Mit der Bibel gegen Trump

Im Protest gegen die Politik des US-Präsidenten spielen Christen zunehmend eine wichtige Rolle
Demonstration gegen Trumps Einwanderungspolitik am 4. Februar in Atlanta.  Foto: dpa /Steve Eberhardt
Demonstration gegen Trumps Einwanderungspolitik am 4. Februar in Atlanta. Foto: dpa /Steve Eberhardt
Gibt es in den USA im Zeitalter von Donald Trump ein Revival der politisch progressiv eingestellten Christen? Der Journalist Konrad Ege sieht Anzeichen dafür. Doch er beschreibt auch, warum sich die religiöse Linke in den USA mit ihrer politischen Arbeit schwerer tut als konservative Christen.

Das „Hart Gebäude“ in Washington: Hier haben dutzende Senatoren ihre Büros. Ein paar hundert Männer und Frauen stehen in der Lobby, singen die Gospelhymne „Amazing Grace“ und rufen „Hell No, this budget has got to go!“ (Verdammt noch mal, dieser Haushaltsentwurf muss weg). Pastorin Leslie Copeland Tune von der „Ökumenischen Initiative gegen Armut“ ist eine der Demonstrantinnen: „Ich bin eine gute baptistische Theologin“, sagt sie. Sie wisse, dass man bestimmte Worte nicht in der Kirche sage. „Doch wenn es um einen Haushalt geht, der meinen geringsten Brüdern und Schwestern weh tun will, dann sage ich nicht nur Nein, sondern Hell No!“ Einige Protestierende knien auf dem Marmorboden. Ein blauuniformierter Sicherheitsmann packt ein Megafon aus. Demonstrieren sei verboten in diesem Regierungsgebäude, verkündet er. Die Knienden werden festgenommen. Die Versammelten beten das Vaterunser.

Die Demonstration ist nur ein Beispiel für die neu erwachte Protestkultur linker christlicher Gruppen in den USA. Auf Plakaten bei Kundgebungen gegen Donald Trumps Einwanderungspolitik sind immer wieder auch Bibelzitate zu entdecken, die zur Achtung der Fremden aufrufen. Kirchliche Gruppen protestieren gegen Trumps „Gesundheitsreform“ und für Klimaschutz („Liebe den Schöpfer und die Schöpfung“). Es ist eine bunte und lebendige Bewegung ohne zentrale Struktur. Ja, es gebe einen „Revival“ bei den christlichen Linken, sagte Tony Campolo im Gespräch mit zeitzeichen. Zum Teil sei dies eine Reaktion von Gläubigen, die Distanz suchten zum „Christentum für Trump“. Der 82-Jährige ist seit Jahrzehnten engagiert als evangelikaler Autor zu Fragen des Glaubens und des politischen Engagements. Für ihn ist klar: Sein Herz für Jesus Christus zu öffnen, bedeute auch, ein Mensch zu werden, mit dem Jesus die Welt verändern kann. Man engagiere sich dort, wo „Jesu Herz bricht, weil er Menschen leiden sieht“. Immer wieder verweist Campolo auf das Thema Reichtum und Armut. Da sei Jesu Botschaft klar, obwohl in den USA auch viele Christen für einen Präsidenten gestimmt hätten, der den Armen schaden werde.

In der Arena

Campolo ist Mitinitiator der „Red Letter Christians“-Bewegung. In manchen Bibelausgaben in den USA werden die Aussagen Jesu rot gedruckt. Es seien diese radikalen Aussagen in der Bergpredigt über Nächstenliebe, Gewaltfreiheit und den Einsatz für die Armen, zu denen das Christentum hinkehren müsse, betont Campolo. Christen stelle sich die Frage, ob sie die Bergpredigt ernst nehmen. Rund 200.000 Menschen hätten sich der Bewegung bereits angeschlossen. In letzter Zeit kämen viele junge Leute dazu. Gerade junge Menschen sehnten sich danach, etwas „Heroisches“ zu tun.

Sein Eindruck wird geteilt von vielen Beobachtern, die einen Aufschwung der christlichen Linken oder, interreligiös gedacht, der religiösen Linken, verzeichnen. So zitiert die Nachrichtenagentur Reuters die Präsidentin des Union Theological Seminary in New York, Serene Jones, mit der Aussage, Trumps Wahl sei „ein Weckruf“ gewesen. Die Washington Post schrieb Ende April, die „Hoffnung auf eine ‚religiöse Linke‘ ist gewachsen“ inmitten des Aktivismus’ gegen Trump. Auch das der Demokratischen Partei nahestehende „Center for American Progress“ erklärt auf seiner Website thinkprogress.org: „Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit“ sei die religiöse Linke wirklich präsent in der politischen Arena.

Manche verweisen auf die Phasen in der US-Geschichte, in denen der Protest christlicher Gruppen eine wichtige Rolle für den gesellschaftlichen Fortschritt spielte. In der Bürgerrechtsbewegung hätten doch afro-amerikanische Geistliche eine führende Rolle gespielt. Beim Protest gegen den Vietnamkrieg verbrannten die Katholiken Daniel und Philip Berrigan Akten zur Erfassung Wehrpflichtiger. Katholischer Einfluss prägte die Solidaritätsbewegung mit Mittelamerika zu Zeiten von Ronald Reagan. Viele Kirchen öffneten damals Flüchtlingen ihre Tore. Und im 19. Jahrhundert rechtfertigten zwar viele Kirchen die Sklaverei mit der Bibel. Doch ein entscheidender moralischer Impuls dagegen kam von Evangelikalen und Quäkern.

Die Ordensschwester Simone Campbell sieht Medienberichte über das angebliche linkschristliche Revival mit einer gewissen Skepsis. Die „christliche Linke“ sei doch bereits seit Jahrzehnten aktiv. Campbell ist bekannt als eine der „Nonnen im Bus“ vom römisch-katholischen Verband Network, tätig für eine Regierungspolitik „zu Gunsten der 100 Prozent und nicht der Reichen und Mächtigen“. Seit fünf Jahren fahren die Ordensschwestern in ihrem Bus tausende Kilometer durch die Nation, um mit Menschen über Gemeinwohl und soziale Gerechtigkeit ins Gespräch zu kommen. Seit den Achtzigerjahren vertieften Steuergesetze in den USA die sozialen und wirtschaftlichen Gräben, kritisierte Campbell. Dabei gehe es ihr aber nicht um politische Macht, sagte Campbell im Gespräch mit zeitzeichen, sondern um „die Bildung einer Gemeinschaft aller“, und um das Umsetzen von Maßnahmen, die allen Menschen zu Gute kommen.

Damit steht die Ordensschwester für einen entscheidenden Unterschied zwischen politisch konservativen und linken Christen, den der Journalist Jack Jenkins auf thinkprogress.org wie folgt beschreibt: Prominente konservative Christen, wie etwa Vizepräsident Mike Pence, seien oft selber Politiker oder eng verbunden mit prominenten Politikern. Bei der Linken versuchten Aktivisten hingegen eher, „die Mächtigen zum Überdenken ihrer Ansichten und Maßnahmen zu bringen und nicht darum, selber mächtig zu werden“.

Doch das wird immer schwieriger. Die Demokratische Partei ist zunehmend säkular geprägt. Präsident Barack Obama hat noch gelegentlich von seinem christlichen Glauben gesprochen und bei der Trauerfeier für die neun schwarzen Mordopfer in South Carolina bewegend gepredigt und gesungen. Doch die Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, als Methodistin nach eigenen Angaben tief verwurzelt im Evangelium, war im Wahlkampf nur wenig auf die kirchliche Welt zugegangen. Ausgerechnet Bernie Sanders, nach eigenen Aussagen kein religiöser Mensch, suchte den Anschluss. In der evangelikalen Liberty Universität in Lynchburg (Virginia) zitierte er den Propheten Amos und die Bergpredigt. Er forderte die Studenten und Studentinnen dazu auf, die biblischen Aussagen in Bezug dazu zu setzen, dass etwa ein Fünftel der Kinder in den USA in Armut lebten.

Das in Washington ansässige „Public Religion Research Institute“ (PRRI) analysiert regelmäßig die Beziehung zwischen Glauben und Politik in der US-Gesellschaft. Forschungsdirektor Daniel Cox warnt vor übertriebenem Optimismus, dass eine „revitalisierte religiöse Linke“ ein echtes Gegengewicht zur christlichen Rechten bilden könne.

Laut PRRI wenden sich US-Amerikaner, besonders junge, zunehmend von organisierter Religion ab. 39 Prozent der US-Amerikaner zwischen 18 und 29 Jahren hätten keine kirchliche Bindung. „Junge liberal eingestellte Menschen sind schlicht und einfach nicht besonders religiös“, sagt Cox. „Der linksorientierte Christ ist im Schnitt beinahe 50 Jahre alt.“ Hinzu komme, dass bei der säkularen Linken Gender- und Identitätsanliegen eine wichtige Rolle spielten. Und das seien Themen, mit denen „organisierte Religion“ oft Schwierigkeiten habe. Für so manche Christen sei das klare Votum der Demokraten für eine legalisierte Abtreibung Grund genug, Distanz zu halten von der Partei. „Die religiöse Linke kämpft um Relevanz zu einer Zeit, in der säkulare Wähler ein immer wichtigerer Teil der demokratischen Koalition werden“, meint Cox.

Langfristige Perspektiven

Auch die christlichen Institutionen haben sich verändert. Jahrzehntelang hatten die fortschrittlichen Christen zumindest Rückendeckung in den großen protestantischen Mainstream-Kirchen und ökumenischen Verbänden wie dem Nationalen Kirchenrat. Doch diese Institutionen kämpfen mit schwindenden Mitgliedszahlen und finanziellen Defiziten. Die christliche Rechte dagegen hat beeindruckende Infrastrukturen und Medienimperien aufgebaut. In den unabhängigen evangelikalen und fundamentalistischen Kirchen fand Donald Trump seine Wähler, die Sehnsucht haben nach den angeblich guten alten Zeiten, als Amerika noch „great“ war.

Es ist also schwierig zu sagen, wie mächtig die Protestbewegung gegen Trump sein wird und welche Rolle die religiöse Linke dabei spielen wird. Doch selbst ein Skeptiker wie Daniel Cox vom PRRI meint: Auch wenn die religiöse Linke in naher Zukunft wohl kein bedeutender Spieler in der amerikanischen Politik werden sollte, diene sie der gesamten fortschrittlichen Bewegung. Schwester Simone Campbell von den „Nonnen im Bus“ sieht ihr Engagement ebenfalls langfristig. Die Arbeit sei ein Prozess, „auch wenn wir nicht wissen, ob wir jemals ankommen“. Ihr gehe es um das Festhalten am Glauben und den Auftrag, den sie verspürt.

Konrad Ege

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