Geist der Liebe

Der Weg Franz von Assisis
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Trotz dürftiger Quellenlage und mannigfacher Legendenbildung ist ein lebendiges Bild des heiligen Franz gelungen.

Gleich zu Anfang stellt der Autor klar: Franz, der ursprünglich bei der Taufe 1181 oder 1182 den Namen Giovanni (Johannes) erhielt, war kein Fanatiker, kein Rebell. Er war vielmehr Zeit seines Lebens Tänzer, Dichter und Gaukler, Träumer und Realist zugleich, der seine Predigten lieber sang als (auf Latein) sprach.

Eigentlich führt der Untertitel von Gunnar Deckers Fleißarbeit ein wenig in die Irre: Es geht nicht um den Traum vom einfachen Leben, den heutige großstadtmüde Aussteiger träumen mögen. Franz geht es um die radikale Nachfolge Jesu, ohne jeden Besitz oder Eigentum. Dabei konnte der Sohn eines reichen Tuchhändlers aus dem umbrischen Assisi materiell aus dem Vollen schöpfen - eine Möglichkeit, von der der junge Franz gerne Gebrauch machte, so als Anführer der wohlhabenden Stadtjugend Assisis.

Schon mit etwa 16 Jahren war er an den in ganz Italien wütenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Städten als begeisterter Kämpfer im benachbarten Perugia beteiligt. So lernte er bereits als ganz junger Mann die Schrecken des Krieges kennen, in dem keine Gefangenen gemacht wurden und mit unvorstellbarer Grausamkeit alles erschlagen, zerhackt und aufgespießt wurde, was aus Assisi kam. Diesem Gemetzel entging der junge Franz, weil man in Perugia glaubte, ein Lösegeld für ihn bekommen zu können. Dafür wurde er ein Jahr lang in einem tiefen und feuchten Verlies eingekerkert.

Sein bis dahin scheinbar intaktes Selbstbild bekommt erste Risse. Das ganze oberflächliche Leben ist ihm fremd geworden - seine Seele hungert nach echter Nahrung. Die Begegnung mit einem Bettler wirft Fragen auf. Warum ist er selbst reich, und warum sind die anderen arm? Er ahnt, dass diese Welt nicht gerecht ist, und schon gar nicht brüderlich. Franz wendet sich von seinem Vater ab, wirft ihm seine Kleidung vor die Füße und bekundet, nur noch einen Vater zu haben - den im Himmel.

Sein Protest gegen eine Kirche, die sich vor allem Macht- und Eigentumsfragen verpflichtet fühlt, ist auch der Beginn einer neuen Sensibilität jenen Dingen gegenüber, die in der mittelalterlichen Gesellschaft bislang keine Rolle gespielt hatten: Arme und Kranke, die Natur, die Tiere und Pflanzen und sogar die unbelebten Elemente Licht, Wasser, Erde und Luft. Alle werden ihm, der kein großer Bibelleser und ohne theologische Bildung ist, zu Schwestern und Brüdern, vom Geist Gottes beseelt. Darum kann er auch den Vögeln predigen.

Im Mittelalter waren Traum und Realität für die Menschen untrennbar verknüpfte Verheißungen des Kommenden. Im Traum, so glaubten sie, spräche Gott zu ihnen. Auch Franz hat Träume, Visionen. Er zieht sich immer häufiger zum Gebet zurück, will Jesus Christus nachfolgen. Die Ablehnung des Geldes wird ihm zum obersten Wert. Für die Kurie war der Anspruch einer armen Kirche damals aber nichts anderes als gefährliche Ketzerei. Franz wollte seine Utopie vom neuen Menschen in einer Bruderschaft, nicht in einem Mönchsorden realisiert sehen, nicht einmal im Rahmen der Kirche.

Der Sonnengesang ist für Gunnar Decker Franz' geistliches wie poetisches Vermächtnis, Er reiche in seiner Brüder- und Schwesterlichkeit bis hin zum kleinsten Staubkorn, das er mit „Bruder“ anspricht, weil auch in ihm der Geist Gottes als Geist der Liebe lebe.

Gunnar Decker ist trotz dürftiger Quellenlage und mannigfacher Legendenbildung über Franz ein lebendiges Bild dieses von Martin Luther als Vorbild ganz und gar abgelehnten Heiligen gelungen, in dem der Reformator lediglich einen „weiteren katholischen Kuttenträger“ sah. Dass Luther mit seiner Einschätzung Franz wirklich gerecht geworden ist, darf nach der Lektüre dieser Biographie bezweifelt werden.

Manfred Gärtner

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