Wie einst König David
Dass so jemand wie Donald Trump am 20. Januar 2017 als 45. Präsident der Vereinigten Staaten den Amtseid ablegt, hat so manche „Gewissheiten“ zerschlagen, auch Glaubensgewissheiten. Denn der mit harten Bandagen ausgefochtene Wahlkampf hat auch unter US-amerikanischen Christen zu Verwerfungen geführt. Der Scherbenhaufen ist nicht kleiner geworden in den mehr als zwei Monaten seit den Wahlen.
Leslie Callahan ist Pastorin der mehrheitlich afrikanisch-amerikanischen „St. Paul‘s Baptist Church“ in Philadelphia. Nach der Wahl schrieb sie auf dem Internetportal religiondispatches.com, dass sie Jesus Christus und das Evangelium liebe, doch sich seit Trumps Sieg die Frage stelle, ob vom „christlichen Experiment in den USA“ überhaupt noch etwas Wertvolles („redeeming value“) bleibe. Dass die Mehrheit der Christen in den USA - und zwar über alle Konfessionen hinweg - für einen Kandidaten gestimmt hätten, dessen Rhetorik, Verhalten, Plattform und Vergangenheit exemplarisch seien für Intoleranz und Bigotterie, habe ihre Hoffnung untergraben, „dass der Gott, den diese Menschen verehren, Ähnlichkeit hat mit meinem“.
Politikwissenschaftler werden die komplexen Beweggründe für das Stimmverhalten noch lange analysieren. Viele Wähler waren offensichtlich zu der beunruhigenden Einschätzung gekommen, dass der amerikanische Traum nicht mehr funktioniert, dass „Washington“ nicht auf sie hört. Zur Wahl standen eine offenbar nicht besonders ansprechende demokratische Kandidatin, und ein anfangs unterschätzter Demagoge, der sich sehr effektiv als Heiland inszenierte. Obwohl ihm, so der evangelikale Pastor und Autor Max Lucado schon vor Monaten auf seiner Website, der Anstand fehlt. Mit so einem würde er seine Töchter niemals ausgehen lassen. Lucado hat sich bei seinen Glaubensbrüdern nicht durchgesetzt.
Denn das ist die Bestandsaufnahme für die amerikanische Christenheit: Donald Trump verdankt seinen Erfolg zu einem beträchtlichen Teil den weißen evangelikalen Christen, weißen Christen überhaupt. Juden und Religionslose wählten überwiegend Clinton. Laut den für mehrere große Medienfirmen erstellten Nachwahlbefragungen stimmten vier Fünftel der weißen Evangelikalen für Trump. Der Mogul und Reality-TV Star hat bei dieser Wählergruppe sogar ein bisschen besser abgeschnitten als die Republikaner Mitt Romney (2012) und John McCain (2008). Weiße Evangelikale stellten etwa ein Viertel aller Wähler in den USA.
Im Vorfeld des Wahltages hatten manche Trump-Gegner erwartet oder gehofft, das langjährige Zweckbündnis der weißen Evangelikalen mit den Republikanern werde an diesem Mann zerbrechen. Es war nicht vorstellbar, dass die vermeintlich für den Schutz von „Familienwerten“ eintretenden Evangelikalen einen zum dritten Mal verheirateten Kasinogründer wählen würden, der mit den vielen tollen Frauen geprahlt hat, mit denen er geschlafen habe. Demut und Reue passen gar nicht zu Trump. Er sei sich nicht sicher, ob er Gott jemals um Verzeihung gebeten habe, sagte Trump in einem TV-Interview. Doch wenn er in der Kirche seinen „kleinen Keks esse“, dann sei das vermutlich „eine Form des Vergebens“.
Auf der anderen Seite kandidierte Hillary Clinton, seit ihrer Jugend engagierte Methodistin, die sagte, ihr Glaube und der methodistische Leitgedanke „Tue so viel Gutes, wie du nur kannst“ habe ihr Leben nachhaltig beeinflusst. Doch Clintons „Ja“ zum legalisierten Schwangerschaftsabbruch und zur Homo-Ehe war manchen Evangelikalen und Katholiken Grund genug, Trump zu wählen. Der versprach, nur „Pro Life“-Richter für den Obersten US-Gerichtshof zu ernennen, um letztendlich das Verfassungsurteil von 1973 zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu kippen. Dazu kam die Endlosgeschichte von Clintons Emails, die für viele Wähler symbolisierte, dass „dieser Frau“ nicht zu trauen sei.
Bei der Deutung des Wahlergebnisses kann man allerdings auf einen „Rassefilter“ nicht verzichten. Denn nicht nur die weißen Evangelikalen haben für Trump gestimmt, auch die weißen Katholiken wählten laut Nachwahlumfragen zu sechzig Prozent den Republikaner, Latino-Katholiken nur zu 26 Prozent. Über das Wahlverhalten der klassischen moderaten protestantischen Kirchen (Mainline Churches) wie etwa Presbyterianer, Lutheraner und Methodisten, liegen wegen der unscharfen Fragestellung der Nachwahlerhebung keine genauen Daten vor. Die Umfragen schoben alle „Protestanten/andere Christen“ in eine Gruppe. Diese habe zu 58 Prozent für Trump und zu 39 Prozent für Clinton gestimmt. Die Erhebung hat das Wahlverhalten schwarzer US-Amerikaner nicht nach deren Glaubenszugehörigkeit aufgeschlüsselt. Insgesamt stimmten Schwarze aber zu 88 Prozent für Clinton. Das ist eine Spaltung zwischen Schwarz und Weiß, die tiefer ist, als der Grand Canyon.
Er sei „besorgt über Trump als Person“, räumte Pastor Gary Hamrick von der evangelikal orientierten Cornerstone Chapel in Leesburg in Virginia ein. Doch man müsse das große Ganze in Betracht ziehen. Viele weiße Christen sahen das offenbar ähnlich. So erklärte der baptistische Megakirchenpastor Robert Jeffress aus Texas im evangelikalen Magazin Christianity Today, ein wortgewaltiger Fürsprecher des republikanischen Kandidaten: Trump ist „nicht genau so wie wir“. Doch sollte Trump Präsident werden, „haben die evangelikalen Christen einen wahren Freund im Weißen Haus“. Trumps „Führungsqualitäten“ werden oft erwähnt, wenn weiße Evangelikale ihre Stimme rechtfertigen. Er wünsche sich einen „Führer, der ISIS bekämpft und Amerika beschützt“, sagte Jeffress im Rundfunksender NPR, keinen „sanfmütigen Führer, der die andere Wange hinhält“.
Man wähle keinen Pastoren ins Weiße Haus, betonte auch Jerry Falwell, Präsident der evangelikalen Liberty Universität und ebenfalls Wahlkämpfer für Trump, in der Zeitung seiner Universität. Früher hätten Evangelikale für Politiker gestimmt, die vorgegeben hätten, ihre Werte zu teilen, doch „diese Versprechen wurden fast nie eingehalten“. Falwell verwies auf die Bibel: Gott habe doch König David erwählt, „obwohl dieser ein Ehebrecher war und ein Mörder“. Nach dem Wahlsieg hat Trump Falwell den Posten des Bildungsministers angeboten. Falwell sagte ab, angeblich aus Familiengründen. Das Amt übernimmt nun Betsy DeVos, Milliardärin dank Ererbtem vom Marketingunternehmen Amway. Die DeVos-Familie spendet großzügig an rechtschristliche Verbände. Betsy Devos hat sich einen Namen gemacht mit Forderungen nach weitgehender Privatisierung des Schulwesens.
Auch die „Arbeiterschicht“ wird stets bemüht, um das Wahlergebnis zu erklären. Trump habe zu den Menschen Kontakt gefunden, die durch die Globalisierung und den sich wandelnden Arbeitsmarkt an den Rand gedrängt würden. Das stimmt bestenfalls zur Hälfte. Trump hat in der Tat einen Draht zu vielen in der weißen Arbeiterschicht gefunden; allerdings haben Afro-Amerikaner und Latinos in den USA größere ökonomische Probleme und sind viel stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Weiße. Trump offerierte eine Realität, in der die „illegalen Einwanderer“ schuld sind an der Misere. Und wenn er über schwarze Bürger sprach, geschah das häufig im Kontext der Forderung nach mehr „Law and Order“. Womit man wieder bei dem Konzept Rasse wäre, das bei diesen Wahlen so prägend war, und das auch die christliche Szene schon seit langem prägt.
Die „religiöse Rechte“, also die weißen Evangelikalen mit ihren Verbündeten in der römisch-katholischen Kirche, ist nach vielen Analysen seit Jahren eher auf dem absteigenden Ast. Die US-Bevölkerung insgesamt ist liberaler und toleranter geworden, kulturell und gesellschaftlich, vornehmlich bei LGBT-Anliegen. Besonders junge Christen haben weniger Lust auf den alten Kulturkrieg. Überhaupt haben junge Menschen nicht viel Lust auf organisierte Religion. Die meisten Kirchen verlieren Mitglieder.
Sehnsucht nach der alten Welt
Trumps Triumph mit Hilfe der christlichen Rechten widerspricht der Niedergangsthese nicht. Viele der „christlichen“ Stimmen für den Republikaner seien von „Nostalgiewählern“ gekommen, erläuterte Religionsexperte Peter Jones, Leiter des Washingtoner „Public Religion Research Institute“, und Autor des Buches Das Ende vom weißen christlichen Amerika. Die Nostalgiewähler sehnten sich nach der alten Welt, in der das protestantische weiße Amerika das Sagen hatte. Da sei Trump gerade recht gekommen mit seinen Reden, er wolle Amerika „wieder groß“ machen. Auch wenn es keine genauen Zahlen gibt: Offenbar haben die konservativen Christen stark mobilisiert bei diesen Wahlen. Den Anhängern von Hillary Clinton gelang dies nicht im gleichen Maße. Die Demokratin bekam fünf Millionen Stimmen weniger als Barack Obama 2012.
Für die führenden Vertreter der Mainline Churches Kirchen dürften diese Wahlen ziemlich schwierig gewesen sein. Die Pastorin der ökumenischen Riverside Church in New York City, Amy Butler, äußerte sich selbstkritisch in ihrem Blog: Allzulang habe die „Furcht, jemanden zu verletzen, die religiöse Stimme verwässert“, so dass sie praktisch keine Bedeutung mehr habe in der nationalen Konversation.
Die leitende Bischöfin der Evangelischen Lutherischen Kirche in Amerika, Elizabeth Eaton erklärte, am Tag nach der Wahl seien manche Kirchenmitglieder wohl mit dem Gefühl der Freude aufgewacht, andere mit dem der Trauer. Gläubige müssten sich bewusst machen, mahnte Eaton, dass Gott alle Menschen nach seinem Bilde erschaffen habe, „sogar die, die nicht deinen Kandidaten gewählt haben“. Man müsse beten für die politische Führung, und dann das tun, was die Kirche schon immer getan habe: Fremde willkommen heißen, den Hungrigen zu Essen geben und für Gerechtigkeit und Frieden arbeiten. Hunderte Gemeinden haben nach dem Wahltag Gottesdienste gehalten mit der Botschaft, Christen seien eins in Jesus Christus, Politik dürfe nicht spalten.
Das hat nicht so ganz geklappt 2016. Das Magazin Christianity Today warnte vor der Wahl, das evangelikale „Ja“ zu Trump gebe „unseren Nachbarn viele Gründe zu bezweifeln“, dass wir „wirklich glauben, Jesus ist Herr“. Vielmehr gerieten weiße Evangelikale in den Verdacht, „dass wir so egozentrisch sind..... dass wir uns mit jemandem zusammentun, der all das verletzt, was uns heilig ist“. Der evangelikale Autor Tony Campolo schrieb Ende November in der New York Times, der Begriff „evangelikal“ sei so verbraucht, dass man einen neuen brauchen für den „Jesus-zentrierten Glauben“. Die konservativen weißen Christen haben mit ihren Stimmen für Trump gewonnen. Der Bruch zwischen dieser Bevölkerungsgruppe und viele anderen Amerikanern wird sich nicht so schnell wieder kitten lassen.
Konrad Ege
Konrad Ege
Konrad Ege ist freier Journalist und lebt in den USA. Er berichtet unter anderem für den Evangelischen Pressedienst (epd).