Unter Strom

Punktum
Elektroautos sind geil, Geiz auch. Nur beides zusammen sorgt für Ernüchterung.

Stehen Sie auf Sex mit Gummipuppen? Ich offenbar schon, wenn ich Herrn Wagner Glauben schenke. Herr Wagner ist der Chefkolumnist der Bild-Zeitung und schreibt immer kurze Briefe an Menschen, Städte, Länder oder Dinge, die gerade in den Nachrichten sind. Als die Bundesregierung eine Kaufprämie für Elektroautos beschloss, hat sich Herr Wagner, der selber ein altes Porsche-Cabrio fährt, sehr abfällig über diese Art von Antrieb geäußert: „Das geruchlose E-Auto wäre für mich wie Sex mit einer aufblasbaren Puppe.“

Über Sex-Puppen kann ich nichts sagen, über das Fahren in Elektroautos schon. Und das ist echt geil. Die Beschleunigungswerte fühlen sich innerstädtisch recht porschemäßig an. Weil kein Motor röhrt, kann man die Musik im Radio ganz ungestört genießen. Und das Klima schont man ja auch noch. In einer Stadt wie Berlin braucht man noch nicht mal ein eigenes E-Autos. Wäre ja auch ziemlich kompliziert, jeden Abend zum Stromtanken aus dem dritten Stock im Hinterhaus ein Kabel bis zum Auto vor der Haustür zu legen - sofern man dort überhaupt einen Parkplatz findet. Nein, es reicht ein Smartphone, und schon kann man einfach ein E-Auto eines Carsharing-Anbieters nutzen und es am Zielort stehen lassen.

Neulich stand ich an der Tram-Haltestelle und sah, dass ich zehn Minuten auf die nächste Bahn hätte warten müssen. Wie praktisch, dass gegenüber gerade ein freies Elektroauto stand. Also nix wie rein, Strom an, und ab ging die E-Post. Im Radio spielten Cello und Saxophon, und lautlos schwebte ich in meinen Kiez. Kurz vor dem Ziel sah ich, dass die Batterie fast leer war. Kein Problem, das Navi zeigte mir eine Ladestation in nur 800 Metern Entfernung an. Und wer das Auto nach dem Gebrauch an so eine Stromzapfzäule anschließt, bekommt eine halbe Stunde Autofahren gutgeschrieben. Geiz ist ja auch bisschen geil.

Blöd nur, dass 800 Meter Luftlinie eben doch ein wenig weiter sind, als man denkt. Zudem stand die Zapfsäule versteckt auf einem Supermarktparkplatz und ich musste einige Zeit nach ihr suchen. Kurzum - bis das Auto an der Säule hing, hatte ich die Hälfte meiner Bonusminuten aufgebraucht. Und der Rest ging dann für die Parkplatzsuche mit dem benzingetriebenen anderen Carsharing-Auto drauf, das ich aus reiner Faulheit nahm, um endlich nach Hause zu kommen. Dass die Tram, auf die ich nicht warten wollte, längst am Ziel war, muss ich wohl nicht erwähnen.

Seitdem fahre ich lieber mit diesen Elektrorollern, die man nach dem gleichen Prinzip nutzen kann. Bei denen kümmert sich der Anbieter um das Nachladen. Gestern allerdings fing es auf halber Strecke heftig an zu regnen. Da habe ich an der nächsten Tramstation angehalten und bin umgestiegen. Das nächste mal nehme ich besser gleich wieder die Bahn. Oder ich rufe Herrn Wagner an. Vielleicht leiht er mir ja seinen Porsche…

Stephan Kosch

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