In der Berliner Wunderkammer

Streifzug durch Vanitas und neue Welten
Foto: privat
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Thomas Olbrichts Wunderkammer besteht aus sorgsam arrangierten Vitrinen, in denen sich auch für den heutigen Betrachter noch Wunder auftun.

Kunstkammern, Kuriositätenkabinette, Panoptika-, Raritäten-Sammlungen gelten als Vorläufer der neuzeitlichen Museen. Seit dem 16. Jahrhundert wurden in Spätrenaissance und Barock die ersten Wunderkammern an den Fürstenhöfen zusammengetragen. Räume, in denen rare Naturalien, exotische Objekte, beeindruckende Kunstwerke oder wissenschaftliche Instrumente zum Erstaunen der Betrachter versammelt wurden. Zunächst hatte nur ein auserlesener Kreis von Menschen Zugang, aber im Laufe der Zeit öffneten sich die Schätze einem breiten Publikum. Dieser Tradition folgend zeigt Thomas Olbricht, Chemiker, Arzt und Miterbe des Wella-Konzerns, in seiner Berliner Wunderkammer über 200 einzigartige Exponate.

Von ihren Reisen zu neuen Horizonten brachten die Schiffe und Karawanen der Entdecker ihre Exotica mit. Wie nie gesehene Tiere und Pflanzen, außerirdische Edelsteine, geheimnisvolle Gewürze oder Kuriosa. Wie den ausgestellten gedrehten Zahn eines Narwals oder den Hauer eines Warzenschweins, 1580 mit einer Goldfiligranfassung versehen. Jedes Artefakt als Beleg aus ungeahnten Welten.

Natürliche Werkstoffe aus aller Herren Länder haben die Künstler und Kunsthandwerker ihrer Zeit zu neuen Schöpfungen inspiriert. So den prachtvollen Hausaltar aus Bernstein. Filigran gefertigte Kunstwerke wie dieses sind die Artificialia einer Wunderkammer. Unzählige Bernsteinstücke in unerschöpflichen Farbnuancen faszinieren an dem 1650 in Danzig geschaffenen Altar. Aus Elfenbein ist der Christus am Kreuz geschnitzt. Zu seinen Füßen Maria und Johannes. Ein Totenkopf symbolisiert Golgatha, die Stätte der Kreuzigung, die Szene steht für Vanitas (Eitelkeit).

Wie ein unsichtbares Band ziehen sich Tod und Vergänglichkeit durch die Berliner Wunderkammer. Sei es in fließenden Sanduhren, gespenstischen Schrumpfköpfen oder auch nur in welken Blumen. Thomas Olbrichts Wunderkammer besteht aus sorgsam arrangierten Vitrinen, in denen sich auch für den heutigen Betrachter noch Wunder auftun. So die 1720 vom deutschen Elfenbeindrechsler Stephan Zick herausgearbeitete, handgroße Frau, deren Körperinneres sich für den Betrachter öffnen lässt. Den Kopf auf einem kleinen roten Samtkissen liegend, ruht die Figur wie aufgebahrt auf einem zierlichen Mobiliar aus Elfenbein. Nimmt man die Oberseite des Körpers ab, kommen die inneren Organe zum Vorschein. Der Nürnberger Künstler Zick hat seine Werke als anatomische Lehrmodelle gefertigt; sie waren schon im 17. Jahrhundert hoch geschätzt und begehrte Sammelobjekte. Im weiteren Verlauf der Exkursion stößt der Betrachter auf das Modell eines Mannes in seinen Einzelteilen, ebenso auf eine zerlegbare Schwangere und verschiedene Elfenbeinschädel mit unterschiedlichen Krankheitsbildern.

Auffällig sind die vielerorts platzierten Uhren. Dazwischen zeigt eine Plastik Chronos, den griechischen Gott der Zeit als bärtigen Mann mit weiten Flügeln, in der einen Hand die Sense, in der anderen einen Totenschädel haltend. Aus Buchsbaum entstand diese Figur um 1650. Als Hinweis auf die Vergänglichkeit alles Irdischen trägt Chronos verschiedene Uhren. Eine Vitrine zum Ende ist behutsam komponiert mit Scientifica wie Kompass, Sand- und Sonnenuhren (1535), Globen, Karten und Muscheln. Von einem bizarren Korallenast hängt ein Totenkopf-amulett herab. Eines der frühesten Kunstwerke in dieser Wunderkammer ist die Skulpturengruppe von einem Mönch und dem Tod aus dem Jahr 1520.

Die Wunderkammer Olbricht ist von dienstags bis sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Öffentliche Führungen jeden ersten Samstag im Monat um 14 Uhr, 1. Oktober, 5. November, 3. Dezember. me Collectors Room Berlin / Stiftung Olbricht, Auguststraße 68, 10117 Berlin, 030 86 00 85-10.

zur Website der Wunderkammer

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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