Vage

Neue Biographie über Niemöller
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Eine gut lesbare Darstellung eines entschieden weich gespülten Martin Niemöller.

Der Untertitel „Vom Marineoffizier zum Friedenskämpfer“ umreißt die Spannweite dieses Lebens mitsamt der Einbindung der Persönlichkeit Martin Niemöllers (1892-1984) in weite Bereiche der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nach einer knappen Einführung wird in sechs Abschnitten sein weiterer Weg geschildert: vom Marineoffizier zum Pfarrer in Berlin-Dahlem, gefolgt von Kapiteln über Niemöllers Rolle im Kirchenkampf und seine Einweisung ins Konzentrationslager.

Die Zeit nach 1945 behandelt der evangelische Pfarrer Michael Heymel unter dem Gesichtspunkt des „prophetischen Predigers des Evangeliums“. Die Darstellung von Niemöllers Wirken als Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie sein Weg zum radikalen Pazifisten schließen sich an. Der knappe Schluss hebt mit dem Hinweis auf den Nationalismus beziehungsweise Patriotismus und den evangelischen Glauben an Jesus Christus treffend die Konstanten dieses Lebens und Wirkens hervor.

Die Darstellung bleibt prinzipiell auf Niemöller konzentriert und begrenzt. Überall da, wo größere historische Zusammenhänge in den Blick kommen, wird der Bericht dagegen vage und ungenau: angefangen bei Niemöllers Stellung bei der Inneren Mission in Münster über seine Rolle innerhalb der Bekennenden Kirche, seine Haltung zur Entnazifizierung oder seine Position in der Diskussion, welche Konsequenzen man aus der Realität der Atombombe ziehen könne und müsse. Das bedeutet: Martin Niemöllers Aussagen werden referiert, aber nicht kritisch beleuchtet. Die diesbezügliche, keineswegs schmale, Literatur wird schlicht ignoriert.

Auch einige gravierende Fehler begegnen uns in dieser Niemöller-Biographie: Gerhard Stratenwerth zum Beispiel war nie „Bischof der westfälischen Kirche“, und ein Generalsuperintendent ist etwas anderes als ein Superintendent. Eindeutige Fehlurteile Niemöllers - etwa über die „nicht lebensfähige Bundesrepublik“; dass er „allein um die Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone besorgt“ sei; dass er mit seinen „Reden eine politische Katastrophe verhindert“ habe - werden mit dem Hinweis relativiert, dass es sich dabei um Predigten für den Frieden gehandelt habe und dass ein Prediger zuspitzen müsse, um gehört zu werden.

Zu Recht hebt der Verfasser das Charisma und die Leistung des Predigers Niemöller hervor. Doch dieser Gesichtspunkt deckt kaum seine eindeutig politischen Erklärungen und Aktionen. Reicht dazu der mehrfach von Niemöller erwähnte Grundsatz „Was würde Jesus dazu sagen?“ aus? Welche externen Kriterien sicherten solche Aussagen vor subjektiver Willkür?

Für Niemöller war klar, dass er auf diese Weise die richtige und bindende Antwort fand. Kompromisse mit entgegenstehenden Auffassungen gelangen ihm dann allerdings kaum noch. Es waren jedenfalls nicht nur verständnislose säkulare Zeitgenossen oder lutherische sture Konfessionalisten, die Martin Niemöller nicht zu folgen vermochten.

Angesichts der komplizierten Auseinandersetzungen über die Besetzung des Kirchlichen Außenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland klagte etwa Helmut Gollwitzer vertraulich in einem Brief an Gustav Heinemann: „Wieder einmal ist, wie schon früher, das Problematische an seiner Aktion nicht die Berechtigung der einzelnen Aktion, sondern sein Einzelgängertum und die Kommunikationslosigkeit seiner Aktion (7. Februar 1956).

Zusammengefasst: Das Buch bietet eine gut lesbare Darstellung eines entschieden weich gespülten Martin Niemöller.

Martin Greschat

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