„Ein Dorf braucht eine Kirche“

Altkünkendorf: Wie ein kleines uckermärkisches Dorf in die Welt hinaus strahlt
Foto: Daniela Windolff
Foto: Daniela Windolff
Eine schmuck sanierte Kirche, ein Dorfkümmerer und ein großer alter Buchenwald: Im uckermärkischen Altkünkendorf will man sich nicht abhängen lassen, sondern sucht seine Potenziale zu nutzen. Daniela Windolff, Journalistin aus Angermünde, berichtet aus einem selbstbewussten Dorf.

Ein Dorf braucht eine Kirche!“ Der das so überzeugt sagt, ist Atheist. Hans-Jürgen Bewer glaubt nicht an Gott. Er glaubt an die Kraft des Menschen, Dinge bewegen zu können, wenn man fest daran glaubt. In seinem kleinen Heimatort Altkünkendorf in der Uckermark, ein dünnbesiedelter, üppig grüner Landstrich im Nordosten Brandenburgs, hat der 76-Jährige schon einiges bewegt. Auch das Leben in der Kirche, das viele Jahre lang nahezu zum Erliegen kam. Das Mauerwerk stand zwar noch, aber die Bausubstanz der Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert war in den Neunzigerjahren so marode, dass die Kirche gesperrt werden musste. Die Handvoll Seelen der evangelischen Gemeinde reichten nicht aus, um in Altkünkendorf noch regelmäßig Gottesdienste und ein Gemeindeleben zu feiern. Es waren schließlich Zugezogene, die auch das ehemalige, ebenso marode Gutshausensemble als ihren neuen Lebensmittelpunkt sanierten, aber im Dorf eine lebendige Kirche vermissten. Sie wollten nicht abwarten, bis irgendjemand von „oben“ über die Zukunft ihrer Kirche entscheiden würde. Die neuen Altkünkendorfer verbündeten sich und gründeten aus privater Initiative heraus einen Förderverein, sammelten Spenden, gaben private Darlehen und schafften es in einer bis dahin für die Region beispiellosen Initiative, woran in den Jahren zuvor kaum jemand zu glauben wagte. 2001 wurde die Dorfkirche nach dreijähriger kompletter Sanierung wieder eingeweiht. Es war eine Initialzündung für ein neues Selbstbewusstsein im Dorf und ein sichtbares Bekenntnis der Zugezogenen: Wir wohnen nicht nur hier. Wir leben hier.

Für Hans-Jürgen Bewer, der mit seiner Familie 1999 aus der nahegelegenen Chemiestadt Schwedt in die beschauliche Idylle Altkünkendorfs mitten ins Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin zog, war ein schön saniertes Gebäude noch lange keine Kirche. Bewer, der seit 2001 Vorsitzender des Fördervereins und seit 2008 Ortsvorsteher ist, rüttelte mit einem Flugblatt unter dem Titel „Altkünkendorf hat keine Kirche mehr“ die Dorfbewohner wach und suchte mit den Mitstreitern im Förderverein und im Heimat- und Kulturverein nach Ideen und vor allem Machern, um die Kirche tatsächlich wieder als einen Ort der Ruhe, der Besinnung, aber auch als einen Mittelpunkt des Dorfes für Begegnungen und für Kultur mit Menschen zu füllen. „Es hängt von uns allen ab, wie wir sie in unser Leben einbeziehen.“ Seine Vision ist es, Natur und Kultur, christliche und weltliche Werte hier unter ein gemeinsames Thema zusammenzuführen: Schöpfung bewahren. „Wir brauchen über Menschen nicht zu reden, wenn es keine Erde mehr gibt.“ Darin sieht Hans-Jürgen Bewer eine Verantwortung der Gemeinschaft aus Christen und Nichtchristen. Schöpfung ist für ihn all das, was die Natur an Faszinierendem hervorgebracht hat. Und damit ist Altkünkendorf gesegnet.

Der kleine 200-Seelen-Ort liegt eingebettet in sanften Hügeln und Seen am Saum eines einzigartigen Buchenwaldes, den die unesco 2012 als Teil der größten alten Tieflandbuchenwälder Europas in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen hat. Der Buchenwald Grumsin spielt sozusagen in einer Liga mit dem Grand Canyon in Arizona, sagt Hans-Jürgen Bewer fast ein wenig euphorisch. Und diese Perle mitten in der brandenburgischen Provinz will der Wahl-Altkünkendorfer zum Funkeln bringen. Und er möchte vor allem, dass dieser Glanz nicht nur in die Welt hinaus strahlt, sondern auch die Herzen seiner Mitmenschen im Dorf zum Leuchten bringt. „Wir können stolz sein, aber wir müssen was draus machen“, war Hans-Jürgen Bewer fest entschlossen und hatte seine Vorstellungen, wie man es mit dem Grumsin hier angehen muss. Altkünkendorf soll der Ausgangspunkt für Exkursionen sein. Altkünkendorf braucht einen Wander- und Informationsstützpunkt und touristische Infrastruktur. Dafür braucht es vor allem Geld und als Voraussetzung zuallererst Aufmerksamkeit in allen Entscheidungsgremien, von der Biosphärenreservatsverwaltung bis zu den zuständigen Ministerien. Bewer ist ein Fädenzieher, ein Klinkenputzer, ein Visionär, der mit schon an Penetranz grenzender Hartnäckigkeit Ziele durchsetzt und dabei weder vor Bürokratie noch vor Hierarchien zurückzuckt.

Vision Welterbe

Als das Land Brandenburg 2012 das Projekt Dorfkümmerer ins Leben rief, um Ideen und Projekte aus den Dörfern heraus zu fördern, die ihnen Perspektiven geben und sie attraktiver machen, war Hans-Jürgen Bewer einer der ersten, der laut „Hier“ rief und sich für das Projekt bewarb, das dem einen Namen gab, was Bewer seit Jahren tut: sich ums Dorf kümmern. Als offizieller Dorfkümmerer kam er nun zwei Jahre lang zusätzlich in den Genuss von Schulungen, konnte Seminare für den Heimat- und Kulturverein organisieren, neue Kontakte knüpfen und bekam obendrein eine Aufwandsentschädigung von 400 Euro im Monat für sein Ehrenamt, die dennoch kaum die Aufwendungen für Telefon, Porto, Papier- und Kopiermaterial und Fahrkosten deckte, von der Zeit einmal abgesehen. Für den Rentner war es ein Vollzeitjob, um seine Vision, Altkünkendorf als Tor zum Welterbe Grumsin zu profilieren, umzusetzen. Er nennt es einen Vollblutjob.

Inzwischen waren sie alle in Altkünkendorf: Die Minister und Staatssekretäre, Abgeordnete, Landrat, die Naturschützer und Fernsehstationen aus der ganzen Bundesrepublik und aus Österreich.

Dieser Rummel machte Altkünkendorf bekannt. Ein Dorf, durch das man nicht zufällig kommt, weil nur kleine, buckelige Landstraßen hinführen, ein Dorf ohne Laden, ohne Kneipe, ohne Kindergarten und Schule. Ein Dorf, das sich dennoch nicht abhängen lassen will und seine Potenziale in sich selber sucht.

Dieser Rummel gefällt nicht jedem Einheimischen. Einige wollen ihre Ruhe und stören sich an den immer mehr werdenden Touristen, an wild parkenden Autos und Müll am Wegesrand. Dieser Rummel brachte aber auch Geld in den Ort, mit dem das Dorfgemeinschaftshaus zu einem touristischen Informationsstützpunkt für das Weltnaturerbe Grumsin ausgebaut, ein Parkplatz gebaut und Wanderwege ausgewiesen wurden. Das zieht nicht nur Touristen an, sondern auch junge Leute, die in Altkünkendorf eine Perspektive sehen. Das ehemalige Mühlen-ensemble kaufte ein junges Paar aus Sachsen, um es zu sanieren und hier eine Brennerei aufzubauen. Seit einem Jahr produziert die Grumsiner Brennerei von Thomas und Iris Blätterlein hochwertige Brände und Liköre aus Früchten und Rohstoffen der Umgebung. Das Paar lebt und arbeitet nun in Altkünkendorf, hat hier Kinder bekommen. Die Brennereiführungen mit Verkostung, Familien- und Betriebsfeiern sind ein Selbstläufer geworden.

Daraus entwickelte sich mit weiteren Partnern der Region eine Idee, die Angebote der Brennerei mit geführten Naturexkursionen durch den Grumsin zu verknüpfen und den Gästen dazu eine Brotzeit mit regionalen Spezialitäten eines benachbarten Bauernhofes zu kredenzen. Dieses neue touristische Konzept wurde gerade mit dem Uckermärkischen Tourismuspreis ausgezeichnet. Künstler des Dorfes öffnen ihre Galerie und servieren zur Kunst auch Kaffee und Kuchen. Ein Pferdehof bietet Kremserfahrten.

Ein Berliner Gymnasium hat einen alten, leer stehenden Bauernhof zu einem Landschulheim ausgebaut, übrigens mit dem Moderator Günter Jauch als Sponsor. Hier reisen nicht nur Berliner Schulklassen ins Grüne, hier rasten auch Vereine oder Familien. Ein Hausmeisterjob ist entstanden. Handwerk und Handel der Region haben Arbeit. Jetzt beginnt der Ausbau des Kirchturms zu einem Aussichtsturm, der einen faszinierenden Weitblick über den Buchenwald ermöglicht. Wieder hat sich eine der ehrgeizigen Visionen Bewers erfüllt. Seine Idee, die Kirche in Kooperation mit dem Landschulheim und dem Infopunkt zu einem Umweltbildungszentrum unter dem Motto „Schöpfung bewahren“ zu entwickeln, nimmt Konturen an. Bewer knüpft gerade Kontakte zur Landeskirche und den rund zwanzig christlichen Schulen in Brandenburg und Berlin. Der Förderverein der Kirche wirbt derzeit Spenden ein, um der Kirche wieder einen Altar zu geben, der ein Kunstobjekt werden und das Motto versinnbildlichen soll. Die Orgel konnte ebenfalls durch Spenden saniert werden und erklingt heute wieder zu Konzerten, die die Kirche regelmäßig mit Leben erfüllen.

Faszinierender Weitblick

Es sind kleine Schritte, die Altkünkendorf nach vorn bringen. Der Bus fährt nicht mehr nur zweimal am Tag in die Stadt. In der Saison von April bis Oktober verbindet der sogenannte Biber-Bus, ein Projekt des Tourismusvereins und der Verkehrsgesellschaft, stündlich Altkünkendorf mit den umliegenden Orten und der Stadt Angermünde, die einen hervorragenden Bahnanschluss nach Berlin und Stralsund hat. Der Altkünkendorfer Gemeindearbeiter hat im Gegensatz zu allen anderen Dörfern im Umkreis eine Vollzeitstelle. Die Stadt hat für den Infopunkt einen Minijobber aus dem Dorf eingestellt. Überwiegend wird das Zentrum ehrenamtlich durch den Altkünkendorfer Kultur- und Heimatverein betrieben. Der stößt inzwischen an die Grenzen seiner Möglichkeiten, was Ortsvorsteher Bewer wiederum nicht rasten lässt, in seiner hartnäckigen Art um mehr finanzielle Zuschüsse, bessere Infrastruktur und eine feste Stelle für Umweltbildung zu kämpfen. In den Ministerien und Verwaltungen ist der Altkünkendorfer Klinkenputzer längst eine Hausnummer, und selbstbewusst betont er: „Das einzige, was ich nie tun werde, ist aufgeben.“

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Daniela Windolff

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