Subtil strahlend

Luthers Lieder in großer Vielfalt
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In summa eine sehr beeindruckende, gleichermaßen subtile wie strahlende Musikproduktion.

Manchmal muss man einfach zuhören und sich beschenken lassen. Zum Beispiel von dieser Doppel-CD, die alle überlieferten Lieder aus der Feder Martin Luthers enthält. Und sage niemand, er kenne sie alle. Zwar ist Luther auch im heutigen Evangelischen Gesangbuch der Textdichter, der noch vor Paul Gerhardt am häufigsten vorkommt, aber unter Luthers Liedern gibt es viele Apokryphen. So sind „Ein feste Burg ist unser Gott“ oder „Nun komm, der Heiden Heiland“ sicher bekannt, aber wer hat schon einmal mit Bewusstsein Luthers mutmaßlich ältestes Lied „Ein neues Lied wir heben an“ oder sein rätselhaftes Marienlied „Sie ist mir lieb die reine Magd“ gehört?

Allein auf der ersten CD, die ausschließlich vom Athesinus Consort unter Leitung von Klaus-Martin Bresgott gestaltet wird, gibt es unendlich viel zu entdecken. Bresgott vorzügliches Ensemble bietet Sätze aus der Reformationszeit und dem Früh- und Hochbarock (Walter, Vulpius, Bach und andere) im Wechsel mit zeitgenössischen Sätzen, die extra für diese Produktion geschrieben wurden. Hier kann man fast nebenbei eine anspruchsvolle, teilweise sehr junge, Garde zeitgenössischer Komponisten erleben, die anhand der alten Worte und Weisen Luthers in zweieinhalb bis vierminütigen Sätzen ein Kaleidoskop der Klanglichkeit des 21. Jahrhunderts präsentieren. Gemischt ist das Ganze mit den klassischen Vertonungen der lutherischen Orthodoxie aus Renaissance und Frühbarock, Werke von Johann Walter, Schein, Scheidt und Vulpius und ähnliche. Allein diese erste CD kann man gar nicht oft genug hören, um immer neuen Feinheiten nachzuspüren und sich an der entspannten Perfektion der „Athesinüsse“ zu erfreuen.

Auf der zweiten CD weitet sich die Perspektive: Auch die Romantik kommt zu ihrem Recht, zum Teil in Gestalt eines halben Dutzends Luthervertonungen für Solostimme und Orgel (Reger, Buxtehude und Bach), dargeboten von der Sopranistin Sophie Harmsen und dem Nürnberger Lorenzorganisten Matthias Ank, und in Gestalt von fünf Mendelssohn-Motetten nach Lutherliedern. Dass der Verlag hier auf seine vor wenigen Jahren fertiggestellte Gesamtaufnahme zurückgegriffen hat, ist verständlich, denn besser als vom Kammerchor Stuttgart und Frieder Bernius ist die Interpretation von „Mitten wir im Leben sind“ oder dem berückenden „Verleih uns Frieden gnädiglich“ kaum vorstellbar.

In summa eine sehr beeindruckende, gleichermaßen subtile wie strahlende Musikproduktion, die von einem vorzüglichen Booklet gekrönt wird, in dem verschiedene Persönlichkeiten - vom Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier über den Dichterpfarrer Christian Lehnert bis zur jungen Schriftstellerin Judith Zander - jedes der 35 Lieder entweder geistvoll interpretieren oder sich gar zu Nachdichtungen hinreißen lassen. Einzigartig.

Reinhard Mawick

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