Wie Barbaren

Der Berliner Streit ums Kreuz ist mehr als eine Lokalposse

Im Streit darüber, ob ein Kreuz die Kuppel des wieder aufgebauten Berliner Stadtschlosses krönen soll, zeigt sich ein Gemisch aus Geschichtsvergessenheit und Christophobie, das auch außerhalb der Hauptstadt zu beobachten ist.

In einem Beitrag für die Berliner Morgenpost fragte Kultursenator Klaus Lederer: „ Auf welchem Profanbau, der heutzutage neu errichtet wurde, steht ein Kreuz?“ Dabei weiß der Linkenpolitiker natürlich, dass Bundestag und Bundesregierung vor Jahren keinen Neubau beschlossen haben, sondern drei Fassaden des Schlosses wiederherzustellen. Und das betrifft auch die Kuppel mit dem Kreuz, die dem Gebäude in den Jahren 1845-53 aufgesetzt wurde.

Lederers Geschichtsvergessenheit steht in einer Tradition, die sich in Deutschland wohl auch wegen der Nazizeit entwickelt hat. So ließ man beim Wiederaufbau des Neuen Schlosses in Stuttgart die Krone auf dem Dach mit der Begründung weg, Baden-Württemberg sei eine Republik. Und auch Kirchenleute sind mit ihrem historischen Erbe wie Barbaren umgesprungen. Man besuche nur einmal die Stadtkirche in Karlsruhe, die Predigtstätte des badischen Landesbischofs. Die Außenfassade des klassizistischen Baus von Friedrich Weinbrenner (1766-1826) wurde nach der Zerstörung im Krieg wiederhergestellt, der Innenraum dagegen mit Säulen und einer Decke aus Sichtbeton verhunzt. Manchmal wünschte man sich, außer Danzig und Breslau wären 1945 auch andere zerstörte deutsche Städte polnisch geworden. Dann sähen Pforzheim und Hannover, Frankfurt am Main und Köln jedenfalls schöner aus.

Die kulturpolitische Sprecherin der Linkenfraktion im Bundestag, Sigrid Hupach, meinte in der Welt, das Kreuz auf der Berliner Schlosskuppel bedeute eine „Hierarchisierung der Kulturen und Religionen“. Aber die Vermutung liegt nahe, dass Hupach nicht eine Benachteiligung nichtchristlicher Religionen stört, sondern nur das Kreuz. Jedenfalls befürchtet der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, keine Hierarchisierung. Er sagte der Welt: „Das Kreuz gehört auf die Schlosskuppel, weil das Gebäude einen historischen Kontext aufweist, und dieser geschichtliche Zusammenhang hat nun mal mit dem Christentum und mit christlicher Symbolik zu tun.“ Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.

Über die Kritik von Linkenpolitikern könnte man mit einem Achselzucken hinweggehen. Aber auch die „Stiftung Zukunft Berlin“ warnt vor „Hierarchisierung“, fordert, dass das Humboldtforum, das im Schloss unterkommt, „ein Haus für alle“ wird und behauptet: „Unterm Kreuz? Das klingt nach 19. Jahrhundert und nach christlicher Leitkultur.“ Der Vorsitzende der Stiftung ist ein Christdemokrat, der frühere Stadtentwickungssenator Volker Hassemer.

Kirchenvertreter sollten aber die Diskussion über das Schlosskreuz nicht mit der Frage vermischen, ob Polizisten, Staatsanwälte und Richter religiöse Symbole tragen dürfen. Dabei macht schon ihre Dienstkleidung deutlich, dass die Privatperson hinter der Amtsperson zurücktritt. Dieser Logik entsprechend müssen jene Staatsdiener politische und religiöse Symbole ablegen, wenn sie in der Öffentlichkeit tätig sind. Umgekehrt ist es evangelischen Geistlichen verboten, am Talar Orden und Ehrenzeichen zu tragen.

Jürgen Wandel

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