Die Theologie ist gefragt

EKD-Synode sucht nach Wegen, wie ein Aufbruch in die Zukunft gelingen kann
Den Blick nach vorn: Die EKD-Synodalen während ihrer Tagung in Bonn. Foto: epd/ Norbert Neetz
Den Blick nach vorn: Die EKD-Synodalen während ihrer Tagung in Bonn. Foto: epd/ Norbert Neetz
Die Lutherdekade mit ihren neun Themenjahren und einem Jubiläumsjahr mit unzähligen Veranstaltungen sind vorüber. Die EKD-Synode, die vom 11. bis 14. November tagte, zog Bilanz und richtete den Blick in die Zukunft.

Es ist gerade mal vier Wochen her, da füllten sich Land auf Land ab die Kirchen mit Menschen, die gemeinsam den 500. Jahrestag der Reformation mit einem Gottesdienst feiern wollten. In vielen Städten kamen mehr Menschen in die Kirchen als an Weihnachten. Gerade in Zeiten weiterhin hoher Kirchenaustrittszahlen und des allseits beklagten Akzeptanzverlustes der Kirchen war dieses Interesse ein für viele überraschendes Zeichen der Ermutigung, auch für viele EKD-Synodale. Natürlich: Was da schon jeder wusste, der es wissen wollte: Patentrezepte und einfache Lösungen, sich den Herausforderungen für die Zukunft zu stellen, gibt es nicht.

Bilanz zu ziehen und gleichzeitig einen Ausblick zu verfassen, das haben sich die 120 EKD-Synodalen während ihrer Tagung in Bonn auf die Fahnen geschrieben. „Was nehmen wir mit?“, formuliert Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode, als zentrale Frage. Oder: Wie kann eine „Zukunft auf gutem Grund“ aussehen, wie das Motto des Schwerpunktthemas der Synodaltagung lautete. Doch zunächst heißt es, die Herausforderungen zu benennen. Das übernimmt in Bonn der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack. Seine ernüchternde Bilanz: „Glaube und Kirche sind den Menschen nicht so wichtig. Sie haben andere Prioritäten, sich mit Freunden treffen, sich bilden, beruflich vorankommen, die vielfältigen Freizeitangebote…, die Familie.“

An eine Sinnsuche der Menschen glaubt der Soziologieprofessor nicht: „Die theologische Unterstellung eines religiösen Apriori trifft die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht.“ Pollack rät, sich „vor allem um diejenigen zu kümmern, die in der Kirche sind, genauer, noch in der Kirche sind und an ihrem Rand stehen“. Und: Der Gottesdienst müsse einladender und professioneller werden. Aber der Religionssoziologe wird noch deutlicher: „Kein Gottesdienst länger als 50 oder höchstens 60 Minuten.“

Frage nach Gerechtigkeit

Nun wird es hörbar lauter im Saal, die Synodalen diskutieren miteinander. Pollack fragt weiter: „Was kann heute an die Stelle des einstmaligen Sündenbewusstseins treten, das uns die Frage nach Gott so dringlich macht, wie sie Luther einst war?“ Kapitalismuskritik, also die Frage nach Gerechtigkeit? Oder die, dass die Begrenztheit des Lebens nicht anerkannt wird? Hier sei die Theologie gefragt. Doch damit nicht genug. Schonungslos ist auch der Blick auf die Ökumene im Reformationsjahr, den die Deutschlandfunk-Journalistin Christiane Florin in einem zweiten Impulsreferat richtet: „Zur Schau gestellt wurde oft eine Ökumene der Belanglosigkeiten“, resümierte die promovierte Politikwissenschaftlerin. „Toleranz, miteinander reden, irgendwas gegen die AfD und für das Grundgesetz.“ Das passe immer. Das sei so anschlussfähig wie ein Playmobil-Luther, der mit ein paar Kunstgriffen in einen Astronauten oder einen Lokführer verwandelt werden könne. So sehr der mit Wortspielen und Anekdoten angereicherte Impuls zum Lachen reizt, es ist ein Lachen, das einem im Hals stecken bleibt.

Florin fordert von den Kirchen einen wachen Blick auf die Gesellschaft. Ihrer Ansicht nach heißen die Pole nicht mehr katholisch oder evangelisch, sondern autoritär oder liberal innerhalb der jeweiligen Konfessionen. Dazu gehört für die Katholikin, die sich als „laue Katholikin“, aber „das mit Leidenschaft“ bezeichnet, auch, dass die Unterscheidung in evangelisch und katholisch bald nur noch „wie ein Luxus-Hobby“ aussehen wird. Nicht die Frage: „Ist das katholisch oder evangelisch?“ beschäftige junge Menschen, sondern: „Interessiert mich das, oder interessiert es mich nicht?“

Ein drittes Impulsreferat: Dass die Kirche sich zu sehr an die kirchliche Gemeinschaft wendet, statt an die säkulare Gesellschaft - diese Ansicht vertritt der emeritierte Bochumer Geschichtsprofessor Lucian Hölscher. „Der Kirche stellt sich die säkulare Gesellschaft aber immer noch in erster Linie als passives Handlungsfeld für die kirchliche Mission dar,

nicht als selbst aktiven Dialog- und Handlungspartner“, kritisiert der Historiker vor der Synode. Es fehle ein Konzept für den Dialog mit der säkularen Gesellschaft. Schließlich müsse die Kirche sich hier bewähren. Auch und gerade wenn es um die Formulierung neuer säkularer Werte geht wie „die Gewinnung ökologischer Gleichgewichte und die Erhaltung von Kultur und Umwelt für kommende Generationen“. Er benennt die Erfahrung des Christentums, keine „ewig konstanten Werte über die Zeit zu formulieren, sondern die gegenwärtige Welt im Lichte der überlieferten Schriften und Riten immer wieder neu zu bewerten“. „Säkulare Kontextualisierung ist für alle Religionen lebenswichtig, ebenso wichtig wie für säkulare Gesellschaften, ihre eigenen Normen im Lichte religiöser Traditionen zu reflektieren“, bilanziert Hölscher.

Neue Formen der Beteiligung

Eine Journalistin, ein Religionssoziologe und ein Historiker: Sie machen deutlich, dass es keine schnellen Handlungsanweisungen, kein Sofortprogramm für die nächsten Jahre gibt. Aber eben auch, dass der Bedarf an Veränderungen kaum größer sein kann.

Und die Synodalen? „Mit überzeugenden Formaten und klugen Strukturen“ wollen sie auf die Krise, in der sich alle Institutionen befinden, reagieren, heißt es in einem Beschluss, den sie zum Abschluss der Synodaltagung gefasst haben. Gemeinsam mit dem Rat der EKD und der Kirchenkonferenz, in der die zwanzig Landeskirchen vertreten sind, will die Synode ein Koordinierungsteam bilden, das unter anderem über „ neue, ergänzende oder alternative Formen der Beteiligung“ beziehungsweise der Zugehörigkeit zur Kirche nachdenkt.

Hintergrund war ein Votum des anhaltinischen Kirchenpräsidenten Joachim Liebig, über neue Formen der Kirchenmitgliedschaft wie zum Beispiel eine abgestufte zu diskutieren. Angesichts der sich wandelnden Kommunikationsformen sollten Strategien erarbeitet werden, wie sich kirchliche Strukturen verändern müssen. Und: Nichts weniger als einen theologischen Neuaufbruch fordern die Synodalen ebenso wie den Dialog mit der ganzen Gesellschaft. Das klingt alles noch sehr vage, aber auch vielversprechend.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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