Eine Kirche, die keiner braucht
Nun ist es entschieden: der Turm der Garnisonkirche in Potsdam wird gebaut. Ob das Kirchenschiff folgen wird, steht noch nicht fest; aber es ist damit zu rechnen. An der Stelle des durch Militarismus und Nationalismus missbrauchten und gedemütigten Kirchengebäudes soll ein Versöhnungs- und Friedenszentrum entstehen, das sich der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft verbunden und verpflichtet fühlt. In der bereits existierenden Nagelkreuzkapelle werden schon jetzt Gottesdienste und Veranstaltungen durchgeführt, die Versöhnung in einem breiten Sinne befördern wollen.
So weit, so gut. Aber die Frage bleibt, weshalb die EKD und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sich ideell und finanziell so sehr für dieses Bauprojekt engagieren. Leiden die Potsdamer Christen an Raumnot? Sind die Potsdamer Kirchen und Gemeindezentren überfüllt? Gibt es in Potsdams Innenstadt keine Kirche, so dass sich durch den Bau der Garnisonkirche die Wege zu den sonntäglichen Gottesdiensten entscheidend verkürzten?
Worin soll das Besondere der Friedens- und Versöhnungsarbeit an diesem Ort bestehen? Soll und kann nicht jede Kirche ein Friedens- und Versöhnungszentrum sein? Feiern wir nicht in jedem Gottesdienst Frieden und Versöhnung? Beten wir nicht an jedem Sonntag darum? Die Argumentation halte ich für verquer: an der Garnisonkirche ist mit dem Christentum Missbrauch getrieben worden. Das ist in anderen Kirchen auch geschehen. Da es hier aber besonders sichtbar und herausgehoben geschah, eigne sich diese Kirche besonders, über Irrwege, über Versagen und auch über mutiges, aufrichtiges Handeln nachzudenken. Es gab auch in dieser Gemeinde während der Nazizeit Christen, die sich den faschistischen Verbrechen widersetzten. Wie in anderen Kirchgemeinden auch. Nun existiert dieses Gebäude aber nicht mehr. Es wird an die alte Stelle ein neues gesetzt, das architektonisch an die alte Garnisonkirche erinnern soll, aber beileibe keine Replik sein soll. Es existiert an dieser Stelle also kein authentischer Ort, an dem Geschichte anschaulicher verdeutlicht und gelehrt werden könnte als anderswo. Die geistliche Ausrichtung des neuen Gebäudes soll in grundsätzlichem, sichtbarem Widerspruch zur Ausrichtung des alten, zerstörten Vorgängerbaus stehen.
Um für die neuen Ziele wirksam arbeiten und beten zu können, soll eine Kirche gebaut werden, die an die alte erinnert. Die alte Garnisonkirche wird nicht wiederaufgebaut. Der Bruch mit der preußisch-militaristischen Tradition soll schon am Bau ablesbar sein, indem an genau dieser Stelle keine Militärkirche, sondern ein Friedens- und Versöhnungszentrum gebaut wird. Eingeweihte, mit der Geschichte Vertraute, werden diesen Bruch erkennen. Aber wie ist es mit Potsdam-Besuchern, auch mit Potsdamern selbst, die sich wenig Gedanken über den Bau gemacht haben? Sie werden sagen, hier stand die alte Garnisonkirche, jetzt steht hier wieder eine Kirche, nicht ganz im alten Stil, nicht ganz modern, eben eine neue Garnisonkirche. Nichtinformierte Besucher müssen kein Argument gegen den Neubau sein. Aber die Frage bleibt unbeantwortet, wozu braucht Potsdam eine neue Kirche? Und weshalb wird sie an diesem Ort gebaut?
Das Argument, die alte Kirche sei ein architektonisches Kleinod gewesen, eine Besonderheit unter den Barockkirchen, verfängt nicht; denn die Barockkirche wird ja nicht wieder aufgebaut. Und die Silhouette von Potsdam zu verschönern ist nicht Aufgabe der Kirche. Wenn Stadt, Land oder Bund die „schöne Silhouette“ von Potsdam rekonstruieren wollen, bitteschön. Aber das ist kein Auftrag an die Kirche. Wir haben andere Aufgaben. Friedens- und Versöhnungsarbeit, ja, aber die kann überall geschehen. Beten dafür, sich austauschen darüber, sich gegenseitig stärken und ermutigen - auch das kann unmissverständlicher überall geschehen.
Warum sollen wir uns durch ein Kirchengebäude an die preußisch-militaristische Tradition erinnern lassen, um uns dann entschiedener davon abwenden zu können? Ist es nötig, dass uns ein eigens zu diesem Zweck errichteter Kirchenbau an die Verbindung von Thron und Altar, von Kirche und Nationalsozialismus erinnert? Warum betreiben wir, die evangelische Kirche, einen derart großen Aufwand für den Wiederaufbau einer Militärkirche, so wird es von vielen rückwärtsgewandten, nationalistisch eingestellten Menschen verstanden? Warum investieren wir statt in ein Gebäude, das ernstlich keiner braucht, nicht in die Kirche aus lebendigen Steinen, wenden unsere geistige, seelische und materielle Kraft nicht denen zu, die sie dringend benötigen, den Flüchtlingen zum Beispiel?
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Jürgen Israel ist Publizist und Synodaler der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.
Jürgen Israel
Jürgen Israel
Jürgen Israel ist Publizist und beratender Mitarbeiter der "zeitzeichen"-Redaktion. Er lebt in Neuenhagen bei Berlin.