Funkelndes Kleinod

Werke des Barockkomponisten und Gesangbuchschöpfers Johann Crüger neu erschienen
Gedächtnisbild Johann Crügers von seinem Schwiegersohn Michael Conrad Hirt (1613-1671) in der Berliner Nikolaikirche. Crüger wirkte dort von 1622-1662. Foto: Stiftung Stadtmuseum Berlin
Gedächtnisbild Johann Crügers von seinem Schwiegersohn Michael Conrad Hirt (1613-1671) in der Berliner Nikolaikirche. Crüger wirkte dort von 1622-1662. Foto: Stiftung Stadtmuseum Berlin
Die bedeutenden musikalischen Werke Johann Crügers sind pünktlich zum Reformationsjubiläum in aufwändigen und schönen Ausgaben erschienen. Klaus-Martin Bresgott, Germanist, Kunsthistoriker und Musiker im Kulturbüro der EKD, hat sie sich angesehen.

Wenn sein Name fällt, ist Paul Gerhardt nicht weit. Und in der Tat: Weltweite Berühmtheit erlangt der barocke Musiker und Komponist Johann Crüger (1598-1662) in erster Linie als Melodienschöpfer für die Lieder Paul Gerhardts. Wer kennt nicht seine wunderbaren Weisen zu Gerhardts bekannten Lieddichtungen wie „Auf, auf, mein Herz mit Freuden“, „Wie soll ich dich empfangen“ oder „Fröhlich soll mein Herze springen?“ Eigentlich aber war es andersherum: Crüger, der schon als junger Mann als Musikdirektor an der Berliner Nikolaikirche wirkte, machte den neun Jahre jüngeren Gerhardt berühmt, denn er nahm dessen Texte in sein Gesangbuch auf.

Praxis Pietatis Melica, das ist: Übung der Gottseligkeit in christlichen und trostreichen Gesängen - so lautet der vollständige Titel des wohl bedeutendsten protestantischen Gesangbuchs des 17. Jahrhunderts, herausgegeben von Johann Crüger. Sowohl für den Gebrauch im Gottesdienst als auch für Hausandachten, den individuellen Trost und die private Erbauung in schweren Zeiten bestimmt, war die „Musikalische Übung der Frömmigkeit“ 1640 zunächst noch als Newes vollkömliches Gesangbuch/ Augspurgischer Confession erschienen, ehe die zweite Ausgabe 1647 dann erstmals diesen Titel und viele Lieder Paul Gerhardts in sich trug und bis 1737 allein in Berlin 45 Auflagen erlebte. Ein Bestseller des Barock, der sich vom Büchlein mit 248 Liedern der Erstausgabe 1640 zu 550 Liedern in der 10. Auflage 1661 schließlich zum Schwergewicht mit 1316 Liedern in der vorletzten Ausgabe von 1736 auswuchs.

Hans-Otto Korth und Wolfgang Miersemann haben nun im Auftrag der Franckeschen Stiftungen Halle (Saale) Johann Crügers Gemeindegesangbuch herausgegeben. Band I/1 bildet den Auftakt des hymnologischen Editions- und Forschungsunternehmens, er enthält den kritisch edierten Text der letzten von Johann Crüger selbst besorgten Ausgabe des Werkes, die „Editio X.“ von 1661, mit 550 Liedertexten, darunter 90 von Paul Gerhardt als dem Hauptautor der Sammlung. Die Liedtexte sind in ihrer originalen Schreibung wiedergegeben. Für die Noten (Cantus und Basso Continuo) gilt dasselbe - die Originalgestalt der Symbole und die originale Schlüsselung blieben erhalten. Die fehlende Bassbezifferung wurde mithilfe anderer Ausgaben ergänzt. Zusatzzeichen unterrichten über Gestaltung und Eigenwilligkeiten des Drucks.

Band I/2 bietet den begleitenden Apparat in Form von Verbreitungs- und Variantenverzeichnissen zu den einzelnen Liedern in den voran gegangenen Ausgaben der Praxis Pietatis Melica. Soweit nötig und möglich, sind hier auch andere begleitende Veröffentlichungen aus dem Umfeld Johann Crügers aufgeführt. Dieser Band bietet außerdem ergänzende bibliographische Angaben, Quellenverweise, Druckbeschreibungen und Anmerkungstexte zur Liedgeschichte sowie Analysen von Texten und Liedern. Hier sind außerdem Texte und Liedsätze früherer Ausgaben, die in die „Edition X.“ nicht aufgenommen worden sind, zusammengestellt und zusätzlich nachgereicht.

Umfassend aufbereitet

Die exemplarisch eigene künstlerische Erweiterung der Gesangbuchlieder Johann Crügers haben Holger Eichhorn und Martin Lubenow unter dem Titel Crüger Concert Choräle in drei Bänden herausgegeben. Sie präsentieren damit in umfassend aufbereiteter Form das besondere Können Crügers, nämlich seine Erfindung, einen einfachen, lediglich mit Basso Continuo versehenen, vierstimmigen Satz mit Hilfe zweier virtuoser Oberstimmen („Violinen oder Cornetten“) zu veredeln und damit dieser kleinen Form einen leuchtenden, künstlerisch-konzertanten Zug zu verleihen. Die Möglichkeit verschiedener Besetzungen gibt diesen grandios funkelnden Kleinoden Kraft und Möglichkeit, sie an allen Orten und in jedweder Besetzungsstärke leuchten zu lassen: allein mit der Orgel, zu zweit, zu dritt, zu viert … im Hauskreis, mit der Kantorei im Gottesdienst oder in ausdifferenzierter Form im Konzert.

Band I enthält Geistliche/Kirchen-Melodien/Über die von Herrn D. Luthero/Sel. und anderen vornehmen und/Gelehrten Leuten/auffgesetzte Geist-/und Trost-reiche/Gesänge und Psalmen/…/von/Johann Crügern … Leipzig/./Berlin …1649 und umfasst 161 vierstimmige Choralsätze, größtenteils mit zwei obligaten Violinen oder Zinken. Band II bietet D.M.Luthers/wie auch anderer gottseligen und/Christlichen Leute/Geistliche Lieder und Psalmen:/Wie sie bisher in Evangelischen/Kirchen dieser Landen gebrauchet/werden./…/In 4. Vocal-und 3. Instrument-Stimmen/übersetztet/von/Johann Crügern./…/Berlin…/1657. Diese zweite Choralsammlung von 1657 enthält zum Teil überarbeitete Sätze, zum Teil auch gänzlich neue vierstimmige Bearbeitungen, teilweise a cappella, also ohne Instrumente, andere mit zwei Oberstimmen oder bis zu fünf begleitenden Posaunen.

Band III wartet schließlich mit der Vertonung des kompletten Psalters in der Übersetzung von Ambrosius Lobwasser (1515-1585) auf, dessen Übersetzungen 1573 unter dem Titel „Der Psalter des königlichen Propheten David“ erschienen waren und nicht auf Martin Luthers Übersetzung, sondern auf dem Genfer Psalter basieren. Wie auch die Choräle sind die Stücke für vier Singstimmen und zwei obligate Instrumente (Violinen oder Flöten) geschrieben.

Sowohl die Praxis Pietatis Melica als auch Crüger Concert Choräle sind nicht nur eine erstaunlich umfängliche und im Aufwand äußerst achtbare Unternehmung, beide Publikationen zeichnen sich gleichermaßen durch eine intelligente und gut nutzbare Darstellung aus. Der kritische Bericht und alle Verzeichnisse sind instruktiv gestaltet, alle darüber hinausgehenden Informationen weisen die Herausgebenden als mit ihrem Fach vertraute und mit Lust agierende Forscher aus. Ist die Praxis Pietatis Melica zuerst eine Fundgrube in Sachen Strophenfülle und Einblick in die barocke Sprachemblematik, sind die Crüger Concert Choräle zusätzlich willkommen als Gattungsschulen für die unmittelbare musikalische Praxis, die mit klarem, großzügig gestaltetem und gut leserlichem Notensatz verschiedenen Besetzungskonstellationen alle Freiheit lassen und eine ordentliche Beihilfe zum aktiven Gesang sind.

In einer Vorrede zur Basso Continuo-Stimme der Edition 1657 fordert Johann Crüger „einen feinen langsamen Tact“. Nimmt man sich diesen für die Erschließung beider Editionen zu Herzen, ist man gut beraten. Der musikalische Praktiker fragt sich lediglich, warum eine Neuausgabe der Praxis Pietatis Melica unbedingt die alten Notenschlüssel beibehalten muss und damit einer erklecklichen Zahl Neugieriger und Interessierter ihr elementar nutzbares Gut vorenthält und Umwege der Erschließung nötig macht, die am Ende womöglich allein akademischer Rechtfertigung dienen. Aber dies ist nicht mehr als ein kleiner Fettfinger am frisch geputzten Fenster: Platz ist für die Sonne allemal. Und diese scheint in und über allem hier Herausgegebenen auf äußerst honorable Weise.

Literatur

Hans-Otto Korth und Wolfgang Miersemann (Hg.): Johann Crüger, Praxis Pietatis Melica. Editio X, Verlag der Franckeschen Stiftungen Halle, 2015, Band I (Text), 504 Seiten, Euro 128,-. Band II (Apparat), 464 Seiten, Euro 118,-.

Holger Eichhorn und Martin Lubenow (Hg.): Crüger Concert Choräle. Gesamtausgabe. Musiche Varie-Verlag, Germersheim, 2014-2016. Band I: Geistliche Kirchen-Melodien 1649, 196 Seiten, Euro 78,-. Band II: Geistliche Lieder und Psalmen 1657, 268 Seiten, Euro 98,-. Band iii: Psalmodia Sacra

Klaus-Martin Bresgott

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