Fröhlich, bunt, konträr
Zehn Tage, 100 Länder, mehr als 1.000 Teilnehmer: Zur 26. Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen von 28. Juni bis 7. Juli war die Welt zu Gast in Leipzig. Ob aus Afrika, Asien, Amerika oder Europa - die Delegierten sorgten in ihrer Vielfalt für bunte Tupfer im Stadtbild und verbreiteten gelöste Fröhlichkeit und Harmonie. Nur etwa alle sieben Jahre tagt die Versammlung des Kirchenbundes mit Sitz in Hannover, der weltweit rund 80 Millionen Christen in der Tradition der schweizerischen Reformatoren Johannes Calvin und Ulrich Zwingli repräsentiert. Und knapp die Hälfte der rund 235 Mitgliedskirchen hatte Abgesandte nach Leipzig geschickt.
Dass die Wahl des Tagungsortes - nach Grand Rapids/USA 2010 und Ghanas Hauptstadt Accra 2004 - auf die mitteldeutsche Messestadt fiel, hängt wie so vieles in der Kirchenwelt des Jahres 2017 mit dem 500. Reformationsjubiläum zusammen. Für reformierte Christen sei Luther zwar nicht die „Zentralfigur“, sagt der wrk-Generalsekretär Chris Ferguson aus Kanada. Aber natürlich wolle man der lutherischen Reformation gerecht werden und sich „von den gro-ßen Ereignissen inspirieren lassen, die hier ihren Lauf nahmen“.
Und so kam es, dass die Ökumene zum zentralen Gegenstand dieser Generalversammlung wurde. In Grand Rapids war es noch viel um innere Strukturen gegangen. Erst 2014 zog der Kirchenbund aus finanziellen Gründen von der Schweiz nach Niedersachsen. Das Treffen in Ghana stand indes ganz im Zeichen des „Bekenntnisses von Accra“, das soziale Ungerechtigkeit und Naturzerstörung als direkte Folgen neoliberalen Wirtschaftens scharf verurteilte.
Nun also Leipzig und Wittenberg, wohin die Delegierten am 5. Juli reisten. In einem ökumenischen Gottesdienst mit dem Lutherischen Weltbund (LWB) in der Schlosskirche schlossen sich die Reformierten der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 an. In ihr hatten der Vatikan und der lwb in Augsburg nach zähen Verhandlungen jahrhundertealte Lehrverurteilungen ausgeräumt, die in Luthers Begriff von der Rechtfertigung allein durch Gottes Gnade wurzelte - des letztendlichen Grundes für die Kirchenspaltung.
Neben Katholiken, Lutheranern, Methodisten und Anglikanern haben sich nun auch die reformierten Christen dazu verpflichtet, auf eine volle Gemeinschaft hinzuarbeiten. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm nannte das einen „historischen Moment“ und kommentierte: „In dieser Welt, die uneins ist, setzen wir ein Zeichen ökumenischer Einheit“. Zumal Lutheraner und Reformierte, die lange verfeindet waren, mit dem „Wittenberger Zeugnis“ noch ein zweites Dokument unterschrieben, in dem sie sich zum Einsatz für eine friedlichere und gerechtere Welt verpflichten.
Strukturen entmachten
Auch das Thema Weltgerechtigkeit war nach Accra in Leipzig wieder präsent. So heißt es in der Abschlusserklärung des Gipfels, Geld- und Machtsucht schafften weltweit ein System, „in dem einige wenige im Komfort leben und die Ressourcen unseres Planeten aufbrauchen“. Daher wollten die reformierten Kirchen unter der Führung Gottes versuchen, „die wirtschaftlichen, technologischen und politischen Strukturen zu verstehen, die Herrschaft verstärken“ und mithelfen, sie zu entmachten.
Da lag ein Querverweis auf den parallel beginnenden G20-Gipfel in Hamburg nicht mehr fern. Und so riefen die Delegierten die 20 mächtigsten Staats- und Regierungschefs - und mit Klimawandel-Verweigerer Donald Trump vor allem den wohl nach wie vor mächtigsten unter ihnen - dazu auf, „keineswegs von den Pariser Klimaabkommen abzuweichen“. Weiter forderten sie ein gerechteres Wirtschaftssystem und riefen die Politiker zu mehr Mut und Entschlusskraft bei der Lösung globaler Probleme auf.
Der Wunsch zum Einsatz für den Frieden prägte die eigentliche Tagungsarbeit auf der Leipziger Messe. Hier stach besonders eine Aussprache zur verfahrenen Situation auf der koreanischen Halbinsel hervor. Lutz Drescher vom ökumenischen Forum für Korea formulierte das Ziel einer friedlichen Koexistenz Süd- und Nordkoreas. Er sei sicher, dass die Weltkirche helfen könne, Christen in beiden Ländern daran zu erinnern, „dass die Nachfolge Jesu uns anvertraut ist und uns befähigt, Versöhnung herbeizuführen“.
Ob dieser Ansatz geeignet ist, die Annäherung zwischen den Staaten voranzubringen, daran ließ das martialische Referat des nordkoreanischen Delegierten Ri Jongro Zweifel aufkommen. Von „rücksichtslosem Säbelrasseln“ der usa war da die Rede, von „wilden Ambitionen, Nordkorea zu besetzen“. Und mit erhobener Faust rief Ri ins Plenum: „Die usa wollen die Welt dominieren und die Situation auf der Halbinsel verschärfen, um den Atomkrieg gegen Nordkorea und andere zu schärfen.“ Nun sind die usa sicherlich Teil des Problems; mit einer doch allzu sehr im Kalten Krieg verhafteten Sicht der Dinge, vor allem aber ohne einen Hauch von Selbstkritik ist eine Annäherung in Frieden doch schwer vorstellbar.
Kleinteilig wurde die Arbeit der Delegierten bei den Themen Frauenordination und Geschlechtergerechtigkeit. Hier stieß das erstmals auf einer Generalversammlung praktizierte Format der discernment groups wiederholt an seine Grenzen: In Arbeitsgruppen erarbeiteten Delegierte Beschlussvorlagen, die später im Plenum diskutiert und zur Abstimmung gestellt wurden. Doch hatten die Programmmacher offenbar unterschätzt, wie viel Zeit Basisdemokratie braucht. Mehrfach wurden die Plenumsleiter Ferguson und Weltgemeinschaftspräsident Jerry Pillay aus Südafrika der Flut an Änderungsanträgen nicht Herr und mussten weitere Beratungen vertagen.
Manifestes Gefälle
Beschlüsse wurden bei beiden Themen folglich kaum gefasst. Gerade die Debatte um die Frauenordination offenbarte das nach wie vor manifeste Gefälle zwischen den Mitgliedskirchen in Europa und Nordamerika auf der einen und vor allem den afrikanischen Mitgliedern auf der anderen Seite. Doch meldete sich in der Aussprache auch wiederholt ein Vertreter aus Irland und argumentierte, wie gering in seiner Heimat der Rückhalt für die Idee weiblicher Pfarrer sei.
Dass auch die konservativsten Kirchenleute auf kurz oder lang kaum am Fortschritt moderner Gesellschaften vorbeikommen, versinnbildlichte der Auftritt einer Delegierten aus Ghana. In einem kurzen, aber flammenden Plädoyer rief sie ihre Mitstreiterinnen auf, den Männern in der Versammlung nicht die Deutungshoheit zu überlassen und endlich schriftlich zu fixieren, was Frauen in vielen Teilen der Welt in den letzten Jahrzehnten doch längst erreicht hätten: mehr Gleichberechtigung. Es war einer der wenigen Momente, in denen Applaus aufbrandete im Plenum, vereinzelte Jubelrufe gar.
Ähnlich konträr verlief die Debatte zur Einführung einer Frauenquote von 50 Prozent im Exekutivausschuss der wrk und ihren leitenden Positionen. Auch hier blockierten meist Delegierte aus dem globalen Süden einen Beschluss und verwässerten die Vorlage so sehr, dass auch diese Entscheidung vertagt wurde.
Nun ist es eines der zentralen Merkmale reformierter Kirchen, Hierarchien abzulehnen. Auch Beschlüsse der obersten Versammlung sind daher nicht verpflichtend, sondern wohlmeinende Empfehlungen und Angebote zur Unterstützung anderer Mitgliedskirchen. Dass jedoch schon die Themensetzung des Kongresses Wirkung haben kann, zeigt die Neubesetzung der Gremien, mit der die Versammlung ihren Abschluss fand.
So besteht der Exekutivausschuss künftig mehrheitlich aus Frauen. Zur neuen Präsidentin der Weltgemeinschaft wählten die Delegierten die Libanesin Najla Kassab, die nun als leuchtendes Beispiel vorangehen kann: Ihre Ordination zur Pfarrerin wurde erst vor wenigen Monaten möglich, als die Evangelische Kirche in Syrien und dem Libanon den Weg freimachte. Kassab amtiert bis zur nächsten Generalversammlung im Jahr 2024. Bis dahin lautet neben dem Dialog mit anderen Kirchen eines ihrer selbst erklärten Ziele, Männern und Frauen in den reformierten Kirchen weltweit gleiche Rechte einzuräumen.
Johannes Süßmann