Wartburg, Wittenberg und die Welt

Drei „Nationale Sonderausstellungen“ widmen sich der Reformation
Wittenberger Augusteum: „Tod in Mönchskutte“, Ende des 15. Jahrhunderts. Foto: Thomas Bruns
Wittenberger Augusteum: „Tod in Mönchskutte“, Ende des 15. Jahrhunderts. Foto: Thomas Bruns

Staat und Kirche

Am Anfang steht die Kunst: Ein mächtiges Gebilde aus Aluminium, Kunststoff und Glas, eine Art Doppelhelix, durch die zwei Wege im Innenhof des Berliner Martin-Gropius-Baus führen, dazu mal vertraute, mal stark verfremdete Klänge aus der kirchlichen Welt. Worum geht es hier? Um Menschen und ihre Schöpfung? Um die Genetik des Protes-tantismus? Schließlich sind wir in der Ausstellung „Der Luthereffekt“, die die weltweiten Auswirkungen der Reformation beleuchten soll. Via Audioguide erklärt der Künstler Hans Peter Kuhn, dass es ihm bei seinem Werk „Übergang“ um die Verbindung von dem horizontalen Weg durch die Welt und dem vertikalen in den Himmel geht. Letzterer stehe dem Protestanten seit Luther weit offen, doch der durch die Welt sei wegen der strengen Moral sehr begrenzt, erlaube keine kleinen Abweichungen und Sünden wie in der katholischen Kirche. Die habe ja das regelmäßige Ritual der Beichte, was einen Menschen leichter durch die Welt kommen lasse. Der Weg in den Himmel sei für den Katholiken jedoch deutlich strenger reguliert. Hmmm - man kann sich auch einfach freuen an der faszinierenden Raumwirkung dieses Werkes und sich dann der eigentlichen Ausstellung zuwenden. Denn das lohnt sich zweifellos. Um den Innenhof herum weisen vier Ländernamen den Weg in den weltweiten Protestantismus: Korea, USA, Tansania und Schweden. Das verbindende Element ist der umlaufende Gang, der einen Crashkurs in Reformationsgeschichte vermittelt. Punktuell wird hier anhand von Kunstwerken, historischen Büchern und zeitgenössischen Objekten auf wesentliche Ereignisse der Reformation eingegangen, ein besonderer Schwerpunkt am Ende der Rolle von Mann und Frau gewidmet. Dieser Teil bietet für gestandene Protestanten wenig Neues, gibt aber den Kirchenfernen einen guten, wenn auch etwas groben Überblick über die historischen Ereignisse.

Tiefer eintauchen lassen den Besucher die Räume, die den einzelnen Ländern gewidmet sind. Sie stehen pars pro toto nicht nur für verschiedene Kontinente, sondern auch für unterschiedliche Modelle des Verhältnisses von Staat und Kirche. So etwa in Schweden, wo die lutherische Kirche von 1527 bis 1999 Staatskirche war. Als „lutherische Großmacht“ wird das heutzutage eher mit Bullerbü-Idylle konnotierte Land präsentiert, zunächst mit Blick auf die Größe Schwedens im 16. und 17. Jahrhundert und seine wichtige Rolle im Dreißigjährigen Krieg. Doch auch innerhalb des Landes regierte das Luthertum in enger Verbindung mit der weltlichen Macht bis ins Privateste hinein. Davon zeugt eine so genannte Schandbank, die mit dem Kirchengesetz von 1668 in jeder Kirche eingerichtet wurde. Hier mussten Männer und Frauen, die des Ehebruchs überführt wurden, während des Gottesdienstes stehen oder knien. Auch das Protokollbuch der Hausbesuche von Pfarrern, die regelmäßig ihre Gemeindemitglieder auf Rechtgläubigkeit überprüften, lässt schaudern. Erst seit 1951 ist in Schweden die Religionsfreiheit gesetzlich garantiert.

Die Abteilungen Tansania und Korea werfen ebenfalls die Frage auf, wie es Protestanten denn mit den Mächtigen hielten. In Korea war das Bekenntnis zum Protestantismus lange Zeit eng verknüpft mit einer Ablehnung jedes Gespräches mit dem kommunistischen Regime im Norden. Eine Haltung, die zum Glück überwunden ist, wie die knapp 13?000 Stimmkärtchen an der Wand zeigen, mit denen der Nationale Kirchenrat Koreas 2013 eine Kampagne für einen Friedensvertrag mit Nordkorea startete. In Tansania gab es große Nähe zu Julius Nyrere (1922-1999), dem ersten Präsidenten des Landes. Seiner Version eines afrikanischen Sozialismus und der damit verbundenden Gründung von großen Dorfgemeinschaften standen die Kirchen positiv gegenüber und kritisierten die damit verbundenen Zwangsmaßnahmen nicht. Seit Nyreres Rücktritt 1985 hat sich das aber geändert. Zudem sind die Lutheraner, anders als in Schweden, hier eine von mehreren Religionsgemeinschaften und suchen zunehmend das Gespräch mit ihnen. Diese Information liest man im Begleitheft oder an den Informationstafeln, sinnlich anregender sind afrikanische Kunst, Fotoreportagen und alte Missionsfilme, die hier gezeigt werden.

Das alles ist sehenswert, ebenso wie die Präsentation der USA als „gelobtes Land“, in dem sehr unterschiedliche evangelische Kirchen die Freiheit nutzten, um ihre Utopien lebendig werden zu lassen. Die Rolle der Kirchen bei der Abschaffung der Sklaverei wird ebenso thematisiert wie der fragwürdige Umgang mit den Ureinwohnern und ihrer Religion. Alles in allem aber eine spannende zweistündige Welt- und Zeitreise.

„Der Luthereffekt - 500 Jahre Protestantismus in der Welt“, bis 5. November im Martin-Gropius-Bau Berlin, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin, mittwochs bis montags von 10 - 19.00 Uhr.

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Kostbarkeiten

Das tiefe Glockengeläut der Gloriosa des Erfurter Doms nimmt den Besucher im Wittenberger Augusteum in Empfang, wenn er aus dem taghellen Hof des Lutherhauses in das Dunkel des Vorgebäudes tritt. Was im Mittelalter den Teufel austreiben sollte, stimmt ihn heute in das Leben Martin Luthers ein. Gewiss ist, dass Luther der Ton der 1497 gegossenenen Gloriosa in Erfurt vertraut war. Den 95 Schätzen, die in diesen Tagen im Wittenberger Augusteum Teil der Ausstellung „Luther! 95 Schätze - 95 Menschen“ sind, ist zu eigen, dass der Reformator sie „gehört, gesehen, berührt oder benutzt haben mag ..., Sachen die ihn beeinflusst oder befremdet haben“.

Wenn sich die Augen an das Dunkel und das tiefe Rot der Wände gewöhnt haben, fällt der Blick auf eine Kostbarkeit aus der Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. aus dem Jahr 1516. Nicht einmal zwei Jahre vor der Reformation entstand die „Zehn-Gebote-Tafel“, die die Gerichtslaube des Wittenberger Rathauses schmückte, einen Raum, in dem weltliches Recht gesprochen wurde. Mit großem Detailreichtum glänzt diese Tafel, die den damaligen Alltag abbildet. Beeindruckend auch Luthers Handexemplar des Neuen Testaments aus dem Jahr 1540 - versehen mit einer handschriftlichen Notiz Georg Rörers (1492-1557), Diakon der Wittenberger Stadtkirche, der darauf notiert, dass an die Türen der Kirchen Martin Luthers Thesen angebracht worden seien. Auch der handschriftliche Brief vom 31. Oktober 1517 an den Erzbischof von Mainz, Albrecht von Brandenburg, ist ausgestellt, dem Luther ein Exemplar seiner Ablassthesen beilegte. Bemerkenswert: Diesen Brief unterschrieb der Reformator das erste Mal mit „Luther“.Mit Andacht nähert sich der Besucher den Devotionalien, wie der Lutherkutte aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die den ersten Teil der Ausstellung beschließt, und Luthers Handexemplar einer hebräischen Bibel. Auch die Kanzel, auf der der Reformator ab 1514 predigte, fehlt nicht. Man bedenke, etwa 2?000 seiner Predigttexte sind erhalten geblieben. „Luthers innere Wandlung“ ist das erste Kapitel überschrieben, das den jungen Mönch Martin Luder von seinem Klostereintritt 1505 bis zu seinem Thesenanschlag und seinem Auftritt auf dem Wormer Reichstag 1521 führt.

Weiter gehts auf „Luthers Weg in die Welt“. Die ausgestellte Taschenuhr aus dem Besitz Philipp Melanchthons, die diesem 1530 geschenkt worden war, macht deutlich, dass die Wittenberger Reformation im Miteinander entstanden ist. Und ein vergoldeter Löffel, ein so genannter Reiselöffel, zählt zu den herausragenden privaten Gegenständen, die aus Luthers Leben erhalten sind. Übersät von Texten auf Latein und Hebräisch und einer Kreuzigungsszene, ist er ein weiterer Schatz aus dem Umfeld des Reformators, eines von insgesamt 319 Exponaten.

In der oberen Etage stehen 95 Menschen im Mittelpunkt, die sich von Martin Luther haben „berühren“ lassen, aus der Zeit des 16. Jahrhunderts bis heute. Erwähnung finden Musiker wie Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Johannes Brahms und Max Reger, die Luthers Choräle bearbeitet und weiter verwandelt haben. Künstler oder Schriftsteller wie Astrid Lindgren, Ricarda Huch, Karen Blixen, Sibylle Lewitscharoff und Ina Seidel. Sie alle kommen in Text und Bild zu Wort; jeweils ein Gegenstand, sei es ein Kunstwerk, ein Kleidungsstück, eine Waffe oder ein Gebrauchsgegenstand, stellt den Bezug zum Reformator her. Die bunte Reihe der Berühmtheiten, die auf Luther reagiert haben, lädt zum Verweilen ein und zeigt die ungeheuer breite Wirkungsgeschichte.

„Luther! 95 Schätze - 95 Menschen“ und „Der Mönch war‘s!“, bis 5. November, täglich 9 bis 18 Uhr im Augusteum Wittenberg, Collegienstraße 54, 06886 Lutherstadt Wittenberg,

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Magischer Ort

Das schönste an der Wartburg zu Eisenach ist der Blick in den Thüringer Wald: grün, grün, grün - soweit der Blick zum Horizont reicht. Einmalig. Schwer aber hat es die berühmte Burg als Ausstellungsort. Kaum hat der interessierte und vom Blick in den Thüringer Wald erfüllte Besucher das Innere der mythengeschwängerten Burg erreicht, weht ihn ein klaustrophobes Grundgefühl an ob der niedrigen und verwinkelten Ausstellungsräume, besonders wenn er ein gewisses Gardemaß nicht unterschreitet.

Am Anfang der Ausstellung „Luther und die Deutschen“ steht die allgemeine Lage um das Jahr 1500: Deutschland ist das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das Reich Karls V., in dem die Sonne nicht untergeht. Gleich im ersten Raum grüßt eine imposante Doppeladler-Standarte (72 x 85 cm) mit des Kaisers Wappen zentral auf der Adlerbrust. Sie ist so groß, dass die beiden Heiligenscheine („Nimben“) der Adlerköpfe ins Auge fallen. Unweit davon liegt in wohltemperierter Vitrine Luthers allererste deutsche Veröffentlichung Die sieben pusspsalm gewidmet Allen lieben glidmaßen Christi von 1517, und gleich daneben ist mal eben eine Originalausgabe des so genannten Septembertestaments zu bewundern, Luthers auf der Wartburg binnen dreier Monate (!) bis Februar 1522 erstellte Übersetzung des Neuen Testaments. Veröffentlicht wurde das Werk dann aber erst am 21. September, nachdem es eine halbjährige akribische Redaktion Philipp Melanchthons durchlaufen hatte.

Bemerkenswert: Die Wand im ersten Ausstellungsraum ist mit einem großdimensionierten Bild geziert, das die Bibel erklärt, indem es die verschiedene Anordnung der Bücher des Alten Testamentes in der Vulgata, der lateinischen Bibelübersetzung des Hieronymus aus dem 4. Jahrhundert, Luthers „Vollbibel“ von 1534 gegenüberstellt und jede biblische Textgruppe mit ein, zwei kurzen einordnenden Sätzen erläutert. Das dürfte für viele gut und nützlich zu sehen und lesen sein und vielleicht dafür sorgen, dass auch manchem Intellektuellen, dessen Intellektualität die Bibel bisher gänzlich ausgespart hat, dieselbe künftig nicht mehr so sehr als Buch mit sieben Siegeln erscheint. Dieses Schaubild wäre durchaus eine Doppelseite im Ausstellungskatalog wert gewesen, aber darin sucht man es leider vergebens …

Schluss mit Details, derer unzählige es in dieser Ausstellung, die 500 Jahre behandelt, zu entdecken gibt. Es sind zumeist wunderbare Exponate, die sich aber im Katalog deutlich besser erschließen als in den dunklen, engen Wartburgverliesen. Ja, „Luther und die Deutschen“ hat ein museumspädagodisches Grundproblem. Zwischen den von auswärts herangeschafften Exponaten werden natürlich Exponate der Dauerausstellung eingruppiert, während andere außen vor bleiben. Gut gemeint, aber letztlich verwirrend. Und ob es wirklich eine gute Idee war, in der berühmten Lutherstube, dem magischen Wartburgort, in einer Schleife bedeutende Worte zum Reformator an die Wand zu werfen, sei dahingestellt. Denn dort ist es eng und aus Rücksicht auf die reichlich nachrückenden Besucherinnen und Besucher ist ein längeres Verweilen zum Lesen von Wandschriften eigentlich nicht angezeigt.

Fazit: Die Nationale Sonderausstellung auf der Wartburg hat mit den genius loci zu kämpfen. Das schafft reichlich Probleme, die in Kauf zu nehmen sind, da die Vielfalt und Vielzahl der Exponate aller Mühen wert sind. Besonders auch, weil nach dem Gang im Inneren der Burg draußen der weite Blick in den Thüringer Wald wartet: grün, grün, grün - soweit der Blick zum Horizont reicht. Einmalig.

„Luther und die Deutschen“, bis 5. November, täglich 8.30 bis 17.30 Uhr (letzter Einlass), Schließung des Burgtors um 20 Uhr. Wartburg, Auf der Wartburg 1, 99817 Eisenach.

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Stephan Kosch / Kathrin Jütte / Reinhard Mawick

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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