang ist unbekannt, in Die Welt von Gestern schreibt der Schriftsteller Stefan Zweig: „Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann“. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts finden sich deshalb viele arme Literaten ein, manche bestellen sogar ihre Post ins Café.

Stellvertretend für viele sagt der Journalist und Schriftsteller Egon Erwin Kisch: „Das Kaffeehaus erspart uns sozusagen die Wohnung.“

Die Blütezeit der Wiener Kaffeehausliteratur liegt zwischen 1890 und 1938 – es ist die Zeit des Fin de Siècle, die Zeit der Dekadenz, vom Verfall geprägt. Der Untergang der Habsburger Monarchie ist besiegelt. In die reine Männerdomäne der Cafés dringen Damen, Familien ein, mit ihnen Häppchen, Kuchen, Konditoreien. In jeder Stadt gibt es nun Cafés, aber immer weniger Intellektuelle und Literaten, die sich darin wohl fühlen. Weilt man jedoch im Ausland, auf einem anderen Kontinent, sind es die europäischen Cafés, die man bald vermisst. Noch immer sind sie Sinnbild dafür, sich Zeit zu nehmen, miteinander zu reden oder nur zu beobachten, sind Orte für einen kleinen Genuss. Die häufig diskutierte Frage, was denn nun eigentlich unsere Kultur ausmache, woran man sie festmachen kann, mag man gern auch damit beantworten: mit einem Café. Denn, ehrlich gesagt, Kaffee schmeckt nur im Sitzen gut.

Angelika Hornig

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