Mord ist ihr Hobby

Wenn Theologen Krimis schreiben
Da Vinci Code - Sakrileg, 2006.  Foto: dpa/ United Archives
Da Vinci Code - Sakrileg, 2006. Foto: dpa/ United Archives
Religion ist nicht nur ein beliebter Gegenstand von Krimis. Immer mehr Theologen greifen auch selbst zur Feder und werden Krimiautoren. Das ist durchaus erstaunlich. Denn lange Zeit galt das Genre als ein Musterbeispiel für literarische Säkularisierung. Der Praktische Theologe Tobias Braune-Krickau stellt die neusten Theologiekrimis vor.

In der Bibel hält das Paradies keine drei Seiten lang. Schon hat die Menschheit ihren ersten Fall. Und auch im Krimi gilt: Nur wenige Minuten vergehen, schon durchkreuzt ein greller Schrei die Idylle einer heilen Welt. Der Kriminalroman ist ein Kind der Moderne. Erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wird er zu jenem Publikumserfolg, der er bis heute geblieben ist. Und wie die meisten Sprösslinge der Moderne pflegt auch der Krimi ein ambivalentes Verhältnis zur Religion.

Bereits in den Zwanzigerjahren empfand man die populären Detektivgeschichten als Säkularisierung der christlichen Vorsehung: Wo einst Gott der Welt ihre Ordnung gab und diejenigen zur Rechenschaft zog, die sich gegen ihn auflehnten, gibt nun die bürgerliche Welt sich ihre Ordnung selbst. Wird sie doch einmal durchbrochen, dann erscheint statt des Erzengels der Meisterdetektiv und bringt, wenn schon nicht die Erlösung der gefallenen Welt, so zumindest die Auflösung des weltlichen Falles.

Krimis spielen mit dem Schauer der Vorstellung, dass vor jeder Haustür der Einbrecher, in jedem Waldstück der Mörder und in jedem Paradies die Schlange lauern kann. Insofern teilen sie mit der Religion das Thema der Kontingenz, das Gefühl für die Unberechenbarkeit des Lebens und den seidenen Faden, an dem es hängt. Schuld und Sühne, Gut und Böse - das ist nicht nur der Stoff, aus dem Krimis gemacht sind. Es sind auch Grundmotive jeder Religion.

Schauer des Irrationalen

Allerdings - und da hinkt die kriminalistische Säkularisierungsthese - ist die Figur des charmant-genialen Aufklärers im Stile von Sherlock Holmes und Miss Marple längst nur eine Spielart des Kriminalromans. Für sie gilt in der Tat, dass sie den Schauer des Irrationalen durch den stets erfolgreichen Verstandesgebrauch des Ermittlers und das obligatorische Miträtseln der Leserschaft bannen.

Doch in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts treten neben diese so genannten Who done it?-Krimis Romane, die einen ganz anderen Figurentypus in den Mittelpunkt stellen. Raymond Chandler oder Dashiell Hammett sind prägende Autoren jenes zunächst amerikanischen Genres, in dem die Ermittler selbst abgehalfterte Typen sind, illusionslos, zynisch, immer am Rande der Legalität und selbst verstrickt in die Welt, die sie eigentlich bekämpfen sollen.

Diese hard-boiled detectives heben den Krimi auf ein neues Niveau. Sie haben zwar nichts für organisierte Religion übrig, wohl aber einen Sinn für düstere Vorahnungen und das Dämonische in jedem von uns. Je gebrochener ihr Verhältnis zu Recht und Vernunft ist, desto mehr regt sich in ihnen die Ahnung, dass der Logos selbst ein Mythos ist, dass kein Verstand die Geister austreiben kann, die einst die Religion beschworen hat.

Spätestens hier kommt die These von der Säkularisierung des Kriminalromans an ihre Grenzen. Denn in der Folgezeit steigt die Religion zum überaus beliebten Sujet auf. Sei es in Gestalt eines pfarramtlichen Teilzeit-Detektivs wie in G. K. Chestertons Pater Brown. Sei es als symbolischer Steinbruch, aus dem Verschwörungsthriller wie Dan Browns Sakrileg oder Illuminati ihre Ideen schöpfen. Sei es als atmosphärische Aufladung wie in skandinavischen Gegenwartskrimis, etwa bei Jo Nesbo, dessen postreligiöse Protagonisten geradezu durch die grausame Abwesenheit Gottes zum Glauben gedrängt werden.

Vergleicht man damit die aktuellen Theologen-Krimis, dann fällt zunächst auf, dass das Düstere und Abgründige ihre Sache nicht ist. Es sind eher die helleren Schattierungen, in denen sie ihre Geschichten zeichnen. Würde man die Bücher verfilmen, fänden die meisten ihren Platz wohl im frühen Abendprogramm neben anderen beliebten Regional- und Provinzkrimis mit heiterer und humoristischer Note. Von diesem Schlag sind beispielsweise die Bücher, die die Mainzer Pfarrerin und habilitierte Praktische Theologin Angela Rinn unter dem Pseudonym Vera Bleibtreu veröffentlicht. 2016 erschien ihr mittlerweile fünfter Roman unter dem Titel Logbuch des Todes im Leinpfad Verlag. Im Mittelpunkt steht die Pfarrerin Susanne Hertz, die gemeinsam mit dem Ermittlerteam Tanja Schmidt und Arne Dietrich dem Verbrechen auf der Spur ist. Neben amüsanten Dialogen und einer kurzweiligen Handlung bestechen Bleibtreus Bücher vor allem durch viel Mainzer Lokalkolorit und die empathische Klugheit einer Pfarrerin, der nichts Menschliches fremd ist.

Wer es dagegen eher nordisch mag, ist bei Christhard Lück, Professor für evangelische Religionspädagogik in Wuppertal, und Andrea Timm, Architektin in Münster, genau richtig. Ihr Erstlingskrimi Der Mond ist aufgegangen (Benno Verlag 2016) spielt auf der fiktiven Insel Möwewind. Das Mordopfer ist hier der katholische Priester und Inselseelsorger Ansgar. Zunächst sieht alles nach einem Unfall aus, doch das lässt Fritjof, dem sympathischen Organisten der Gemeinde, und seiner Freundin Svea Norden keine Ruhe. Gemeinsam ermitteln sie auf eigene Faust im Umfeld der Kirchengemeinde. Dennoch ist das Buch kein klassischer Kirchenkrimi geworden, sondern eher ein lebhafter, humorvoller Urlaubsroman, der von Inselatmosphäre, kantigen Charakteren und unerwarteten Wendungen lebt.

Freundlich und harmlos

Weiter gen Süden, genauer gesagt: nach Wien, führen die Pfarr-Krimis von Johannes Gönner, seines Zeichens katholischer Pfarrer der dortigen Canisius-Kirche. Mit Das geheimnisvolle Kloster ist 2016 im Benno Verlag bereits sein zweites Buch erschienen. Pfarrer Stefan hat darin eine Marienerscheinung, mit der er zunächst nicht recht umzugehen weiß. Auf verschlungenen Pfaden führt der Krimi nicht nur mit der Jugendgruppe der Gemeinde nach Kreta, sondern auch zurück in die Wiener Unterwelt. Die Verbindung sind zwei usbekische Flüchtlinge, die die Gemeinde zum Schutz vor ihren Verfolgern aufgenommen hat. Die regionale Verwurzelung, die auch die anderen beiden Krimis prägt, zeigt sich hier gar im Wiener Schmäh der Charaktere.

Im Allgäu spielt Jürgen Mettes Buch Gnadenzeit (Gerth Medien 2015). Mette, der im evangelikal-pietistischen Bereich an verschiedenen Stellen tätig war, erlangte darüber hinaus einige Bekanntheit durch den offenen Umgang mit seiner Parkinsonerkrankung (Alles außer Mikado, Gerth Medien 2013). Sein erster Krimi spielt nun ebenfalls im evangelikalen Milieu. Das Mordopfer stammt aus einer überaus engstirnigen, endzeitverängstigten Hinterhofversammlung, aus der die junge Frau ausbrechen wollte.

Die Kommissare Bachhuber, ein Allgäuer Urgestein mit eher entspanntem Verhältnis zu seinem katholischen Glauben, und Sonnlaitner, die hier so etwas wie das positiv-christliche Gegenbild zur Gesetzlichkeit der christlichen Sekte abgeben, nehmen die Ermittlung auf. Während sich die ersten beiden Krimis mit Botschaften eher zurückhalten, rücken bei Gönner und Mette Kanzel und Lesepult bisweilen recht nah aneinander - nicht immer zum Vorteil der Geschichte. Interessant ist Mettes Roman dennoch, nicht zuletzt weil sich das Buch als eine Form innerevangelikaler Selbstkritik lesen lässt.

Aus dem Muster des Regionalkrimis schert einzig Georg Langenhorst mit Toter Dekan, guter Dekan (Echter Verlag 2016) aus. Der Autor, selbst Professor für katholische Religionspädagogik in Augsburg, lässt seinen Krimi in einer fiktiven theologischen Fakultät spielen, die von Machtwillen und Eitelkeit keineswegs frei ist. Die ermittelnden Beamten Kellert und Thiele sind eher kirchenferne Zeitgenossen und nehmen die gelehrten Kollegen des toten Dekans, aber auch andere Personen aus dem Umfeld der Fakultät der Reihe nach unter die Lupe. Darin liegt zugleich ein besonderes Anliegen dieses Buches: Durch die Brille der Ermittler sieht man Theologie und Kirche gleichsam von außen und bekommt dabei Theologisches für Nichttheologen pointiert erklärt.

Alle fünf Theologenkrimis, und besonders Bleibtreu und Lück/Timm, füllen das kriminalistische Sub-Genre, das sie gewählt haben, gekonnt und überzeugend aus: Vier Regionalkrimis und ein klassischer „Who done it?“-Schmöker. Bücher für den Nachttisch, unterhaltsam, freundlich und humorvoll. Zum Mitraten, Mitfiebern und Wohlfühlen, ohne Albtraumrisiko und mit erwartbar-unerwartetem Ende. Schöne Städte und Landschaften, eine Prise Lebensweisheit und Figuren, die durch ihre kleinen Fehler nur noch sympathischer werden. Das alles ohne verdeckten missionarischen Eifer - was sollte man dagegen einwenden?

Natürlich nichts. Außer vielleicht das Erstaunen und ein wenig auch das Unbehagen darüber, dass die Theologen ausgerechnet diese heiteren und konventionellen, beinahe betulichen Untergenres der Krimiliteratur für sich gewählt haben. Gewiss ist die Stichprobe dafür viel zu klein. Aber würde man aus diesen Büchern ein Porträt unseres gegenwärtigen Christentums zeichnen wollen, müsste es dann nicht lauten: Freundlich, unaufdringlich, empathisch, nah bei den Menschen, lokal verwurzelt, in der Mitte der Gesellschaft - aber irgendwie auch harmlos?

Tobias Braune-Krickau

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