Fulminant

Neue Kapitalismuskritik
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Drewermann hat mit feinem Sarkasmus eine kenntnisreiche Analyse des kapitalistischen Systems geschrieben.

Der Psychoanalytiker ist zum Kapitalismuskritiker geworden. Derjenige, der den Einzelnen von seiner Angst befreien will, seziert nun das System, das Ängste produziert. Ein System, dem aber „nicht mit psychologischen Mitteln beizukommen“ sei: „Es gibt im Kapitalismus erkennbar keine Messfühler, die auf Mitleid oder Menschlichkeit oder moralische Verantwortung reagieren würden.“ Deswegen seien moralische Appelle zwecklos, es komme also darauf an, die Regeln des Systems zu verstehen und zu ändern.

Im Herzen des Systems macht Drewermann den Preismechanismus aus: also die Tatsache, dass Preise sich durch Angebot und Nachfrage regulieren. Damit ist klar: Es reicht für Drewermann nicht, den neoliberalen Kapitalismus gegen vermeintlich bessere Varianten des Kapitalismus auszuspielen.

Der Psychologe hat sich durch die Lehrbücher der Wirtschaftstheorie gearbeitet und legt dar, was dort zu Preisen, Löhnen und Handel geschrieben wurde. Dabei legt Drewermann sein Augenmerk darauf, dass in den Preisen weder der Naturverbrauch noch die sozialen Kosten einer Unternehmung abgebildet würden, deswegen wachse das kapitalistische System auf Kosten von Natur und Mensch. Die Änderungsvorschläge entlang dieser Analyse fallen unterschiedlich radikal aus: Der Naturverbrauch müsse in die Preise einberechnet werden, wie dies ja schon im Emissionshandel geschehe; darüber hinaus brauche es maßgebliche ökologische und soziale Steuerreformen; Drewermann hat aber auch keine Scheu vor vermeintlich sozialistischen Lösungen, wenn er die Verstaatlichung von Wohnimmobilien vorschlägt.

Drewermanns Vorgehen erinnert an Karl Marx: Auch dieser hatte aus der Auseinandersetzung mit den Standard-Ökonomen seiner Zeit die historischen Gesetze des Kapitalismus entwickelt. Es ist aber fraglich, ob die Verallgemeinerungen der Ökonomen die tatsächliche Preisbildung auf den Märkten abbilden können (Wirtschaftssoziologen arbeiten hier schon längst an lebensnäheren Beschreibungen). So argumentiert Drewermann gegen eine Mietpreisbremse mit Lehrbuch-Analysen: Wenn die Mietpreise gedeckelt würden, würden weniger Mietwohnungen gebaut und bestehende Mietwohnungen würden verkauft statt vermietet. Aber die aktuelle Entwicklung in deutschen Ballungszentren zeigt, dass die Konsequenzen einer Mietpreisbremse nicht anonyme Reaktionen „des Marktes“, sondern miese kleine Tricks von Vermietern sind, die ihre Wohnungen möbliert vermieten, um die Auflagen zu umgehen. Sind diese Vermieter von den Gesetzen des Marktes dazu gezwungen oder sind sie nur getrieben von einer - sicherlich längst allgemeinen und darum auch legitimierten - Gier nach dem größtmöglichen Profit? Kurz: Vielleicht ist der Raum der persönlichen Verantwortung größer, als Drewermann meint?

Damit wird eine Spannung sichtbar, die wohl nur dialektisch aufzulösen ist: Wieso wird der Einzelne, an dessen Veränderbarkeit der Psychologe Drewermann festhält, immer wieder vom System zurechtgestutzt? Können kreative Menschen keine besseren Systeme schaffen? Drewermann betont sehr stark die Macht des Systems; vielleicht ein nötiges Gegengewicht angesichts der herrschenden Diskussionslage, bei der die meisten auf der anderen Seite vom Pferd fallen, wenn sie glauben, Anstand und Coporate Social Responsibility würden uns retten.

Insgesamt hat Drewermann mit feinem Sarkasmus eine kenntnisreiche Analyse geschrieben und mit vielen konkreten Beispielen aus einer akribischen Zeitungslektüre angereichert. Man darf auf den zweiten Band zu „Kapital und Christentum“ im Sommer 2017 gespannt sein, in dem Drewermann die Möglichkeiten des Menschen im System genauer untersuchen will.

Christoph Fleischmann

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